
Neuer TV-Kanal Al-Dschasiras geheimnisvoller Amerika-Ableger
Eine unscheinbare Tür im Zentrum Manhattans, nur ein paar Schritte entfernt von der Penn Station. Menschen warten hier in langen Reihen auf den Bus nach Boston, der Verkehr schiebt sich vorbei, es ist laut, der Bürgersteig ist mit Kaugummiflecken übersät. Die Tür öffnet sich, dahinter ein steril wirkender Raum, die Decke, der Boden, die Wände, alles ist weiß. Und: Stille.
Es ist ein bisschen so, als würde man hier, im Hauptsitz von al-Dschasira America (AJAM), aus der Hektik New Yorks in eine andere Welt gestoßen. Und der US-Ableger des arabischen Nachrichtensenders, der seit August in den Staaten on Air ist, will sich ja auch abheben vom Mainstream der US-Kabelsender. Qualitätsnachrichten sollen hier entstehen, abseits der polarisierenden Berichterstattung wie etwa bei den Konkurrenten Fox News und MSNBC und der zunehmenden Boulevardisierung, wie sie CNN betreibt.
Die Umsetzung der hochgesteckten Ziele ist auf Plasmabildschirmen zu verfolgen, die ringsum in dem weißen Empfangsraum hängen. Gerade wird ein Reporter aus Washington zugeschaltet, hinter ihm das Weiße Haus. Zwölf Büros hat AJAM landesweit eröffnet, dazu erfahrene Journalisten von CBS, NBC und CNN angeworben. Als Chefin wurde Kate O'Brian verpflichtet, zuletzt für "ABC-News" in leitender Position. Mindestens eine halbe Milliarde Dollar soll der Emir von Katar in den US-Ableger seines Senders investiert haben.
Bitte keine Fragen!
Wo das Geld hingeflossen ist, ist hinter einer weiteren, abgeriegelten Tür zu sehen, die sich am Ende des weißen Raumes befindet. Enge Gänge führen zunächst in die Regie, in fünf Reihen sitzen hier Mitarbeiter an ihren Computern. "Das Equipment ist das beste, was man für Geld kaufen kann", sagt ein Anwesender. Im Senderaum sitzt Nachrichtensprecher Tony Harris am Pult, vor ihm sind vier Kameras aufgebaut. Er scherzt, die Kameraleute greifen abwechselnd in eine Popcorntüte, bis das Licht angeht und Harris in die Kamera spricht.
Vor der Kamera reden, das ist Routine. Doch dahinter gibt man sich bei AJAM wortkarg. "Wenn Sie mit jemandem sprechen, brechen wir sofort ab", wird der Rundgang eingeleitet - der auf zehn Minuten begrenzt ist. Etliche Anfragen hatte die Pressestelle in den Wochen zuvor auf unbestimmte Zeit verschoben, niemand habe Zeit, hieß es - dann wurden Mails gar nicht mehr beantwortet.
Nun führt ein Mitarbeiter, der sich nach eigenen Angaben durch einen längeren Berlin-Aufenthalt dem SPIEGEL verbunden fühlt, doch noch durch die Räume, "außerhalb des Protokolls", wie er betont. Von ähnlichen Erfahrungen berichten viele New-York-Korrespondenten: Der Sender zeige sich verschlossen, immer wieder seien sie selbst vertröstet oder ihre Fragen nur dürftig beantwortet worden.
Beim Rundgang geht es weiter die engen Flure entlang, bis zum Herzstück: ein hoher, weißer Raum, an dessen Seiten sich Marmorsäulen erstrecken, ein Großraumbüro. Hier wird geschnitten, getextet, diskutiert - nicht ohne Erfolg. AJAM scheint mit einer unaufgeregten Präsentation in der Tat eine Nische zu füllen. Und so fielen auch die Kritiken weitestgehend positiv aus. Die "New York Times" attestierte dem Sender zum Start, das geboten zu haben, was er versprochen habe: "serious, straightforward news". Das Medieninstitut Poynter betonte, AJAM habe sich als "legitime Nachrichtenorganisation" präsentiert.
Man schweigt
Doch bei den Zuschauern hat AJAM einen schweren Stand. Das mag daran liegen, dass viele Amerikaner den Sender immer noch mit der Verbreitung der Videos von Osama Bin Laden nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und dessen antiamerikanischer Propaganda in Verbindung bringen. Wie tief das Misstrauen sitzt, zeigt die Tatsache, dass sich auch der US-Geheimdienst für den Sender interessierte. 2006 spähte die NSA die interne Kommunikation von al-Dschasira aus, wie der SPIEGEL gestützt auf Dokumente des Whistleblowers Edward Snowden berichtete.
Auf Misstrauen deuten auch die offiziellen Zuschauerzahlen hin. Die lagen laut Marktforschungsinstitut Nielsen in den ersten Tagen nur im fünfstelligen Bereich mit einem Maximum von 54.000. Zum Vergleich: Fox News hat in der Primetime durchschnittlich zwei Millionen Zuschauer. AJAM wird allerdings nur in 45 Millionen der rund 100 Millionen Haushalte in den USA empfangen, da große Satelliten- und Kabelanbieter den Sender entweder nicht im Angebot führen oder nur sehr weit hinten in den Listen. Erst vor wenigen Wochen hat AJAM mit Time Warner eine neue Vereinbarung getroffen; der Sender kann innerhalb der kommenden sechs Monate über den Anbieter auch in New York, Los Angeles und Dallas empfangen werden, was die Erreichbarkeit auf 55 Millionen Haushalte steigen ließe.
Ob AJAM dann höhere Quoten erzielt, ist schwer zu sagen, zumal unklar ist, ob die Akzeptanz beim Publikum mittlerweile gestiegen ist. Man sei angewiesen worden, keine Zuschauerzahlen mehr herauszugeben, teilt ein Nielsen-Mitarbeiter auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE mit. Die Zahlen müssten bei der AJAM-Pressestelle erfragt werden - die keine Auskunft darüber gibt.
Als "linientreu" entpuppt
Ebenso schweigt man sich bei AJAM darüber aus, wie viel Einfluss der Emir von Katar auf seinen US-Sender-Ableger ausübt. Khaled Hroub, Leiter des Cambridge Arab Media Project und ehemaliger Moderator von al-Dschasira, sagt etwa, AJAM bringe den Amerikanern Themen außerhalb ihres national geprägten Horizonts nahe. Vorher seien die Nachrichten aus dem Westen in den Rest der Welt getragen worden. Al-Dschasira bringe nun Nachrichten aus dem arabischen Raum in den Westen. Der Medienwissenschaftler nennt es eine "Neudefinierung des Medienmodells" - die Umsetzung eines globalisierten Medienmarkts.
Aktham Suliman sieht die Sache anders. "Al-Dschasira hat mit dem Anspruch angefangen, eine freie Stimme zu sein, ein Gegengewicht zu den staatlichen arabischen Medien. Das war revolutionär", erzählt der ehemalige Berlin-Korrespondent von al-Dschasira. Dann habe sich der Sender aber als "linientreu" entpuppt. Was heißt: Der Emir gebe in politisch heiklen Fragen seine Sichtweise vor. AJAM sei der Versuch, diese in die amerikanische Gesellschaft zu tragen. Und: "Natürlich hat der Geldgeber Interessen." Das werde sich aber erst später zeigen. Zunächst werde ausgewogen berichtet, um Glaubwürdigkeit zu gewinnen - und dann werde die Berichterstattung an die Wünsche des Geldgebers angepasst. Vergangenes Jahr kündigte Suliman.
Hroub, der von London aus sieben Jahre lang Buchbesprechungen für al-Dschasira produziert hat, erzählt hingegen, er habe Bücher und Gäste stets selbst bestimmen dürfen. Aber er sagt auch: "Natürlich gibt es Regelungen, natürlich gibt es eine gewisse Kontrolle." Einmal sei ihm ein Gast verboten worden, ein bekannter Kritiker des Emirs. Da habe er das Veto im Vorfeld ohnehin schon erwartet, sagt Hroub.
Der Sender schweigt sich zu diesen Vorwürfen aus, schriftliche und telefonische Anfragen bleiben unbeantwortet. Und auch die unscheinbare Tür in Manhattan hat sich längst wieder geschlossen. Vor der Kamera reden die al-Dschasira-Leute weiter. Und dahinter: Stille.