"Polizeiruf" über religiösen Wahn Gottes Nerd und Teufels Beitrag

Der Mörder, der als Heiliger verehrt wird: Das deutsch-polnische "Polizeiruf"-Team jagt einen selbst ernannten Propheten. Krimi-Trip in den christlichen Fundamentalismus.
Von Gott auserwählt oder vom Teufel besessen? Jonas beim Exorzismus durch einen Pfarrer

Von Gott auserwählt oder vom Teufel besessen? Jonas beim Exorzismus durch einen Pfarrer

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Arnim Thomaß/ rbb

Die Empfängnis war angeblich unbefleckt, die Geburt wird zum Blutbad. Im Krankenhaus von Frankfurt (Oder) liegt eine 16-Jährige, die in der 21. Woche schwanger ist, aber nicht erklären kann oder will, wie sie es geworden ist. Im Krankenhaus soll ein Spätabbruch der Schwangerschaft stattfinden, doch während eines Feueralarms schleicht sich ein junger Mann, der sich für einen Propheten hält, in den Operationssaal und schneidet der jungen Frau vor laufender Handykamera das Kind aus dem Bauch.

Die Mutter stirbt wenig später, das Kind überlebt. Dabei hatten die Ärzte eine Krankheit diagnostiziert, mit der es eigentlich nicht hätte überleben dürfen, deshalb durfte der Abbruch zu diesem späten Zeitpunkt durchgeführt werden. Doch da liegt das Neugeborene nun ein paar Stunden nach dem Attentat mit lebenshungrigen Augen im Brutkasten, und hinter dem Ohr trägt es ein schwarzes Mal, so wie der junge Mann es zuvor in Videos, nun ja, prophezeit hatte. Selbst die Ärzte sagen: "Es ist ein Wunder."

Auf einmal feiern die frommen polnischen Katholiken, die sich zuvor vor dem deutschen Krankenhaus versammelt hatten, um gegen den Spätabbruch zu demonstrieren, den Frauenmörder als Heiligen. Halleluja.

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Last Exit Exorzismus

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Klar, Wunder gibt es immer wieder. Aber dieser "Polizeiruf" hat einige zu viel davon im Plot. Dabei stören gar nicht so sehr die zum Teil übernatürlich anmutenden Geschehnisse, denn wie jeder gute Glaubenskrimi muss uns auch "Heilig sollt ihr sein!" unplausible Handlungselemente zumindest über Strecken plausibel erscheinen lassen, damit wir uns in die religiösen Wahnvorstellungen der Hauptfigur einzufühlen vermögen.

Und weggeweht ist die Glaubwürdigkeit

Doch es gibt in diesem "Polizeiruf" mit dem deutsch-polnischen Ermittlerteam um Olga Lenski (Maria Simon) und Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) einfach zu viele wundersame Wendungen auch im Krimi-Plot - von ungesicherten Krankenhäusern bis sperrangelweit offen stehenden Gefängnistüren. Der fromme Fantast überwindet alle weltlichen Sperren und Grenzen, so als wäre er tatsächlich so was wie ein Heiliger Geist. Als glaubwürdiger psychologischer Charakter weht er uns spätestens im letzen Drittel des Films davon.

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Dabei ist er in seiner Anlage hochinteressant. Wie sich dieser Jonas (Tom Gronau) mit biblischem Spezialistenwissen eine Zweitidentität als Wiedergänger des Propheten Elia zusammengebastelt hat und wie er als dieser in sozialen Netzwerken die Menschen auf den rechten Pfad zurückbringen will, das rührt in seiner Weltverlorenheit durchaus an - auch wenn der christlich fundamentalistische Geek durch sein Wirken denkbar grausam auf seine Umwelt einwirkt. Ein Mechanismus, den die Filmemacher mit dem Willen zum blutigen Okkulthorror umsetzen: Gottes Nerd und Teufels Beitrag.

Teufelsaustreibung, die den Teufel zum Leben erweckt

Das Drehbuch schrieb Hendrik Hölzemann, der vor Kurzem den Saar-"Tatort" als grimmiges Gesellschaftsstück neu erfunden hat. Regie führte Rainer Kaufmann, der zuletzt einen kunstvoll improvisierten "Polizeiruf" zum Thema Pflegenotstand gedreht hat. Die Grundidee zu "Heilig sollt ihr sein!" stammt indes von Matthias Glasner, der gerade die zweite Staffel der Sky-Serie "Das Boot"  gedreht hat und zuvor in Filmen wie dem Vergewaltigerdrama "Der freie Wille" rigoros Täterperspektiven eingenommen hat. Auch der aktuelle "Polizeiruf" ist am konsequentesten, wenn sich die Filmemacher trauen, in der Logik der Hauptfigur zu bleiben; wenn wir ein paar riskante Augenblicke lang in dem Eiferer einen Erlöser zu erkennen glauben. Der Film besitzt tatsächlich ein paar dieser verstörenden What-if-Momente.

Etwa wenn sich der Möchtegern-Elia dem Exorzismus eines Paters stellen muss, den seine Mutter für ihn bestellt hat. Das ist eine Szene, die allem Hokuspokus in diesem "Polizeiruf" zum Trotz stark die fatalen seelischen Deformationen aufzeigt, die fundamentalistischer Glaube hervorbringen kann. Es ist die Teufelsaustreibung, die den Teufel zum Leben erweckt.

Bewertung: 6 von 10 Punkten

"Polizeiruf 110: Heilig sollt ihr sein!", Sonntag, 20.15 Uhr, ARD

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