»Polizeiruf«-Abschied von Charly Hübner Knast, Tod oder Flucht nach Sibirien

Charly Hübner als Kommissar Bukow: Tag der Abrechnung
Foto: Christine Schroeder / NDRDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Kuscheln am Höllenfeuer, Party am Abgrund: So könnte man den eigentümlichen Wohlfühlfaktor des Rostock-»Polizeirufs« beschreiben, der in dieser besonderen Folge noch mal auf die Spitze getrieben wird. In einer Szene gibt der Kommissar höchstselbst den Mord an einem Mafioso in Auftrag, in der nächsten fällt die Kollegin des Kommissars vor diesem auf die Knie, um ihm einen Heiratsantrag zu machen.
Das Tolle ist: Weder wirkt die eine Szene überzogen, noch ist die andere kitschig. Solche Zuspitzungen kriegen sie nur beim »Polizeiruf« mit Anneke Kim Sarnau und Charly Hübner hin, ohne dass man denkt: Jetzt sind die Drehbuch-Autorinnen und Autoren völlig durchgedreht.
Gerne hätte dieses ganz spezielle und wärmende »Polizeiruf«-Höllenfeuer bis in alle Ewigkeit weiter knistern dürfen. Doch im März gab Hübner bei einem SPIEGEL-Interview bekannt , dass er aus der Krimi-Reihe aussteigt. Nach der Ankündigung drehte er dann diesen 24. und letzten gemeinsamen Rostock-»Polizeiruf« mit Sarnau, in dem alle verqueren Gefühle und ungelösten Konflikte aus den Folgen zuvor noch mal hochgespült werden.
Tag der Abrechnung
Denn bei den von Sarnau und Hübner verkörperten König und Bukow war es ja immer so: Je mehr Fälle sie unter grober Gewaltanwendung lösten, desto opulenter summierten sich in diesem einzigen wirklich horizontal erzählten deutschen Fernsehkrimi die Kollateralschäden zu einem gigantischen Scherbenhaufen. Kaputte Beziehungen, dienstliche Vergehen und moralische Verfehlungen gab es im Rostock-»Polizeiruf« seit 2010 in Reihe. Und für Hübners Bukow ist es nun eben an der Zeit, die Scherben zusammenzufegen.

Kommissarin König (Anneke Kim Sarnau) mit Musiker Jo Mennecke (Bela B. Felsenheimer): Lindi lässt grüßen.
Nach dem Mord am zwielichtigen Manager des Miau-Musikklubs wird Bukow noch mal mit der eigenen kriminellen Herkunft konfrontiert. Denn der Tote war gut bekannt mit Bukows »Vadder«, der ja noch bis zu seinem Tod die schillernde Unterweltgröße gab. Eigentlich sollte das Mordopfer die Geschäfte des Alten übernehmen; in die frei werdende Position drängt nun der serbische Mafioso Subocek (Aleksandar Jovanovic), der schon in der Episode »Feindbild« im Jahr 2011 eine Rolle spielte. Wurde damals natürlich eingebuchtet, schmollte seitdem im Knast und erscheint nun eben umso ausgeschlafener und aggressiver wieder auf der Bildfläche.
Grüße aus der Vergangenheit
»Keiner von uns« ist wie ein Echoraum, in den etliche Bezüge aus alten König/Bukow-Folgen hineinwehen. Für Regie und Drehbuch zeichnete Eoin Moore verantwortlich, der in der Anfangszeit den rabiat-zarten Tonfall im TV-Revier setzte und seitdem einige der besten Folgen gedreht hat. Moore und seine Co-Autorin Anika Wangard schaffen es, die locker flatternden Erzählfäden zu bündeln, ohne dass das alles zu konstruiert wirkt – auch wenn man das Krimi-Wundertütchen und Abschiedsgrüßchen aus der Ergriffenheit des historischen Moments vielleicht ein wenig zu voll gepackt hat.
In Verdacht gerät im Krimi zum Beispiel auch der Musiker Jo Mennecke, der kurz nach dem Mord die Bühne des Miau-Klubs bestiegen hat. Der Ärzte-Schlagzeuger Bela B. Felsenheimer gibt den Typen als Deutschrock-Leiche mit Zopf-Applikation; als Schmalspur-Lindenberg, der Alkoholentzug und Comeback-Versuch versemmelt hat. Das ist ähnlich drollig anzuschauen wie der dümmliche deutschtümelnde Möchtegern-Mafioso, der sich »der Falke« nennt und mit Sprüchen wie »Rostock den Rostockern« dem serbischen Gangster die Vormacht im Rotlichtmilieu streitig machen will.
Judgment Day in Rostock
Letztendlich lenken diese grotesken Gestalten vom emotionalen Zentrum der Geschichte ab. Und das liegt bei Bukow und seiner hochgradig ambivalenten selbst gesteckten Aufgabe: Er muss aus Verpflichtung gegenüber seinem toten Vater die Dinge im Rotlichtmilieu regeln, während er gleichzeitig mit seiner Kollegin eine reguläre Beziehung eingehen will – gemeinsames Zähneputzen nach Gewalteinsätzen und vor dem Schlafengehen inklusive.
Wir können hier nicht mal spoilern, wie die gewagte Doppelstrategie ausgehen könnte, da nur 70 Minuten des »Polizeirufs« vorab zur Verfügung standen. Eine gemeinsame Zukunft von König und Bukow ist allem Zähneputzen und Brautwerben zum Trotz schwer vorstellbar, denn Darstellerin Sarnau bleibt dem Rostocker »Polizeiruf« erhalten – sie wird demnächst als Duo mit Lina Beckmann ermitteln, die im richtigen Leben mit Charly Hübner verheiratet ist und im »Polizeiruf« schon mal als Schwester von dessen Bukow in Erscheinung getreten ist. Gut vorstellbar, dass sie das Höllenfeuer am Knistern hält.
Für Bukow selbst bleiben drei realistische Möglichkeiten, wie sein Judgment Day zu Ende geht: Knast, Tod oder Flucht nach Sibirien, wo sein russischstämmiger Vater vor dem Tod noch ein Stückchen Land erworben haben soll.
Bewertung (für die ersten 70 Minuten): 8 von 10 Punkten
»Polizeiruf 110: Keiner von uns«, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste

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