Neues "heute"-Studio Beam me up, Gundula!
"Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert", schrieb Karl Marx 1845 in seiner berühmten elften Feuerbachthese. "Es kommt aber darauf an, sie zu verändern." Das ZDF - "Mit dem Zweiten sieht man besser" - weiß es im Sommer 2009 natürlich ganz genau: Von wegen. Auf die Optik kommt es an.
Und so präsentiert sich das neue, 700 Quadratmeter große und 30 Millionen Euro teure ZDF-Studio auf dem Mainzer Lerchenberg, das, "weltweit einmalig" ein "neues Nachrichten-Zeitalter" einläuten soll, komplett giftgrün - genauer: in "Rosco Ultimate Green".
Die jungen Menschen, die man, so Chefredakteur Nikolaus Brender, wieder "hin zur Nachricht führen" will, wissen vermutlich, dass dieser Anstrich nur notwendiger Hintergrund ist für all jene Blau- und Grautöne, Grafiken und 3-D-Animationen, die in die "grüne Hölle" (ZDF-Eigenspott) hineinprojiziert werden können. Bei den Probeläufen ist sogar mal eine Moderatorin aus Versehen ins ewige Nichts "gebeamt" worden - ein Vorgang, der ein Licht auf künftige Möglichkeiten eines dezenten Personalabbaus wirft. Im wirklichen Leben hat das "heute journal" seit 2002 allerdings ganz authentisch ein Viertel seiner Zuschauer verloren.
Es geht also um einiges. Und so peitschte das ZDF seit Wochen die Propaganda für das brandneue Raumschiff von "heute" und "heute journal" (samt "Spezial-" und anderer aktueller Sendungen) in immer neue Höhen.
Kein Detail war zu gering, um es nicht als kleine Weltsensation zu verkaufen: 300 Scheinwerfer, drei Roboterkameras und ein Schreibtisch "aus Nussbaumholz, Acrylglas und Kunstleder".
Ganz im Geiste der neuen Nachrichten-Verständlichkeit verfügt diese "Moderationsinsel" über pädagogisch-ergonomische Rundungen, die zugleich funktionale Ecken sind: Es gibt den "Dialogflügel", die "Talkecke" und den "Erklärraum".
Fehlen nur noch die "Schreistube" und der "Schweigekeller".
Auch die lockeren Zeiten von Jeans und Badelatschen unterm Schreibtisch sind vorbei. Ab sofort stehen die Moderatoren und Moderatorinnen in voller Körpergröße vor den Zuschauern und laufen, je nach Bedarf und "Erklärkompetenz", im Studio umher, um wahlweise Sonnenstrom aus der Wüste, einen Flugzeugabsturz oder die nächste Gesundheitsreform am bewegten 3-D-Objekt möglichst anschaulich zu demonstrieren.
Freitagabend um 19 Uhr war es endlich soweit. Und was soll man sagen - die Welt drehte sich weiter, ganz wie gewohnt, neues Nachrichtenzeitalter hin oder her. Nur zu Beginn kreisten zur musikalisch verfeinerten "heute"-Fanfare virtuelle Strahlen um eine stilisierte Sonnenuhr. Dann stand er da in Beinah-Lebensgröße, der Multifunktionsmoderator Steffen Seibert. Hinter ihm blassblau und hellgrau die Weltkarte, von zarten weißen Linien durchbrochen; links oben das "heute"-Emblem samt ZDF-Logo, das war's dann fürs Erste, pardon: Zweite.
Die Top-Storys verstanden sich von selbst, allen voran die hunderttausendfache Wiederauferstehung der iranischen Opposition zur Stunde des Freitagsgebets in Teheran. Auf vierfach geteiltem Splitscreen liefen Bilder von Straßenschlachten mit der Quellenangabe "YouTube". Kein Korrespondent ist da noch vor Ort - anders als in Jakarta, wo ZDF-Reporter Bernhard Lichte zufällig in einem der Hotels gastierte, die von Terrorkommandos angegriffen worden waren. Fürs Interview mit ihm drehte sich Moderator Seibert elegant um neunzig Grad zur Seite; so stand er frontal zum "aufpoppenden" Bild aus Indonesien.
Wenn das kein Fortschritt ist.
Neben einer besonders ausladenden Grafik zu den Kräfteverhältnissen im Kieler Landtag - hier dürften vor allem ältere Zuschauer profitiert haben - sorgten die nicht unbedingt tagesbrisanten Vorfälle im Atomkraftwerk Krümmel für das optische Highlight.
Während Seibert die kritischen Ereignisse der vergangenen Jahre referierte, drehte und wendete sich ein virtuelles Modell des Kraftwerks wie ein überdimensionales Spielzeug. Mal wurde dieses, mal jenes Detail farblich hervorgehoben, und der Höhepunkt war die Darstellung einer hochgefährlichen Rauchentwicklung, hier einmal ganz in schwarzweiß. "Pffft Pffft" machte es, und ältere Zuschauer werden sich unweigerlich an Loriot erinnert haben, an jene seligen Siebziger, als es unterm leuchtenden Weihnachtsbaum hieß: "Wir bauen uns ein Atomkraftwerk!"
Opa Hoppenstedt hätte sich gefreut.
Die hochoffizielle und endgültige Feuertaufe des neuen Wunderstudios fand natürlich erst beim "heute journal" statt, und Claus Kleber wies zum mit Hochspannung erwarteten Auftakt dezent darauf hin, dass durch die Verschönerung eines Fernsehstudios die Welt noch lange nicht besser werde. Das war's dann aber auch mit Philosophie und Schöngeisterei.
Wirkten Claus Kleber und Gundula Gause anfangs wie kleine Mainzelmännchen am Horizont eines endlos langen Holzimitats, so rückte die Roboterkamera Klebers Kopf kurz darauf auf die Pelle, fast in Großaufnahme. Zur Schalte nach Jakarta legte der "Erste Journalist" des ZDF einige Fußmeter, mutmaßlich in Richtung "Dialogflügel", zurück, und bei der Anmoderation in Sachen CSU-Parteitag mit Horst Seehofer und Angela Merkel sah er fast aus wie Ranga Yogeshwar, der versucht, ein physikalisches Experiment zur Klimakatastrophe zu erklären.
Kein Zufall war es wohl, dass auch beim "heute journal" ein eher technisch-wissenschaftliches Thema zum idealen Demonstrationsobjekt der neuen digitalen Möglichkeiten wurde: Vierzig Jahre Mondlandung mit "Apollo 11" sind einfach unwiderstehlich - da musste das volle Animationsprogramm abgefahren werden, Weltkugel im Kreisverkehr inklusive. Die optisch verbesserte "Erklärkompetenz" beim demografischen Nachhaltigkeitsfaktor der übernächsten Rentenreform ist da deutlich schwerer vorstellbar.
Am Ende blieb eine schlichte Erkenntnis. Spätestens in dem Augenblick, als sich, wie gewohnt, der Mann vom Frankfurter Börsenparkett meldete, war klar: Franz Zink bleibt Franz Zink. Und das ist irgendwie auch gut so.
Ob die Jugend so zurück zur Nachricht findet, bleibt dennoch fraglich. An der Optik kann es jedenfalls nicht mehr liegen.