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"Polizeiruf" mit Matthias Brandt: Ich, das Klischee

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"Polizeiruf" von Regiestar Christian Petzold Todeszone Mittelstand

Death Metal in der Möbelfabrik: Mit dem Münchner "Polizeiruf 110" ist Autorenfilmstar Christian Petzold ein so böses wie zärtliches Requiem für den deutschen Mittelstand gelungen. Große Krimikunst.

Die Geschichte ist so gut, man kann sie immer wieder erzählen. Oder verfilmen. Oder beides zusammen. Sie geht so: Ein Nichtsnutz-Erbe übernimmt die Möbelfabrik der Familie. Eigentlich will er die Firma schnell verkaufen, um weiter sein Nichtsnutz-Leben zu führen.

Doch dann entdeckt er sein Herz für die Arbeiter. Er erzählt ihnen von großen Aufträgen, alle spucken in die Hände. Der neue Firmenchef fährt die frisch geleimten Möbel selbst vom Hof - und verbrennt sie im Wald. Die Aufträge gibt es gar nicht. Weil die Arbeiter bezahlt werden müssen, begeht der junge Mann Bankraube.

Hat man je eine Geschichte gehört, in der Mittelstand und Anarchie so schön zusammenzugehen scheinen? Sie stammt aus dem Film "Ganz so schlimm ist er auch nicht", für den Gérard Depardieu 1975 den jungen Anarchopatriarchen gab.

Im neuen "Polizeiruf" übernimmt der Möbeldesigner Peter Brauer (Justus von Dohnányi) diese Rolle. Oder er träumt zumindest davon, diese Rolle zu übernehmen. Brauer arbeitet in der Fabrik seiner Frau. Er hatte einst große Pläne für das Unternehmen, keiner hat sich erfüllt. Jetzt wurde die Gattin ermordet, im Wald hat man ihr ein Grab aus Laub aufgeschaufelt, daneben eines für ihren ebenfalls getöteten Schoßhund.

Bierbänke statt Bio-Interieur

So landen Kommissar Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) und seine neue Kollegin Constanze Hermann (Barbara Auer) in der Möbelmanufaktur im Speckgürtel von München und treffen Chefdesigner Brauer, der während eines Verhörs den Mittelstandskrimi mit Depardieu nacherzählt. Weshalb? Weil die Geschichte zeigt, wie man den vorgegebenen Bahnen folgen kann - und doch alles anders machen kann. Freiheit und Zwang, beides ist enthalten.

Brauer kennt nur den Zwang. Einmal steht er vor seiner Modelleisenbahn in seinem Hobbyraum und klagt: "Die meisten Anlagen sind kreisförmig, und inmitten des Kreises baut man dann diese langweiligen Harmoniewelten, entsetzliche Klischees, Fabrik, Marktplatz, Feuerwehreinsatz, ein blödes Schützenfest." Dann setzt er hinzu: "Immer kreist derselbe Zug um dieselbe Welt. Nichts ändert sich, aber ich entwerfe, plane, ich suche nach neuen Möglichkeiten."

Um die neuen Möglichkeiten war es für Brauer in der eigenen Firma nicht gut bestellt. Statt Inneneinrichtungen für Biowinzer, so zwischenzeitlich die Strategie für das Unternehmen, schraubte man vor allem Bierbänke zusammen. Mit der Möbelfabrik ging es bergab. Jetzt stehen - auch so ein wahres Klischee vom deutschen Mittelstand - ausländische Investoren vor der Tür.

Derrick ohne Derrick

Geschrieben und gedreht wurde dieser detailfreudige "Polizeiruf" von dem Autorenfilmstar Christian Petzold, der zuletzt mit seinem Entnazifizierungs-Melodram "Phoenix" Erfolge im Ausland feierte. Sein Krimi aus der bröckelnden Welt der bayerischen Bourgeoisie ist nun auch eine Rückkehr zu seinem alten Topos: die verwitterten Wohlstandszonen der alten BRD. Die hatte Petzold zum Beispiel schon in seinem Terroristenpsychogramm "Die innere Sicherheit" oder in seinem Auto-Schuld-und-Sühne-Drama "Wolfsburg" großzügig vermessen.

Das Tolle an Petzolds "Polizeiruf"-Premiere: Auf den ersten, flüchtigen Blick wirkt das Münchner Unternehmersoziotop samt ödipal verstrahltem Söhnchen, Geliebter aus dem Milieu und gusseiserner Umzäunung der Familienvilla wie aus einer "Derrick"-Folge. Doch dann entwickelt sich aus dem Ineinander von Gerüchten und Geschichten, von Offenbarungen und Referenzen eine komplexe Studie über Aufbegehren und Konformität. All der Kampf ums Ideal rettet Brauer doch nicht vor der Erkenntnis über die eigene Berechenbarkeit. Ich, das Klischee.

Christian Petzold erzählt mit provozierend ruhigem Atem und lässt auch seine Figuren so erzählen; es gibt keinen Soundtrack-Kit, mit der die weit ausholende Charakterstudie zusammengeleimt wird, mit der die langen Monologe emotionalisiert werden. Die wenige Musik in dieser Fernsehproduktion ist, wie in den meisten Filmen von Petzold für das Kino, den Handlungsorten selbst abgerungen.

Im griechischen Restaurant säuselt Lale Andersen "Ein Schiff wird kommen", aus der Jukebox des militant melancholischen Möbelbauers Brauer hallt 10CCs "I'm Not in Love", in der Fabrikhalle sägt italienischer Death Metal. Willkommen in der Todeszone des deutschen Mittelstands.


"Polizeiruf: Kreise", Sonntag, 20.15 Uhr, ARD

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