
Miniserie "Patrick Melrose": Es kann nur bergab gehen
Neue Drogen-Serie mit Benedict Cumberbatch High Society am Tiefpunkt
Das Telefon schrillt, eines dieser Achtzigerjahre-Geräte mit Wählscheibe und riesigem Hörer. Ein Mann nimmt ab. Die Stimme am anderen Ende klingt unendlich weit weg und ist bizarr durch Echos verzerrt. "Dein Vater ist gestorben", sagt sie. Der Mann am Hörer krümmt sich zusammen, übermannt von Trauer, wie man glaubt. Aber nein: Er bückt sich nach einer Spritze, die zu Boden gefallen ist.
Dann lässt er sich auf einen Stuhl sinken, lallt ein paar Worte in diese gigantische Plastikkeule, seine Gesichtszüge verzerren sich, sicher beginnt er jetzt zu weinen. Aber nein: Der Typ lacht und lacht, und dann blickt die irritierend schwebende Kamera auf seinen Arm und zeigt den kleinen Blutfleck, der sich da in Höhe der Beuge an seinem edlen Oberhemd abzeichnet.
Patrick Melrose ist mal wieder auf Heroin, als er die Nachricht vom Tod seines Vaters erhält, und diese erste Szene stimmt mit ihrer vieldeutigen Virtuosität darauf ein, welche Überraschungen den Zuschauer in der kommenden Stunde der ersten Folge der Serie "Patrick Melrose" noch erwarten. Wie sie mit den Erwartungen des Zuschauers spielt, wie die Kamera der ungeschnittenen Einstellung etwas Unwirkliches gibt, wie der Darsteller Benedict Cumberbatch mit Mimik und Stimme in nur wenigen Augenblicken aus tiefschwarzen Abgründen einen zynischen Witz modelliert.
In einem Meer aus Drogen
"Patrick Melrose" ist eine abgeschlossene Mini-Serie, jede der fünf Folgen eine Verfilmung der fünf Romane von Edward St Aubyn, die sich um den fiktiven Titelhelden drehen, aber mit denen Aubyn, Sprössling einer bekannten Familie des britischen Hochadels, auch seine eigenen Erfahrungen von Vernachlässigung, Missbrauch und anschließender Drogensucht verarbeitet.
In seinen Büchern erzählt St Aubyn von seiner schrecklichen Kindheit, der jahrelangen Heroin- und Alkoholsucht, seinen Versuchen, clean zu werden und schließlich von der Gründung seiner eigenen Familie. Die Serie bricht die Chronologie auf, sie beginnt mit dem zweiten Band "Schlechte Neuigkeiten", in dem Melrose 1982 von England nach New York reist, um die Asche seines dort verstorbenen Vaters nach Hause zu holen, und gegen alle guten Vorsätze in einem Meer aus Heroin, Quaaludes, Speed, Bourbon, Martini und peinlichen Begegnungen versinkt.

Miniserie "Patrick Melrose": Es kann nur bergab gehen
Die Rolle des Patrick Melrose markiert die Rückkehr von Benedict Cumberbatch zu dem Medium, das mit der Rolle des "Sherlock" seinen Weltruhm begründete. Überhaupt, hat Cumberbatch in vielen Interviews gesagt, gebe es eigentlich nur zwei Rollen, die er in seiner Karriere unbedingt spielen wolle: Hamlet und Patrick Melrose. Als Dänenprinz begeisterte er schon 2015 Zuschauer und Theaterkritik. Mit "Patrick Melrose" liefert dieser begnadete Schauspieler jetzt sein Meisterstück.
Keine Karikatur
In dieser Figur finden sich Spuren seines Sherlock wieder, diese merkwürdige Mischung aus sympathischer Verschrobenheit und kalter Misanthropie. Aber hier werden die charakterlichen Merkmale der Figur durch den Filter Heroin geschickt - und heraus kommt ein bestürzend genaues Porträt eines Drogenabhängigen, der sich seine Sucht wegen des Reichtums und der Stellung seiner Familie leisten kann.
Das hervorragend verknappte Drehbuch des Schriftstellers David Nicholls ("Ewig Zweiter") schickt diesen einsamen Schnösel in absurde Situationen, die immer wieder grell beleuchten, was es bedeutet, wenn der nächste Schuss alles ist, was im Leben zählt. Er verbrüht sich die Arme an heißem Badewasser, führt in der Öffentlichkeit bizarre Selbstgespräche, gerät auf die falsche Trauerfeier.
Cumberbatchs Kunst besteht darin, dass er seinen Patrick nicht zur Karikatur überzeichnet und ihn dem Gelächter preisgibt. Trotz aller Exzentrik lässt er kurze Einblicke in eine schwer verletzte, zutiefst einsame Seele zu, die ihren Schmerz nicht nüchtern ertragen kann.
Horror aus der Vergangenheit
Noch grandioser wird diese Fernseh-Sternstunde durch die Regie des Deutschen Edward Berger ("Deutschland 83"), die der Virtuosität des Hauptdarstellers ebenbürtig ist. Die Doppelbödigkeit der Geschichte verstärkt er mit einer grandios inszenierten Rückblendenstruktur, die in teils nur sekundenlangen Blitzen immer wieder die Vergangenheit ausgeleuchtet. Hier wird nichts ausgewalzt, sondern ein Horror angedeutet, der Patricks Gegenwart bestimmt.
Melroses Drogenparanoia fängt Berger in irren Slapstick-Eskapaden auf, nur um dann plötzlich mit der Kamera sehr lange und sehr genau auf seine Malaise zu schauen. Durch diese Umsicht wird die Serie zu einer einzigartigen Mischung aus Komödie, Tragödie und lupenreinem Wahnsinn - selten sah eine innere Reise origineller aus.
Alle fünf Folge von "Patrick Melrose" ab dem 29. Mai auf Sky1