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Arte-Doku mit Campino: Auf den Spuren des Punk

Foto: ZDF/ Alex Seidenstcker

Arte-Doku mit Campino Trag ein paar Blumen im Arsch!

Campino reist für Arte nach London und sucht den Punk. Die Dokumentation "London's Burning" ist keine nostalgische Verzuckerung, sondern vor allem eine unterhaltsame Plauderreise mit alten Haudegen.

Herrlich wäre es gewesen, hätte Campino noch bei John Lydon geschellt, dem Mann, der bei den Sex Pistols Johnny Rotten war. Zwischenzeitlich war Lydon nämlich sowohl im britischen Dschungelcamp als auch Testimonial für Butterwerbung . So hätten er und der kommerziell ja auch nicht unerfolgreiche Tote-Hosen-Mann sich wirklich fundiert darüber unterhalten können, wie sich die Auffassung davon, was Punk ist und sein kann, im Laufe eines Punkerlebens ändert. Und über Punk als Geschäftsmodell.

Aber auch ohne Lydon ist die Arte-Dokumentation "London's Burning: Campino auf den Spuren des Punk" sehenswert. 1976 sei er bei einem Besuch seiner Verwandten in England davon überrumpelt worden, wie der Punk losbrach, sagt Campino. Zum 40-jährigen Jubiläum reist er nun also nach London, um mal nachzuschauen, was heute noch übrig ist von diesem Kawumms, der immer viel mehr als ein Musikstil war.

Punk war eine Haltung, ist er immer noch, sagt Mike Clewley, Leiter für den Kulturtourismus im Londoner Rathaus, und darum fände er sich heute auch in Mode, Design und Tech, immer da, wo das Establishment herausgefordert wird. Gleich zu Beginn rutscht "London's Burning" ein paarmal ins Pathos, wenn "die junge Generation sich auflehnt und ihre Rebellion in Form provozierenden Verhaltens zum Ausdruck bringt", die campinosche Erzählstimme der Dokumentation ist nicht immer frei von solchen bäckerblumigen Floskeln. Aber dafür führt er auf seiner Punkspurensuche unterhaltsame Gespräche, mit durchwegs interessanten, floskelfreien Punkbegleitern.

Sein Spezi Bob Geldof von den Boomtown Rats sitzt heutzutage freilich leicht gandolfig mit schlohweißem Haar auf seiner Frotteecouch, kann aber sofort ablederbereit von damals erzählen, als in London vielleicht 100 Leute zur Punkszene gehörten, von der Attitüde, die dazu gehört: "Manche stehen im Zelt und pissen raus, manche stehen vor dem Zelt und pissen rein. Ich stehe im Zelt und pisse." Und bleibe man ihm bloß fort mit diesen dämlichen Hippies! "Trag ein paar Blumen im Haar? Trag ein paar Blumen im Arsch!"

Punk lauert immer noch da draußen

Campino spricht mit Tim "TV" Smith von den Adverts, mit Charlie Harper von den UK Subs. Mit der schlauen Viv Albertine von den Slits unterhält er sich über die Frauen im Punk, sie erzählt, als das Publikum mit offenem Maul starrte, weil plötzlich ein Mädchen mit Gitarre auf der Bühne stand, so etwas hatten sie noch nie gesehen. Sie beschreibt Punk als die Haltung, für sich selbst zu sprechen und zu denken, auch streng zu sein, vor allem diesem Gespräch würde man gerne länger zuhören. "Ich wusste nicht, dass ich als Frau beim Sex Geräusche machen darf, bis ich Patti Smith auf der Bühne grunzen und schnaufen hörte", sagt Albertine, und klar, New York gab es ja auch noch: Auch wenn Punk offiziell eben 1976 in London ausbrach, gab es ihn vorher doch schon anderswo, vor allem in New York City, mit Smith, Richard Hell oder den Ramones.

Vielleicht könnte er wieder lostoben, sagt Julien Temple, der Haus-Filmemacher der Sex Pistols (dem die Bandmitglieder damals wie "gruselige Insektenmenschen" vorkamen): Punk lauere immer noch da draußen, zombiehaft, und warte nur auf den richtigen Moment. "Die Kids müssen mit etwas konfrontiert werden, das sie nicht für möglich gehalten hätten. Mit einem wie Donald Trump, nur im Positiven." Und wenn Trump wirklich Präsident werde?, fragt Campino. "Dann bricht die Hölle aus!"

Manchmal sieht man auf seiner Reise in Campinos Blick und Mundwinkelzucken den Punkfanboy, das ist ganz sympathisch. Wenn ihm Chris Sullivan, einer der Pioniere des Punklooks, in seinem Coffeetable-reifen Wohnzimmer noch einmal das Plattencover mit Lou Reeds Hundehalsband zeigt, dass die zornigen Gassenjungen und -mädchen sofort nachtrugen, die originale, winzige Bondagehose von Malcolm McLaren oder die Damned-Cover, die von Kandinsky inspiriert waren.

Punk kommt heut von Mädchenbands

Die Doku des österreichischen Regisseurs Hannes Rossacher ist glücklicherweise keine punkverzuckernde Nostalgieparade, obwohl Klassiker wie der herrliche Auftritt der Sex Pistols bei Bill Grundy natürlich nicht fehlen, bei dem sie ihn wunderbar desinteressiert als "dirty bastard" beschimpfen. Wie gerne würde man noch einmal erleben, dass von Geschehnissen im TV tatsächlich eine derartige kulturelle Wucht ausgehen kann, wie es damals passierte! Als aktuelle, junge Punkbands empfiehlt "London's Burning" am Ende noch Maid of Ace, Skinny Girl Diet und besucht die Ramonas, eine Ramones-Coverband, alles Mädchenbands, doch das spielt angenehmerweise keine große Rolle.

Wer noch nicht viel über Punk weiß, sollte sich vor dem Einschalten übrigens ruhig Papier und Bleistift bereitlegen, es prasseln viele Namen, Bands und Orte in dieser Doku darnieder, die es zu erforschen lohnt. "London's Burning: Campino auf den Spuren des Punk" läuft heute, 13. August, als Teil eines Punk-Themenabends um 22.50 Uhr auf arte.

Zur Autorin

Anja Rützel, Jahrgang 1973, taucht für den SPIEGEL unter anderem im Trash-TV-Sumpf nach kulturellem Katzengold. In ihrer Magisterarbeit erklärte sie, warum »Buffy the Vampire Slayer« eine sehr ausführliche Verfilmung der aristotelischen Argumentationstheorie ist. Sie glaubt: »Everything bad is good for you« – und dass auch »Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!« tieferen Erkenntnisgewinn liefern kann. Ihr Buch über ihre Liebe zu Take That erschien als Teil der Musikbibliothek bei Kiepenheuer und Witsch.

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