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Terrorismus-Drama in der ARD: Offene Fragen, offene Wunden

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RAF-Film mit Senta Berger Erika, der Kampf geht weiter!

Zombies, Gespenster, Phantome: Der ARD-Film "In den besten Jahren" überzeugt als Drama über eine Polizistenwitwe, die noch heute überall RAF-Mörder sieht. Nicht nur dank Senta Berger ein großes Schauspieler-Stück, in dem der Deutsche Herbst bedrohlich in die Gegenwart wabert.

Die Stille nach dem Schuss, sie hält bei Erika Welves bereits 40 Jahre an. Ihr Mann, ein Streifenpolizist, wurde 1970 bei einer Verkehrskontrolle von einem RAF-Mitglied getötet. Der gefasste Täter entkam seiner Strafe dank der Kronzeugenregelung, die Behörden klärten das Verbrechen nie restlos auf oder behielten die Ergebnisse für sich, die Zeitungen berichteten lieber über prominente Opfer. Die Witwe verbarrikadierte sich in ihrer Mietwohnung, in der sie vergeblich auf Signale der Außenwelt wartete, auf eine Entschuldigung des Täters etwa oder auf Erklärungen von Seiten der Behörden.

Hauptdarstellerin Senta Berger spielt in "In den besten Jahren" die Polizistenwitwe als Hinterbliebene einer allgemein als abgeschlossen geltenden Epoche. In der sonderbar altmodisch tapezierten Witwenwohnung, inmitten eines Interieurs in Maulwurfbraun und Metallicgrün, scheint die Zeit bleiern wie in den Tagen des Deutschen Herbstes. In der Luft liegt Paranoia, draußen lässt es sich auch nicht besser atmen: Im Supermarkt oder im Theater, überall sieht die alte Dame nur Mörder.

Das RAF-Opfer als ewig gestrige Gestalt, die es nicht geschafft hat, ihre Trauer zu bewältigen und endlich im Hier und Jetzt anzukommen? Keineswegs. Die Kunst des großen Autors und Regisseurs Hartmut Schoen liegt darin, die Folgen des bewaffneten Widerstandes bedrohlich in die Gegenwart zu ziehen. Der Kampf geht weiter, auch wenn das keine der Figuren im Film will.

Mit dieser Strategie folgt Schoen einer Reihe von Terrorismusdramen, die in den letzten Jahren die Verbrechen der RAF ins Visier nahmen und die Spuren der Terrororganisation in der heutigen Berliner Republik suchten. So wie etwa Susanne Schneider in ihrem Familiendrama "Es kommt der Tag", wo eine Tochter ihre einst im Untergrund abgetauchte Mutter auf einem Weingut aufstöbert. Oder Connie Walthers Schuld-und-Sühne-Kammerspiel "Schattenwelt", in dem die Tochter eines ermordeten Gärtners sich an den RAF-Täter heranpirscht - nur um festzustellen, dass es Trost oder Rache für den Verlust nie geben wird.

Schweigen als Verlängerung des Mordes

Die Zurückgelassenen und Überlebenden in diesen Filmen, sie können keinen Ausgleich herstellen, keine Genugtuung bekommen. Aber immerhin: Sie haben ein Gegenüber, an dem sie sich abarbeiten können. Und sei es nur so wie die junge Protagonistin in "Es kommt der Tag", die der einst für ihre hehren Polit-Aktionen abgetauchten Mutter das hübsche Landgut zerlegt.

Filmemacher Schoen, der zuvor mit "Die Mauer" das stärkste TV-Drama überhaupt zur deutsch-deutschen Teilung vorgelegt hat, wählt nun eine noch strengere Form für sein RAF-Déjà-vu: Bei kompletter körperlicher Abwesenheit von Terroristen und Ex-Terroristen erzielen diese hier doch äußerste Präsenz. Das Schweigen der Täter, es wirkt wie eine Verlängerung der Morde von einst.

Dabei geht es nicht vornehmlich darum, den "kleinen", medial meist eher ausgeblendeten Opfern des Linksterrorismus eine Stimme zu geben; es geht nicht um einen moralischen Ausgleich in der Geschichtsschreibung über den Deutschen Herbst. Vielmehr treibt Schoen die Frage um, wie es um ein Land bestellt sein muss, in dem auch fast 20 Jahre nach den letzten RAF-Anschlägen immer noch Legenden über die Taten kursieren und Löcher in den Ermittlungen klaffen. Es gibt deutliche Verweise auf den Fall Verena Becker und die dazugehörige verworrene Aktenlage. Das Deutschland, das der Regisseur aus der Perspektive seiner Polizistenwitwe zeigt, ist ein Land der Gespenster und Gralshüter. Die RAF erscheint als Spuk, der längst noch nicht vorbei ist. Untote lassen sich eben nicht töten.

So trifft die Filmheldin, als sie sich noch einmal aufmacht, um Licht ins Dunkel zu bringen, auf den einstigen Kollegen des toten Mannes (Manfred Zapatka), der den Anschlag überlebt hat, aber auch 40 Jahre später noch in dem Szenario von einst gefangen ist. Sie trifft die Mutter des RAF-Mörders (Ellen Schwiers), die von einer ebensolchen Unruhe getrieben wird wie die Witwe selbst. Und sie trifft einen pensionierten Bundesanwalt (Burghart Klaußner), der mit ihr einfühlsam über die vergangenen Kämpfe vor Gericht spricht - aber wortkarg wird, als es um ungeklärte Aspekte geht. Schlamperei beim Verfassungsschutz? Alles Verschwörungstheorie!

Auf diese Weise wird in dem nur vermeintlich kleinen Witwendrama auch die deutsche Justiz in ihrem Selbstverständnis erschüttert: Wo die Zombies und Gespenster des Deutschen Herbstes weiterhin ihr Unwesen treiben, da droht auch der Rechtsstaat zum Phantom zu werden.


"In den besten Jahren", Mittwoch, 20.15 Uhr, ARD

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