
Neuer "Tatort" aus Luzern Wer hat's vergurkt? Die Schweizer!
In Konstanz ist er nie so recht zum Zuge gekommen: Da durfte Reto Flückiger (Stefan Gubser), der wind- und wettergegerbte Ermittler von der Thurgauer Seepolizei, zwar zuweilen beim Rotwein der deutschen Kollegin Klara Blum (Eva Mattes) tief in die Augen schauen, doch stieg er dann stets noch am selben Abend auf sein Boot und fuhr zurück auf die Schweizer Seite des Bodensees. Und mit ihm schipperte die Hoffnung, die deutsche Kommissarin möge ihn doch bald wieder rufen. Flückiger, das war bislang ein Berater und Gesellschafter auf Abruf, eine Art Escort-Kraft unter den deutschsprachigen Ermittlern.
Nun bekommt die Krimi-Figur, die beim leicht lustfeindlichen SWR-"Tatort" aus Konstanz als Schweizer Sidekick für die bundesdeutsche Beamtin entwickelt wurde, seinen großen Auftritt. Sowohl kriminalistisch als auch erotisch.
Nach fast zehn Jahren "Tatort"-Abstinenz hat das Schweizer Fernsehen in Kooperation mit dem SWR um Flückiger herum ein neues Fernsehrevier aufgebaut. Von Luzern aus soll er zukünftig ermitteln; wie viele Folgen es pro Jahr gibt und ob die Schweiz überhaupt wieder für regelmäßige Episoden in den "Tatort"-Verbund aufgenommen wird, hängt auch von der Resonanz auf die an diesem Wochenende ausgestrahlte erste Episode ab. Eine zweite Folge mit dem Titel "Skalpell" ist aber schon fertig produziert.
Trotz der gediegenen Kulisse von Luzern soll es durchaus ein wenig knistern und krachen in dem neuen Schweizer "Tatort". Weil man in Sachen Knistern und Krachen aber offensichtlich den einheimischen Charakteren und Darstellern nicht viel zutraute, stellte man dem ehemaligen Wasserschutzpolizisten in der ersten Folge eine exotische Kollegin zu Seite: Abby Lanning, Austauschpolizistin aus Luzerns Partnerstadt Chicago. Gespielt wird die von der griechisch-italienischen, zeitweise in Zürich aufgewachsenen Sofia Milos, die als Detective Yelina Salas in der US-Serie "CSI: Miami" eine gute Figur macht, aber in Luzern einfach nur wie ein Alien wirkt. Im nächsten "Tatort" ist sie glücklicherweise schon nicht mehr dabei.
Egal ob Abby Lanning mit dem Kollegen ins Bett steigt oder eine schaurig zugerichtete Leiche inspiziert, stets lächelt sie versonnen in sich hinein, als würde sie gerade ein Stück besonders köstlicher Schweizer Schokolade lutschen.
Wasserschutzpolizist auf dem Trockenen
Gemeinsam rutschen die Luzern-Neulinge Flückiger und Lanning in der "Tatort"-Episode "Wunschdenken" in einen Fall, der sie in die Kommunalpolitik der Stadt führt. Aus der Reuss fischt man die Leiche eines Kleinverbrechers, ein örtlicher Politiker wurde entführt, ein rechtspopulistischer Griesgram hat Gegner ausspionieren lassen. So die kriminalistische Gemengelage (Buch: Nils-Morten Osburg) - aus der im Laufe des Films leider so gut wie keine Spannung erwächst. Sämtliche Figuren bleiben unscharf, zudem agieren sie zuweilen wie Schlafwandler, die Anspielungen auf den realen Polit-Betrieb bleiben im Ungefähren.
Der wahre Krimi fand auch weniger vor der Kamera als hinter den Kulissen statt: Als der Schweizer Wiedereinstiegs-"Tatort" Anfang des Jahres zur Abnahme fertiggestellt worden war, wurde er umgehend von der damals neuen Kulturchefin im Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), Nathalie Wappler, moniert; erstaunlicherweise machte sie ihrem Unmut sogar gezielt öffentlich Luft. Der Film müsse neu geschnitten, neu synchronisiert, teilweise nachgedreht werden. Die Ausstrahlung verschob man vom geplanten Frühjahrstermin auf die Zeit nach der Sommerpause.
"Wunschdenken"-Regisseur Markus Imboden, der nicht erst seit der Grimme-Preis-gekrönten ZDF-Produktion "Mörder auf Amrum" zu den besten der deutschsprachigen Krimi-Machern zählt, zeigte sich ungewöhnlich kooperationsbereit gegenüber dem SRF, versäumte es aber nicht, gleich auch noch mal ordentlich Dampf abzulassen. Die Hauptdarstellerin Milos, verkündete der Deutschschweizer, sei eine echte Fehlbesetzung. Der waren von Schweizer Kollegenseite sowieso nicht eben die Sympathien zugeflogen, weil sie bekennende Scientologin ist.
Angst vor den Rechtspopulisten?
Und was wurde nun genau "nachgearbeitet" am "Tatort"? Glaubt man der "Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag", der die beanstandete Ur-Version von "Wunschdenken" vorliegt, haben die Verantwortlichen ein ganz kleines bisschen die Pettingszenen zwischen den Ermittlern entschärft - vor allem aber die konkreten politischen Verweise aus der Handlung getilgt. Während der rechtspopulistische Politiker in der unautorisierten Version laut "NZZ am Sonntag" ganz klar Vokabular und Argumentation der Schweizerischen Volkspartei (SVP) nachahme, bleibe man in der Sendefassung im Vagen.
Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE weist SRF-Sprecher Martin Reichlin die Vorwürfe, man habe jeglichen konkreten Bezug zur SVP entfernen wollen, "als haltlos" zurück. "Richtig ist, dass SRF grundsätzlich die klischierte Darstellung von Politikern aller Lager vermeidet."
Ein ungutes Gefühl bleibt trotzdem zurück: Will es sich das Schweizer Fernsehen durch diese "unklischierte Darstellung" bewusst nicht mit der mächtigen Rechtspartei verderben - oder ist man besorgt um die Außenwirkung der Schweiz in den Nachbarländern Österreich und Deutschland? Beides wäre eine Kapitulationserklärung des SRF. Feigheit und Unverbindlichkeit sind nun wirklich die schlechtesten Zutaten für einen "Tatort".
Als sich Flückiger und seine US-Kollegin Lanning vor ihrem Schäferstündchen zufällig in einer Hotelbar treffen, raunt sie in Anspielung auf Sofia Coppolas Durchreisenden-Liebelei etwas von "Lost in Translation". Vielleicht ist ja gerade dieses "Verlorensein", dieses Durcheinander von Ambitionen, Idiomen und Ideen, die eigentliche Ursache für das Misslingen des Krimis.
Den Start in den "Tatort"-Verbund haben die Schweizer so oder so vermasselt. Grüezi, Tristesse!