Achtziger-Nostalgie als Marketinggag Warum dieser Song bei »Stranger Things«? Was soll das?

Die neue Staffel von »Stranger Things« holt den Kate-Bush-Song »Running Up That Hill« aus den Achtzigern in die Gegenwart. Schade, er wird damit verramscht – die Serie kann gar nicht anders.
Max (Sadie Sink) gemeinsam mit Dustin (Gaten Matarazzo): Ach, und Kalter Krieg, war da was?

Max (Sadie Sink) gemeinsam mit Dustin (Gaten Matarazzo): Ach, und Kalter Krieg, war da was?

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Courtesy of Netflix

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Nicht immer, aber immer öfter müssen Journalisten einen sogenannten Screener Letter unterzeichnen, um vor der Öffentlichkeit Zugang zu einer Serie oder einem Film zu erhalten. Manchmal geht es nur um das einzuhaltende Embargo für Rezensionen, manchmal wird gebeten, bestimmte Inhalte nicht zu verraten, also zu spoilern. Die Liste von Netflix für die vierte Staffel von »Stranger Things« war lang, geheim gehalten werden sollte unter anderem: »Die Tatsache, dass Max verflucht wurde und von der Musik von Kate Bush gerettet wird.«

Jetzt darf ich es ja verraten, schließlich wissen Sie das längst. Oder etwa nicht? Dann haben Sie aber nicht gut aufgepasst. Schließlich redet doch alle Welt über »Stranger Things« und die Tatsache, dass Kate Bushs Hit »Running Up That Hill (A Deal with God)« von 1985 sich dank der Serie auf die Spitzenpositionen diverser Download- und Streamingcharts setzte. So zumindest wünschen sich Netflix und die Macher von »Stranger Things« das.

Warum nun aber gerade dieser Song, was soll das?

Ein Hype ist auch nicht weiter schlimm – es ist nur ein bisschen erschreckend, wie gut dieser Marketingtrick funktioniert. Der Song in den Charts, die Serie auf Rekordkurs (Platz eins der Netflix-Top-Ten in 81 Ländern, erfolgreichster Start einer englischsprachigen Serie). Der Buzz kocht. Einen tieferen Sinn aber hat der Einsatz von »Running Up That Hill« bei »Stranger Things« eben nicht. Mit Kunst hat der Hype wenig zu tun.

Kate Bush feierte mit »Running Up That Hill« ihren größten kommerziellen Erfolg

Kate Bush feierte mit »Running Up That Hill« ihren größten kommerziellen Erfolg

Foto: Mirrorpix / Getty Images

Oder nur insofern, als jetzt viele Menschen diesen Jahrhundert-Song wieder- oder neu entdecken. Denn der ist natürlich große Kunst, eine schmerzhafte Bestandsaufnahme einer Beziehung, in der nichts mehr geht, in der Kommunikation unmöglich geworden ist. »Ist da so viel Hass für die, die wir lieben? Sag mir, es geht doch um uns, oder nicht?«, singt Kate Bush, und dazu hämmert unnachgiebig dieser hypnotisierende Beat, als wolle er Schmerz und Verzweiflung immer tiefer unter die Haut treiben.

Die Plätze tauschen möchte Kate Bushs lyrisches Ich am liebsten mit dem Partner, in den Schuhen des anderen laufen. Darin besteht das Geschäft mit Gott, das niemals stattfinden wird, was die Realität umso bitterer macht. In »Stranger Things« hört die Protagonistin Max (Sadie Sink) den Song rauf und runter, eine vom Tod ihres Bruders traumatisierte Schülerin. Ob sie mit ihm die Plätze tauschen möchte? Möglich, man weiß es nicht. Jedenfalls rettet »Running Up That Hill« Max vor einem bösen Wesen, das sie entführt hat und töten will. Warum nun aber gerade dieser Song, was soll das? Er ist weiterhin schön, aber er trägt nichts bei zur Handlung, fügt auch der Ästhetik der Serie nichts hinzu außer kurzfristige Situationsdramatik, sondern reiht sich nahtlos ein in die bekannte Achtzigerkulisse.

Popkultur funktioniert schon immer selbstreferenziell. Songs, Filme, Serien landen in einem riesigen Topf, dessen Inhalt gut durchgerührt wird, und manchmal kommt bei diesem Vorgang etwas Schmackhaftes, seltener sogar etwas Neues heraus. Matt und Ross Duffer, die Macher von »Stranger Things«, sind besonders gut darin, die Filme von Steven Spielberg, die Bücher von Stephen King und die Musik der Achtzigerjahre zu einer Melange dieses Jahrzehnts zu verkochen, die zuckersüß nach Nostalgie schmeckt. Die Frage, was davon eigene Erfindung ist und was lediglich gut geklaut, schien sich angesichts des Erfolgs ihrer Serie nicht zu stellen.

Längst aber ist »Stranger Things« zu einem Serien-Blockbuster geworden, der alle negativen Eigenschaften mit seinen Kino-Brüdern teilt: zu lang, zu aufgebläht, zu laut, zu sehr um sich selbst kreisend. Ob es wirklich neun Folgen von annähernder Spielfilmlänge braucht, um diese Geschichte endlich zu Ende zu erzählen (und danach noch eine weitere bereits angekündigte Staffel), darf bezweifelt werden. Die ersten Folgen der neuen Staffel jedenfalls ziehen sich wie Hubba-Bubba-Kaugummi.

Ein riesiger Berg an Merchandise

Die Achtzigerjahre waren für die Duffers immer schon bloße Kulisse für perfekten Eskapismus. Der Vollwaschgang der Ironie macht jeden Verweis auf die Anfänge der Politik unter Ronald Reagan zu einer Lachnummer und wird gleich darauf wieder ins selbstreferenzielle System eingespeist.

Kaum kaschierte Schleichwerbung für Frühstücksflocken, Erdnussbutter oder Burger gehört eben zum Spiel, haha, und natürlich ist Kritik an einem identitätsstiftenden Lifestyle-Konsumismus, der in den Achtzigern seinen Anfang nahm, schick – und doch nun wirklich nicht ernst gemeint.

Ach, und Kalter Krieg, war da was, das über reine Kulissenhaftigkeit hinausgeht? Angesichts sich neu formierender Machtkonstellationen infolge des Ukrainekrieges schmeckt die Haltungslosigkeit der Duffers dem Jahrzehnt gegenüber, das mit zwei sich feindlich gegenüberstehenden Blöcken intensive Erfahrungen machte, besonders fad.

»Running Up That Hill« wird in diesem Kontext zu einem bloßen Marketingtool auf einem riesigen Berg von Merchandise. Eigentlich schade, dass er die Luftnummer »Stranger Things« brauchte, um wiederentdeckt zu werden.

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