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ERT-Räumung: Tränengas und Festnahmen

Foto: ANGELOS TZORTZINIS/ AFP

Räumung von griechischem Staatsfunk "Wie in einem Bananenstaat"

Nach dem harten Durchgreifen der griechischen Regierung gegen ehemalige Mitarbeiter des Staatsfunks ERT regt sich weiter Widerstand. Viele deuten die Räumung des besetzten Gebäudes als Geste an die Geldgeber in der EU.

"Es ist 5.52 Uhr morgens. Die Polizei ist hier. Willkommen, Mittelalter." Das sind die letzten Worte, die von der Radiostation des ehemaligen griechischen Staatsfunks ERT aus gesendet werden - nur Minuten, bevor Polizeitruppen das Gebäude in dem Athener Vorort Agia Paraskevi stürmen.

Drei Stunden später ist der Polizeieinsatz beendet, mehr als 50 ehemalige Mitarbeiter des Senders, die sich seit dessen überraschender Schließung im Juni in dem Gebäude verschanzt hatten, sind nach draußen gebracht worden.

Die griechische Opposition und Journalistenverbände fühlen sich durch die Räumung des ehemaligen ERT-Sitzes an die Ereignisse vom November 1973 erinnert, als die griechische Militärjunta Proteste von Studenten der Nationalen Technischen Universität in Athen, kurz Polytechnio, niederschlug. "Zehn Tage, bevor sich die Ereignisse vom 17. November jähren, wiederholt die Regierung ihren Umgang mit der Demokratie und Informationen", sagt der Präsident des landesweiten Journalistenverbandes Poesy, Giorgos Savvidis.

Aus Sicht der Regierung hat die Polizei einfach geltendes Recht durchgesetzt. "Wir folgen den Gesetzen und den richterlichen Entscheidungen", sagte Regierungssprecher Simos Kedikoglou zu SPIEGEL ONLINE. Kedikoglou, der das Aus für den Staatssender mit einer fünfminütigen TV-Ansprache bekanntgab, wies zudem die Kritik zurück, wonach das harte Durchgreifen der Regierung eine neue Welle der Empörung und des Schocks in den internationalen Medien und europäischen Hauptstädten auslösen könne.

"Wie in Bananenstaaten"

"Ich würde diese Empörten fragen: Ziehen sie die Tatsache in Betracht, dass 50 Menschen illegal ein öffentliches Gebäude besetzt hielten, ein Komplex, der der griechischen Bevölkerung gehört? Oder dass sie einfach damit weitergemacht haben, ihr illegales Programm zu senden? Wir hatten keine andere Wahl. Wir haben alles versucht, um den Konflikt friedlich beizulegen, aber es war unmöglich."

Beobachter sagen, dass die Regierung mit der Aktion eine Botschaft der Entschlossenheit sowohl an das Publikum des illegalen Senders als auch an die Kreditgeber des Landes setzen wollte. Die sogenannte Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB), war erst am Mittwoch wieder nach Griechenland gekommen, um die Voraussetzungen für die Freigabe weiterer Finanzhilfen prüfen. Die Regierung wolle bei der Gelegenheit offenbar zeigen, dass sie bereit ist, den Zorn der Verbände und Gewerkschaften auf sich zu nehmen, um die geforderten Reformen des Landes durchzusetzen.

Hochrangige Politiker, darunter der konservative Premier Antonis Samaras von der Nea Dimokratia und sein sozialistischer Koalitionspartner Evangelos Venizelos, hatten grünes Licht für den Polizeieinsatz gegeben. Doch der Umgang der Regierung mit dem ERT wird von der griechischen Öffentlichkeit vor allem als autoritär und intolerant eingestuft.

"Das erinnert doch an das Vorgehen in Bananenstaaten: Die Polizei erstürmt das Gebäude in den frühen Morgenstunden. Ihre 'Demokratie' hat gewonnen", sagt Giorgos Toulas, ein ERT-Radioveteran, der wie 2700 weitere Mitarbeiter aus Redaktion und Technik vor rund einem halben Jahr seine Arbeit verlor.

Nach dem Polizeieinsatz stellte die linksradikale Oppositionspartei Syriza ein Misstrauensvotum gegen die Regierung. Das Land müsse von seinem "katastrophalen Kurs" abgebracht werden, sagte Parteichef Alexis Tsipras im Parlament. Die Debatte über den Antrag beginnt am Freitag, die Abstimmung soll am Sonntagabend folgen.

Wahlversprechen: Alle ERT-Mitarbeiter wieder einstellen

Mit der Schließung im Juni war Griechenland das erste EU-Land, das seinen staatlichen Rundfunk abschaltete. Ihm wurde zuvor allerdings Korruption und Verschwendung vorgeworfen. In den darauffolgenden Monaten sendeten ehemalige ERT-Mitarbeiter via Internet weiter. Manche von ihnen gaben mit der Zeit auf, andere bewarben sich bei dem neuen provisorischen Sender EDT (Ellinikí Dimósia Teleórasi - "Hellenisches Öffentliches Fernsehen"), der im Juli startete.

Der Sprecher der linken Oppositionspartei Syriza, Dimitris Papadimoulis, sagte zu SPIEGEL ONLINE, die Erstürmung des Senders sei ein Zeichen von Schwäche, nicht von Stärke. "Die Regierung ist an einem toten Punkt angekommen. Die Verhandlungen mit der Troika verlaufen schlecht. Die Regierungspartei hat neuen Umfragen zufolge Wählerstimmen eingebüßt, und dieses autoritäre Durchgreifen ist ihre Antwort darauf."

Syriza hat versprochen, im Falle eines Wahlsiegs ERT wieder zu öffnen und die ehemaligen Mitarbeiter komplett wieder anzustellen. Die Regierung geht hingegen davon aus, dass die ERT-Nachfolger den Gebäudekomplex übernehmen werden. Doch die ehemaligen Mitarbeiter des Senders wollen sich damit nicht abfinden; sie haben zu weiteren Protesten aufgerufen.

Mit Material von AFP
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