"Prince Charming" im Porträt Die neue Prinzenrolle

"Prince Charming" Nicolas Puschmann: im echten Leben ist der 29-Jährige Außendienst-Logistiker für medizinische Produkte
Foto:Arya Shirazi/ picture alliance/dpa
Spoilerwarnung: Der folgende Text verrät den Gewinner von "Prince Charming".
Gerade jetzt, wo wir ihn so dringend bräuchten, lässt uns der TV-Trash im Stich. Der quietschende Fluchtwagen, der uns für eine Sendungslänge in eine parallele, erfreulich simpel strukturierte Quatschwelt entführen kann, die so überschaubar ist wie der Bauplan eines "Big Brother"-Containers - wenn er gut gemacht ist.
Doch das Angebot an entsprechenden Formaten ist aktuell leider eher unerfreulich, weil ihre Protagonisten unerfreulich sind: Krakeelende Zeterputen, grabschende Senatorengreise und ekelhafte Alphawürstchen mobben sich so grellordinär durch das Sat1-Format "Promis unter Palmen", dass es selbst für Freunde des Genres schwer erträglich ist. Davor hielt schon ein ungelenker "Bachelor" die Schmuse-Anwärterinnen in unangenehm patriarchaler Pose irrtümlicherweise für sein persönliches Bespaßungspersonal. Beide Formate stellen Umgangsformen und Weltbilder zur Schau, an denen nichts unterhaltend ist.
Dass Trash-Fernsehen allerdings nicht zwingend Sozialmüll produzieren muss, zeigt "Prince Charming", das erste schwule Datingformat, das heute auf Vox startet (nachdem die erste Staffel im vergangenen Herbst bereits im Bezahlbereich der RTL-Streamingplattform TV-Now gelaufen war). Bis auf den Umstand, dass das Balzpersonal ausschließlich aus Männern besteht, folgt das Bauprinzip von "Prince Charming" dem klassischen "Bachelor"-Format.
Auch die genretypischen dramaturgischen Zuspitzungen, Ausraster und Beharkungen fehlen nicht, trotzdem ist die Grundstimmung ungewohnt freundlich. Und so respektvoll, wie man die Grundidee - das Sortieren einer Gruppe von Menschen nach Attraktionsmaßstäben – eben umsetzen kann.
Ambivalenzen, selbst in schwerstverkitschten Szenen
Das liegt auch an Nicolas Puschmann, der den "Prince" gibt. Er ist 29 Jahre alt, arbeitet als Außendienst-Logistiker für medizinische Produkte und ist schon deshalb ein eher untypischer Trash-TV-Protagonist, weil es ihm als "Prince" gelingt, gänzlich unverkichert über Themen wie Analwaxing zu sprechen. "Würdevoll schamlos" nennt er das bei einem Gespräch in einem Düsseldorfer Café im Februar, und tatsächlich fehlt den meisten Trash-TV-Mitwirkenden ja entweder die eine oder die andere dieser beiden Komponenten. Die Bedienung bringt die Weinschorle und Puschmann spricht seinen Satz stockerfrei weiter, es geht um Klistierspritzen, denn warum auch nicht.
Als "Prince" ist er der groben Stanzschublade entkommen, mit der in ähnlichen Formaten gern das Datingpersonal für die Storylines in Form gebracht werden: Man ist dann zum Beispiel die Zicke oder der Dümmliche, viel Spielraum gibt es innerhalb dieser Figur nicht. "Prince Charming" gönnt sich und seinem Titelcharakter unerwartete Ambivalenzen: Er wird inszeniert, wirkt aber auch natürlich – selbst in schwerstverkitschten Szenarien wie einem Date in einer überschwemmten Grotte, wo Puschmann bis zum Bauchnabel im Wasser steht und seiner Verabredung ein romantisches Ständchen singt.
Puschmann nimmt sein Format – und dessen Teilnehmer – ernst, er hält nicht zurück, hat aber gleichzeitig die nötige, auch ironische Distanz dazu, die man in den Hetero-Varianten des Bachelorversums und bei "Love Island" oft so schmerzlich vermisst, weil dort alle ernsthaft so tun, als seien nicht schon die Begriffe "Nacht der Rosen" und "Paarungszeremonie" komplett lächerlich. Die Begründungen, die er bei diesen festlichen Rauswürfen gebe, seien natürlich "auch ein bisschen absurd", sagt Puschmann: "Man kennt sich ja wirklich kaum, was soll man da sagen? Einmal habe ich gesagt: 'Wir passen gut zusammen, denn ich mache Sport und du machst Sport' – das ist natürlich kurz vor 'Ich atme, du atmest auch – oh mein Gott, it’s a match!'"

Puschmann hüpft gern zwischen Reality und Wirklichkeit. "Heute für 'Die Passion' proben und mich morgen wieder bei meinem Job im Außendienst mit Umsatzzahlen beschäftigen – ich feiere das, diese zwei Welten", sagt er – Corona-bedingt wurde "Die Passion", RTLs österlich-christliches Singspiel, ein paar Wochen später abgesagt, Puschmann sollte darin einen Jünger spielen (und Alexander Klaws, der erste Gewinner von "Deutschland sucht den Superstar", den dazugehörigen Heiland). Die klassische "Bachelor"-Aftershowkarriere als Influencer kann er sich nicht vorstellen: "Ich möchte keine Rabattcodes auf Instagram verteilen und sagen: Mit Puschi20 zahlt ihr heute 20 Prozent weniger."
"Alle Hetero-Männer von 'Temptation Island' sehen schwuler aus"
Als er im vergangenen Jahr während eines Ausgehabends in Köln von der "Charming"-Produktion angesprochen wurde (mit dem "Bravo"-Lovestory-reifen Eröffungssatz "Hast du Lust, dich im Fernsehen zu verlieben?"), sei er sich erst nicht sicher gewesen, ob er da wirklich mitmache sollte: "Ich hatte die Befürchtung, das könnte ein richtig trashiges Gay-Format werden. Allein der Name schon! Dann dachte ich, was hast du zu verlieren, außer deinem Gesicht? Und ich dachte: Ist doch lustig."
Das denkt er öfter, auch als "Prince". Eine Abwechslung zu den meisten Hetero-Datingformaten mit ihrer hartnäckig behaupteten, bitterernsten Männlichkeit (und ebenso schrecklicher, humorloser Schmiegsam-Weiblichkeit), die nur ganz ausnahmsweise mal für einen kleinen Moment weich und schrumpelig wird, wenn sie zu lange im heißen, schaumig aufgeschlagenen Gefühlsbad lag. Puschmann habe erst Selbstzweifel gehabt, ob der die Prinzenrolle tatsächlich ausfüllen könne, sagt er: "Ich wusste ja nicht, wer mich dort erwartet. Sind das alles richtig durchtrainierte Männer, und du bist der Fette? Oder lauter feminine Typen, und du der einzige Unschrille?" Das tatsächliche Kandidatenfeld findet er erfreulich divers: "Alle Hetero-Männer von 'Temptation Island' sehen schwuler aus als wir, irgendwie alle gleich: Glatt geleckt und direkt von der Sonnenbank."
Eine WhatsApp unterbricht ihn. "Lars sitzt ein paar Cafés weiter, wollen wir kurz umziehen?" Lars Tönsfeuerborn bekommt von ihm im Fernsehen am Ende die letzte Krawatte (die der "Prince" anstelle von Rosen vergibt), die beiden sind immer noch ein Paar. "Man kann sich immer verknallen oder wenigstes vergucken", sagt Puschmann draußen, auf der Straße. "Aber dass es so beständig ist und so groß wird, hätte ich nie gedacht."
Lars Tönsfeuerborn ist Podcaster, seine ziemlich explizite Sendung, die er zusammen mit zwei Kollegen macht, heißt "Schwanz und Ehrlich", außerdem hat er eine Agentur für LGBT-Künstler – und bezeichnet sich selbst als "etwas hurigen Moralapostel", der "Prince Charming" vor allem als wohlfeile PR für seinen Podcast sah: "Ich habe nicht damit gerechnet, dass mir jemand vorgesetzt wird, der mir auch noch gefällt." Puschmann kannte seine Sendung und glaubte zunächst, er habe sich "Böhmermann-mäßig eingeschleust, um sich danach komplett über mich lustig zu machen."
Inzwischen wohnen die beiden auch zusammen, aber bei "Prince Charming" gehe es ihnen um mehr als um privates Schmusibusi, sagt Tönsfeuerborn: "Das Format hat eine größere Dimension: Es kann hoffentlich helfen, die Gesellschaft offener für das Thema Schwulsein zu machen."
"Haters gonna hate, hate, hate", singt Nicolas Puschmann
Ein trojanisches Trash-Pferd, das tatsächlich schon funktionierte: Eine moralstrenge Christin habe ihm nach der TV-Now-Ausstrahlung in einer Mail gedankt, weil die Sendung ihre ablehnende Haltung gegenüber homosexuellen Menschen komplett geändert habe. Viele Menschen vergäßen innerhalb der eigenen, toleranten Blase leicht, wie viel Umdenken tatsächlich noch nötig sei, sagt Tönsfeuerborn und erzählt von einem befreundeten Werbefilmer, der in einer Kampagne für eine große Marke dann doch keine küssenden Männer zeigen durfte. Und von seinem eigenen homophoben Onkel, der Nicolas beim Weihnachtsbesuch nicht einmal die Hand gab.
Fürchten sich die beiden nun vor den Reaktionen des größeren Vox-Publikums? "Nach der Ausstrahlung auf TV-Now wurde uns schon sehr der Arsch gezuckert, wir bereiten uns darauf vor, dass die Reaktionen jetzt vielleicht nicht so durchweg positiv sein werden", sagt Puschmann. "Als ich damals zusagte, dachte ich ja auch: Na ja, es läuft ja nur auf einem Onlineportal, falls es schrecklich wird, werden das nicht massenweise Menschen sehen." Sie hätten sich aber bereits ein Trinkspiel ausgedacht, ein Schnapsbingo, das eventuelle Beleidigungen in Kurze schrumpft. "Haters gonna hate, hate, hate", singt Nicolas Puschmann, Lars Tönsfeuerborns blinder Hund Gizmo blinzelt kurz aus seiner Transporttasche, und man wünscht sich, dass diese wahre Zeile dieses Mal vielleicht nicht stimmt.
"Prince Charming", Vox, ab 20.4. immer montags um 22.10 Uhr