
"Polizeiruf" aus München: Jeder stirbt für sich allein
München-"Polizeiruf" über Pflegenotstand Umsonst ist nur der Kot
Die Zeit ist ein Arschloch. Rennt einem weg, wenn das Leben richtig gut ist. Klebt an einem, wenn es unerträglich wird. So wie bei den alten Leuten, die sich im Münchner Pflegeheim Johannishof nach erfülltem Erwerbsleben als Unternehmer, Lehrer oder SEK-Beamte sediert, orientierungslos und verzweifelt über die nächtlichen Gänge schieben, weil kein Personal da ist, das sie leiten könnte.
Mittendrin in der ruhelosen Agonie: Kommissar Hanns von Meuffels (Matthias Brandt), der in einer dieser nicht enden wollenden Nächte den Johannishof aufsucht, nachdem ihm eine Bewohnerin (Elisabeth Schwarz) auf dem Polizeipräsidium erklärt hat, dass ein Mitbewohner erschlagen worden sei. Im Heim lachen die überforderten Pfleger nur traurig: Solche Geschichten denke sich die verwirrte Alte immer wieder aus, und natürlich schlage hier immer wieder jemand irgendwo auf, weil am Personal gespart werde und man die siechen Bewohner unmöglich alle im Blick behalten könne.
Doch das reicht von Meuffels nicht als Erklärung. Er erkennt in dem Unfalltod eines Alten tatsächlich Spuren von Gewalteinwirkungen und verbringt die Nacht zwischen den dementen und gedemütigten Bewohnern. Warten auf den Tod, da zieht sich die Zeit besonders boshaft.
Thelonious Monk allein gegen die Zeit
Dabei fährt dieser "Polizeiruf" (Buch: Ariela Bogenberger, Astrid Ströher) ein paar starke Tricks auf, um sich aus den sadistischen Pranken der Zeit zu befreien. Gleich am Anfang gibt es eine Vorblende zum Ende des Krimis, in der die Bilder in Slow Motion rückwärts laufen. Ein wunderbarer Angriff auf die Zwänge der Zeit sowie den chronologischen Klammergriff klassischer Erzählungen. Und auf dem Weg ins Pflegeheim hören die Alte und der Kommissar im Auto in aller Ruhe einen Thelonious-Monk-Song, in dem der Jazz-Pianist die Tempi aushebelt, als wäre es das Leichteste der Welt.

"Polizeiruf" aus München: Jeder stirbt für sich allein
Dieser Krimi ist todtraurig. Und höchst vital. Man fühlt sich stark an die Folge erinnert, in der von Meuffels im Jahr 2012 unter Medikamenteneinfluss im Krankenhaus Missstände im Gesundheitswesen aufdeckte. Auch in diesem Jazz-und-Pflegenotstand-"Polizeiruf" wird nun einerseits leger eine extrem hohe atmosphärische Dichte geschaffen. Andererseits trägt der Film aber auch beflissen Fakten zum politischen Dauerbrenner zusammen.
Regisseur Rainer Kaufmann, der in seiner Münchner "Tatort"-Episode über Panzerdeals unlängst etwas sehr lax Klischees über arabische Prinzen und deutsche Waffenlobby zusammenrührte, findet hier die richtige Balance zwischen Kunst und Kritik. Er inszeniert die vergessenen Alten als starke Charaktere mit starken Biografien, die vergeblich um Restwürde und Restautonomie streiten.
Die überforderten Pfleger kommentieren derweil die Mängel des Systems, in dem die Alten lediglich Nummern eines unübersichtlichen Verteilungsschlüssels sind: "Einige kommen in die nächsthöhere Pflegestufe, aber das Geld kommt trotzdem nicht bei ihnen an." Viele haben keine Familie, und wer doch eine hat, sieht sie nicht. Nach dem Tod des gestürzten Alten sagt ein Pfleger, dass man die Angehörigen erst später informiere, da diese nicht in der Nacht gestört werden wollten.
Und von Meuffels? Der regt sich über das System auf - und desinfiziert sich hysterisch die Hände, als er mit einer benutzten Windel in Berührung kommt in diesem penibel durchgerechneten System der Altenverwahrung. Umsonst in nur der Kot. Sagen wir es, wie es ist: Hanns von Meuffels ist in diesem "Polizeiruf" ein Mann zwischen Empathie und Ekel, der auch nichts daran ändern kann, dass jeder für sich allein stirbt.
Bewertung: 9 von 10
"Polizeiruf 110: Nachtdienst", Sonntag, 20.15 Uhr

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