Scholz und Laschet bei »Bild TV« Die Falle mit der Deutschlandfahne

Olaf Scholz und Armin Laschet stellten sich »Bild TV«, wo angeblich »die härtesten Fragen Deutschlands« gestellt werden. Eine Frage könnte sein, ob bei dieser »Kanzler-Nacht« nicht jemand fehlte.
Armin Laschet und Olaf Scholz (r.)

Armin Laschet und Olaf Scholz (r.)

Foto: Michael Kappeler / dpa

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Armin Laschet hat es verstanden.

Beim abschließenden »Bulette oder Bratwurst?« und »Claudia Schiffer oder Barbara Schöneberger?«-Spiel wird er gefragt, ob er »Bild« oder die Glotze bevorzuge. Beides, meint er, habe sich ja nun wohl aufgelöst: »›Bild‹ ist jetzt Glotze.«

Das könnte, wenn man den Trailer für die Fernsehsender-Werdung der Boulevardmarke betrachtet, eine alarmierende Entwicklung sein.

Zu sehen gab es da in schnellen Schnitten und dieser Reihenfolge linke Chaoten, die Flut, linke Chaoten, eine brennende Kathedrale, Impfgegner in Kassel, eine Explosion irgendwo, Polizei bei linken Krawallen, Pflastersteine in den Händen linker Chaoten, linke Chaoten vor brennenden Reifen, weitere Chaoten, vermutlich links, feuerlöschende Hubschrauber und Polizei, die Gummigeschosse gegen linke Chaoten verschießt.

Dann das Gesicht von Chefredakteur Julian Reichelt: »Die Stimme dieses Landes, die Stimme der Menschen in diesem Land«, zu hören ist die Stimme eines aufgebrachten Flutopfers, Schnitt zurück auf Reichelt: »Und das jetzt auch im Fernsehen«. Harte Rockmusik, abschließende Riesenexplosion irgendwo.

»Bild« ist, wie nicht wenige Menschen meinen, ein perfides Blatt. Es ist aber doch nicht perfide oder professionell genug, aus dem Stand ein deutsches Fox News aus dem Studioboden zu stampfen.

Das zumindest lässt sich nach Auftakt von »Bild TV« mit seiner »Kanzler-Nacht« sagen. Die publizistische Lücke zwischen den Kreidefressern der Privaten und den Ausgewogenheitsspezialisten der Öffentlich-Rechtlichen ist nicht der reaktionäre Krawall – sondern einstweilen nur eine schlichte Sportifizierung der Politik. Man könnte es auch Zuspitzung nennen.

Schon am Morgen machte die Zeitung online und am Kiosk mit einem Trommelwirbel Werbung für den wichtigen Abend: »SPD holt die Union ein: 22:22!«, suggestiv bebildert mit einem verschmitzten Scholz und einem verschreckten Laschet. Gerade so, als wäre die Bundestagswahl ein Handballspiel – und die »Kanzler-Nacht« bereits die entscheidende Verlängerung.

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Eine Verlängerung von beinahe vier Stunden, in denen zuerst Armin Laschet vom schrapnellfesten Kriegsreporter Paul Ronzheimer, danach Olaf Scholz vom ondulierten Politikchef Kai Weise einvernommen werden. Immer wieder wird eine »Leser-Jury« aus »ganz normalen Menschen« danach befragt, welche Schulnoten sie der rhetorischen Performance der Kandidaten geben würde.

Und dann kommt »das Volk« zu Wort

Ein normaler Mensch ist hier die »alleinerziehende Mutter«, Inhaberin einer Cocktailbar, die, wie von Moderatorin Patricia Platiel gefühlt dutzendfach an diesem Abend wiederholt wird, nachts oft erst »um drei Uhr« ihren Laden schließt, um morgens »um sechs Uhr« wieder auf der Matte zu stehen. Desgleichen der Metzger »in fünfter Generation«, dessen Wecker bereits um 5.55 Uhr klingelt, und der abends »bis acht Uhr arbeitet«. Dazu kommen die ehemalige Boxerin Regina Halmich, früher mal als Wahlfrau für die CDU aktiv, und der ehemalige Fußballfunktionär Reiner Calmund.

Moderation, Regie und Kamerafahrten haben etwas von »Offener Kanal Kreuzberg«, aber das wird sich noch einspielen. Und ist von unfreiwilliger Komik, wenn etwa Ronzheimer sekundenlang mit bröckelnder Wichtigkeit in die Kamera guckt, der Einspieler aber nicht kommt. Oder Platiel sagt: »Ich übergebe jetzt wieder an Kai Weise«, der keine fünf Meter entfernt steht.

Versprochen waren »die härtesten Fragen Deutschlands«, gestellt von »ganz normalen Menschen«, wer immer diese Norm definiert – im Zweifelsfall eben die »Bild«, die seit Jahr und Tag als Anwältin für eben diese ganz normalen Menschen »kämpft«. Wenn sie nicht – leider, kommt vor – ganz normale Menschen ganz normalen Menschen zum Fraß vorwerfen muss. Geschäft ist Geschäft.

»Hier spricht jetzt das Volk, stellvertretend«, mit in der Fußgängerzone eingeholten Stimmen, und laut Erhebungen der »Bild« ist »die Stimmung in Deutschland am Boden«. Schon der Metzger und die Gastronomin wollen sich darauf nicht festnageln lassen, so penetrant Platiel auch nach Schulnoten für »die ganz oben« fragen mag.

Deutschlandfahne bei Wahlsieg?

Als speziellen Gimmick für Armin Laschet packt Ronzheimer eine Deutschlandfahne aus, erstmals in einer Talksendung, seit 2015 ein Faschist damit Günther Jauch provozieren konnte. Die »Bild« will nur wissen, ob Laschet ein Patriot ist – angeblich trauten es ihm »nur 4,9 Prozent« der ganz normalen Menschen zu.

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Laschet legt den Stoff vor sich aus wie eine Tischdecke. Ronzheimer hart: »Also, Sie sind okay mit der Deutschlandflagge?«. Ronzheimer härter: »Sie versprechen hier: Deutschlandfahne bei einem möglichen Wahlsieg?« War Laschet selbst mal in Afghanistan in den letzten 20 Jahren? Nein? Warum nicht? Würden er bei einer internationalen Krise ins Kino gehen, wenn er Kanzler wäre?

Ronzheimer will wissen, ob Laschet »Vergewaltiger, Straftäter, wir sehen hier noch einmal die Bilder der Überwachungskameras«, nach Afghanistan abschieben würde. Laschet mag das nicht »auf alle Zeiten« ausschließen. Und muss gleich danach mit dem Bürger telekonferieren, der ihn beim Flutbesuch als »Versager« beschimpft und den die »Bild« (der Boulevard ist gut im Auftreiben) aufgetrieben hat.

Weitere harte Fragen sind etwa, ob Laschet abends, wenn er ins Bett geht, nicht manchmal grübelt, warum er sich die Kandidatur antut. Oder worüber genau er da in Erftstadt gelacht hat. Springt dabei etwas heraus, wird es sofort verschlagzeilt und weiß auf rot eingeblendet: »Laschet: Jemand hat eine blöde Bemerkung gemacht«.

Calmund findet die Fragen zu fies

Reiner Calmund gefällt das gar nicht. Statt Laschet kritisiert er Ronzheimer und seine »fiesen Fragen«. Es sei heute, meint er, »vieles net fair«, so gingen normale Menschen »nicht miteinander um«. Er selbst würde gern etwas über Themen wissen, die bisher noch gar nicht angesprochen wurden und an diesem Abend auch keinen Platz haben: Rente, Kinder- und Altersarmut, Gesundheitswesen, Wirtschaft.

Ronzheimer will stattdessen wissen, wie Laschet seine Eheprobleme löst, wenn er denn welche hat. Und was, wenn seine Umfragewerte unter 22 sinken? Laschet zuckt mit den Schultern, »weiterkämpfen«, und bemüht ein Bild aus dem Sport – natürlich: »Das ist im Sport so, das ist im Fußball so, und das ist auch in der Politik so.«

Für Olaf Scholz, dessen Ankunft am Verlagsgebäude ebenfalls vermeldet und im Bild gezeigt wird, als wäre er der Papst, sieht das Skript eine andere Erzählung vor als die des Verlierers.

Kai Weise schmeichelt dem SPD-Kandidaten, er könne die Wahl einfach »aussitzen«. Scholz dementiert. Weise wirft ihm vor, die Wahl einfach »aussitzen« zu wollen. Scholz verneint. Listig fragt Weise, ob Scholz das »Aussitzen« bei Angela Merkel gelernt hat. Scholz schüttelt den Kopf. Weise resümiert beharrlich: »Aussitzen, das haben Sie gelernt von Angela Merkel, inhaltlich aussitzen.«

Es ist wirklich hart.

Die Falle für Scholz mag nicht zuschnappen

Auch Scholz darf mit der deutschen Fahne irgendwas Patriotisches machen, er hält sie hoch und spricht über die deutsche Geschichte. Weise dauert das zu lang, und er klappt seine Falle auf: »Nehmen Sie die lieber in die Hand als die rote Fahne?«.

Die Falle mag nicht zuklappen, also bettelt Weise: »Seien Sie einmal emotional. Was empfinden Sie bei unseren Nationalfahnen, was kommt Ihnen da in den Kopf?«. Fehlt nur die harte Frage, ob Scholz denn Gänsehaut empfindet beim Abspielen der Nationalhymne. Und da kommt sie auch schon: »Gänsehaut beim Abspielen der Nationalhymne?«

Zur Vereinfachungsmaschine des Boulevards gehört auch, dass es für alles einen Schuldigen geben muss. Die Flut, die Pandemie, Afghanistan, alles. Scholz keilt zurück: »Sie wollen hier harte Fragen stellen, dann müssen Sie auch harte Antworten ertragen. Ihre Frage war falsch.«

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Tatsächlich ist das einzig Harte an der Fragerei das Insistieren auf Verantwortlichkeiten, bestenfalls die Forderung nach einem Rücktritt. Bei Laschet wegen seiner miesen Werte, bei Scholz wegen der G20-Krawalle oder anderer Skandale – bei beiden wegen Afghanistan. Kann man machen.

Nicht einmal die alleinerziehende Gastronomin, die bis drei Uhr arbeitet und morgens um sechs auf der Matte steht, kann sich wegen Corona über den Finanzminister beschweren: »Ich habe Geld von ihm bekommen, da bin ich befangen.« Und Calmund poltert: »Pandemie ist Pandemie, wat willste machen?«

Nach über zwei Stunden wird Baerbock erwähnt

Calmund ist es auch, der immer wieder die Grünen ins Spiel bringt (»Dat sin net alles Bekloppte!«) und so daran erinnert, dass es bei der »Kanzler-Frage« noch immer eine mögliche Kanzlerin gibt. Sogar Regina Halmich erklärt: »Wir alle wünschen uns irgendwie Grün, habe ich den Eindruck«, und würde gern über die Klimapolitik sprechen – was in letzter Minute dann Olaf Scholz tut.

Bei Fox News sitzt eine ganze Reihe von Experten, die alle einer Meinung sind und tendenziös auf den politischen Gegner einteufeln. Bei »Bild TV« werden SPD und Union gleichermaßen in die Mangel genommen, das schon, im Namen der Stimme des Volkes. Die dritte Option fällt bei der gewünschten Zuspitzung praktischerweise unter den Tisch.

Die Sendung beginnt um 19.30 Uhr, namentlich genannt wird Annalena Baerbock erstmals und letztmals um 22.37 Uhr. Geschäft ist Geschäft, aber auch Kampagne.

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