Deutsch-polnischer »Polizeiruf« Ist der Immobilienhai die KZ-Dogge von heute?

Eine Immobilie in Cottbus soll luxussaniert werden – und der jüdische Vorbesitzer gerät in eine mörderische Auseinandersetzung. Dieser »Polizeiruf« löst das große Thema viel zu versöhnlich auf.
Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) mit Zvi Spielmann (Dov Glickman): »Wie lebt man damit?«

Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) mit Zvi Spielmann (Dov Glickman): »Wie lebt man damit?«

Foto: Maor Waisburd / rbb

Im polnischen Slubice wird die Leiche einer Frau gefunden, sie liegt zwischen entsorgten Asbestresten. Mit der Leiche sollten wohl auch Hinweise auf Schuld und Unrecht aus der Zeit des »Dritten Reiches« verschwinden. Die Tote war Bauingenieurin und in ein schwieriges Projekt im brandenburgischen Cottbus involviert, bei dem es um ein altes Wohnhaus ging, das einer jüdischen Familie gehört hatte. Die Ingenieurin verfügte möglicherweise über alte Dokumente zum Haus.

Auf den ersten Blick ein wahnsinnig komplexer Fall, den der polnische Kommissar Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) nach dem Abgang seiner deutschen Kollegin Olga Lenski (Maria Simon) fast im Alleingang aufzuklären hat. Es muss zwischen Polen und Deutschland, zwischen Opfern und Tätern, zwischen gestern und heute ermittelt werden. Motorradfahrer Raczek agiert entsprechend agil zwischen all den Orten und Zeiten; wenn es besonders schnell gehen muss, nimmt er das Bike.

Gerichtsszene im »Polizeiruf«: Alle legalen Mittel – und auch ein paar illegale

Gerichtsszene im »Polizeiruf«: Alle legalen Mittel – und auch ein paar illegale

Foto: rbb/Maor Waisburd

Aber diese Rasanz, mit der in diesem »Polizeiruf« am Ende historische Verbrechen und individuelle Schuld aufgelöst werden sollen, ist leider auch sein Hauptproblem. Dazu später mehr.

Kleines Lob vorweg: Dass die Schöpfer des Films (Buch: Mike Bäuml, Regie: Dror Zahavi) im Laufe der Handlung einen Holocaust-Überlebenden ins Zentrum rücken, ist ein starker Dreh; die jüdische Perspektive ist in Fernsehkrimis zu dem Thema meist nur angerissen oder gleich ganz ausgespart. Hier wird sie von der Figur des Zvi Spielmann (Dov Glickman) eingenommen: Der alte herzkranke Herr kehrt mit seiner Tochter aus Israel nach Cottbus zurück, um dort um das Wohnhaus zu streiten, in dem er als kleiner Junge lebte, bevor der gesamte Rest seiner Familie deportiert und ermordet wurde.

Immobilienhai mit malmendem Kiefer

Nun soll die Immobilie Teil eines Luxus-Karrees werden. Hinter dem Projekt steht ein Investor, der mit seinem malmenden Kiefer die Bezeichnung Immobilienhai mehr als verdient. Das Ekel hatte den alten Spielmann über die Jewish Claims Conference, die Entschädigungsansprüche Holocaust-Überlebender vertritt, ausfindig machen lassen – aber mit dem Plan, ihn eben nicht angemessen zu entschädigen, sondern über den Tisch zu ziehen.

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Foto: SWR/Daniel Dornhöfer

Offensichtlich existiert eine Art Schenkungsurkunde aus der Zeit des »Dritten Reichs«, die Spielmanns deutsche Freundin aus frühen Kindertagen zur Besitzerin der Immobilie macht: Elisabeth Behrend (Monika Lennartz) wohnte einst in der Nachbarwohnung und spielte mit Spielmann gemeinsam auf der Straße. Sie ist heute die offizielle Besitzerin des Hauses, das nun eben vom Immobilienhai ins Visier genommen wird. Und der schöpft alle legalen und wohl auch ein paar illegale Mittel aus, Abendessen mit dem zuständigen Richter inklusive.

Einmal schreit der Immobilienmann den Holocaust-Überlebenden an: »Am Arsch!« So haben nach Erinnerung Spielmanns auch die KZ-Wärter gewütet, die den Mord an seiner Familie kontrollierten. Der Immobilienhai als Nazi-Wachhhund von heute?

Kommissar als Traumata-Begleiter

Um die schwierigen Besitzverhältnisse zu klären, muss der alte Herr aus Israel tief in seine Traumata hinabsteigen – und der Pole Raczek wird dabei zu seinem Begleiter. Einmal stellt Raczek in Bezug auf Spielmanns im KZ ausgelöschte Familie die Frage: »Wie lebt man damit?« Und als der Befragte nur sarkastisch stöhnt, droppt Raczek die eigene Verbindung zu den von den Nazis verübten Gräueln: »Mein Großvater ist von den Deutschen verschleppt und hingerichtet wurden – ist bis heute ein großes Thema in der Familie.«

Der Clash des jüdischen Opfers mit dem Rechtssystem des Landes der Täter wird hier abgefedert, indem man dem polnischen Polizisten mal schnell und ohne Konsequenzen eine Opferidentität in die Biografie schreibt, über die er sich dann stellvertretend dem Leid des Holocaust-Überlebenden nähern kann. Da tut die Aufarbeitung dem deutschen Fernsehpublikum nicht so weh.

Noch mutloser geschrieben und inszeniert ist die Konfrontation zwischen dem alten Spielmann und der alten Behrend. Die beiden schwelgen in Erinnerungen an die alte Zeit, die Frau bittet den Mann um Absolution. Kann die Erinnerung ans kindliche Glück den Zivilisationsbruch vergessen machen?

Einige recht ähnlich angelegte Sonntagskrimis haben in letzter Zeit gezeigt, wie sich mit knappem, präzisem Strich schuldhafte Verstrickungen aus der Nazizeit schmerzhaft in der Gegenwart manifestieren lassen. In der Berliner »Tatort« Folge »Ein paar Worte bis Mitternacht« reichte etwa das Gesicht einer alten Dame, um darin die Schuld zu spiegeln, die sie in Jugendtagen auf sich geladen hatte. Schuld, die nicht vergeht.

Der neue »Polizeiruf« versucht da hingegen trotz plakativer Zuspitzungen und mit dramaturgischer Schützenhilfe aus Polen den versöhnlichen Ausstieg in die Sonntagnacht hinzubekommen. Unangemessen bei dem großen Thema.

Bewertung: 4 von 10 Punkten

»Polizeiruf 110: Hermann«, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste

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