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Gauck-Debatte bei Will: Rundgeklöppelt nach Bellevue?

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Präsidentendebatte bei Anne Will So toll ist Gauck auch wieder nicht

Konsens über den Kandidaten? Über Joachim Gauck kann es durchaus Dissens geben. Das zeigt sich bei Anne Wills Talk über den nächsten Bundespräsidenten. Munter und bisweilen sogar geistreich geht es beim Abwägen von Freiheit und sozialer Sicherheit zu.

Na bitte, es geht doch. Kaum ist das Personalproblem gelöst, lässt sich auch wieder auf angemessenem Niveau über ein paar Grundsätzlichkeiten sprechen, die das höchste Amt im Staat betreffen, und noch so einiges mehr. Und das hat offenkundig damit zu tun, dass der designierte Amtsinhaber, noch bevor er sein erstes präsidiales Wort geäußert hat, bereits jenes Etikett dementiert, das ihm nach seiner denkwürdigen Ausrufung etwas voreilig angeheftet worden war. Nein, Joachim Gauck ist alles andere als ein Konsenskandidat.

Spätestens seit der Talkrunde bei Anne Will dürfte das nun auch den Fernsehzuschauern klar sein und nicht nur denjenigen, die seit Tagen die einschlägigen Debatten im Internet verfolgen, wo Parolen wie "Gauck geht gar nicht" oder "Gauck, nein danke" die Stimmungslage der kritischen Online-Öffentlichkeit illustrieren.

Diese digitale Durchleuchtung des Kandidaten anhand früherer Äußerungen und Zitate lieferte dann auch das Muster für den analogen Präsidenten-Check. Und dabei stellte sich rasch heraus, dass die Frage der Gastgeberin, ob der nächste Schlossherr von Bellevue wohl unbequem bleiben oder irgendwann "rundgeklöppelt" sein werde, mehr rhetorischer Natur war. Denn der Stoff zum Dissens, den der einstige DDR-Dissident bereits jetzt sozusagen leibhaftig bietet, erwies sich als durchaus beachtlich. Und entsprechend munter und bisweilen sogar geistreich verlief die Diskussion, was nicht zuletzt an der interessant gemischten Teilnehmerschaft lag.

Da hatte sich ein junger Mann namens Christian Berg, Vorsitzender der Berliner Jusos und erklärter Gauck-Gegner, mit keinem Geringeren auseinanderzusetzen als Heinrich August Winkler, dem gegenwärtig renommiertesten deutschen Historiker. Und Vera Lengsfeld, wie Gauck Bürgerrechtlerin a.D., kollidierte irgendwann mehr oder minder ungebremst mit Edith Franke, einer früheren DDR-Propaganda-Funktionärin, die heute für die Linke im sächsischen Landtag sitzt. Da wurde es dann zeitweise ein wenig heftig - für manchen Westdeutschen eine womöglich überraschende Erinnerung daran, dass es bis heute unter den Bürgern des untergegangenen anderen deutschen Staates etliche unbewältigte Konflikte gibt, nicht zuletzt und vor allem wegen des Wirkens eben jener Stasi-Unterlagenbehörde und ihres ersten Chefs, der nun Präsident aller Deutschen werden soll.

"Einer, der sich was traut"

Dieser spezifische Faktor Ost bildet zugleich aber auch die Referenzgröße für die aktuellen Fragen nach Gaucks gesellschaftlichem und politischem Standort: Ob er aufgrund seiner Prägung durch den unfreien Unrechtsstaat nicht einen übertriebenen, elitären, neoliberalen Freiheitsbegriff verficht und zu wenig Wert auf Solidarität und das Soziale legt.

Das ist ja nun tatsächlich ein Thema von Gewicht. Man dürfe nicht den Fehler machen, die Freiheit gegen die soziale Sicherheit auszutauschen, mahnte mit Blick auf die DDR Historiker Winkler, denn ohne die Freiheit lasse sich Gerechtigkeit nicht gestalten. Das sah auch Frau Lengsfeld so, nicht aber der Philosoph Richard David Precht, der es mittlerweile zum publikumswirksamen Status einer eigenen moralischen Instanz gebracht hat. Freiheit ohne Chancengleichheit für alle werde zur Freiheit der Privilegierten, warnte er sehr ernst und gab zu bedenken, ob es denn richtig sei, mehr als 20 Jahre nach dem Mauerfall einem Freiheitsbegriff anzuhängen, der sich aus der Negativerfahrung herleite. Er wolle aber Herrn Gauck deswegen nicht "vorverurteilen". Der werde sicherlich ein starker Präsident sein, da er als gefestigte Persönlichkeit und guter Redner mit hinreichender Politikferne und Glaubwürdigkeit über vier erhebliche Vorzüge verfüge.

Im übrigen war man sich mehr oder minder darüber einig, dass nicht alles, was der einstige Beinahe- und nun Bald-Präsident je gesagt hat, auf die Goldwaage gelegt werden dürfe, ob es nun Sarrazin oder die Integration betreffe. "Zeit"-Chef Giovanni di Lorenzo äußerte den Gedanken, dass schließlich das Amt auch den Menschen präge und nicht nur dieser das Amt. Jedenfalls sei Gauck einer, mit dem sich trefflich streiten lasse, "einer, der sich was traut". Konformismus gebe es sowieso viel zu viel. Winkler gab zu bedenken, dass ein Präsident nicht auf Konsens zurückgreifen, sondern diesen stiften müsse, so wie es etwa Heinemann und Weizsäcker vermocht hätten. Und selbst Juso Berg räumte ein, mit einem Staatsoberhaupt leben zu können, das er nicht möge, da es sehr konservativ sei und nicht zum SPD-Programm passe.

So wurde denn aus dem Dissens beinahe wieder ein Konsens - auf den Punkt gebracht von di Lorenzo durch das leicht pathetische Bekenntnis, er finde die Kritik an Gauck ebenso gut wie diesen selbst, dessen Ernennung durch die fünf Parteien einen "Siegeszug für die Demokratie" bedeute.

Dies allerdings sah der Philosoph dann doch ein wenig anders. Mit einigem Sarkasmus referierte Precht das paradoxe Zustandekommen dieser Personalentscheidung, nachdem die Rede nahezu unvermeidlich noch einmal darauf gekommen war, weshalb nur, um alles in der Welt, die Kanzlerin diesen Präsidenten zunächst partout nicht haben wollte. Während Winkler mit professoraler Zurückhaltung meinte, Frau Merkel habe sich korrigieren müssen, und Frau Lengsfeld von einer "List der Vernunft" sprach, fiel Precht für die Charakterisierung jener partei- und koalitionsinternen Vorgänge, die letztlich den Weg frei machten für den Kandidaten Gauck, nur ein etwas weniger wohlwollendes Wort ein: "Das war Schmierentheater".

Ach ja, und darüber, dass es dringend notwendig sei, endlich ein besseres Verfahren zur Bundespräsidentenwahl zu ersinnen, wurde auch diesmal wieder, wie schon so oft, geredet. Nach Lage der Dinge ist aber davon auszugehen, dass diese Debatte spätestens am Abend des 18. März beendet sein wird - zumindest bis auf weiteres.

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