"Maischberger" zu Agenda-Korrekturen Die "Gerechtigkeitsfrage" und Phantomschmerzen

Macht Martin Schulz das Land mit seinen geplanten Agenda-Korrektur gerechter? Bei "Maischberger" sahen die einen gar keinen Handlungsbedarf, Oskar Lafontaine hingegen war für jede Revidierung.
Oskar Lafontaine

Oskar Lafontaine

Foto: WDR/ Max Kohr

Auf einer Skala von 1 bis 10, wie gut geht es Deutschland? Der Vertreter der Union tippt optimistisch auf "8 bis 9", der Vertreter der Linken auf "3, eher 2", während die Vertreterin der SPD mit "6 bis 7" klassisch in der Mitte liegt, also so lala.

Es wird mal wieder die "Gerechtigkeitsfrage" gestellt in Deutschland, kaum dass ein SPD-Kanzlerkandidat die größte Sozialreform in der Geschichte der Bundesrepublik in Zweifel zieht. "Schluss mit Agenda 2010 - Macht Schulz das Land gerechter?", wollte Sandra Maischberger von ihren Gästen wissen.

Hannelore Kraft (SPD), Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, trägt den Schulzschen Kurs mit und ist bemüht, der Agenda 2010 ihren monolithischen Nimbus zu nehmen. Zwar mag sie auch auf dreimaliges Nachfragen nicht unterschreiben, dass Schröder sich seinerzeit "um Deutschland verdient gemacht" habe; sie umschreibt lieber, er habe manches "richtig gemacht in der damaligen Situation" mit immerhin fünf Millionen Arbeitslosen, von denen heute nur noch 2,7 übrig seien.

"Eine durch und durch neoliberale Reform"

Allerdings, so Kraft, habe Schröder selbst "vor Jahren" gesagt, man müsse die Dinge auch korrigieren dürfen. So hätte schon die SPD die Idee von der Ich AG "ganz schnell wieder eingestampft", zuletzt sei sogar ein Mindestlohn eingeführt worden. Die Agenda also als "lebendes System", das verändert werden könne?

Da kann Oskar Lafontaine von der Linken nur abwinken. Ein "Mindestlöhnchen" sei das, mickriger noch als das, was "Sarkozy in Frankreich gemacht hat". Die Agenda 2010 sei nichts anderes als "das Programm der Arbeitgeberverbände" gewesen. Und was die gesunkenen Arbeitslosenzahlen angehe: "Wenn man ordentliche Arbeitsplätze aufsplittet, hat man mehr Arbeitsplätze". Die "Lohndrückerei" habe den Unternehmen größere Gewinne, vielen Menschen aber ein schlechteres Leben in Teilzeit, Leiharbeit oder Werkverträgen beschert.

Stricknadelfabrikant Thomas Selter sieht es ähnlich wie und zugleich ganz anders als Lafontaine: "Das ist eine durch und durch neoliberale Reform gewesen", sagt er und fügt hinzu: "Und das war ein Erfolg", den die Linken "ums Verrecken nicht" wahrhaben wollten.

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Er selbst beschäftige glückliche Zeitarbeiter, "Frauen vor allem, die gerne mehr ihre andere", mutmaßlich frauenspezifische, "Arbeit wahrnehmen wollen". Selter selbst würde sich bei Arbeitslosigkeit "kreuzunglücklich fühlen, wenn ich der Gemeinschaft auf der Tasche liegen würde". Nicht verstehen mag er daher die Pläne von Martin Schulz, durch längere Bezugsdauern lieber wieder "die Arbeitslosigkeit zu finanzieren, als die Leute in Arbeit zu bringen".

Da ist der Unternehmer ganz auf Linie mit Ralph Brinkhaus, dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzender der Union. Der sagt, wovor Kraft sich drückt: "Schröder hat sich verdient gemacht." Probleme, gerade Langzeitarbeitslose wieder in Lohn und Brot zu bringen, will er in technokratischer Tradition systemisch angehen - und sieht die Jobcenter in der Pflicht: "Es muss darum gehen, die Prozesse noch besser zu machen."

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Lafontaine geht in dieser Sache immer gerne ad hominem und wird persönlich: "Es geht in Deutschland ungerecht zu", bescheidet er Selter: "Da leiden Sie nicht drunter". Für unzumutbar hält er die Zumutbarkeitsregeln bei Hartz IV und wünscht Brinkhaus, mal "für einen Euro vor dem Kanzleramt die Straße zu fegen".

Als Brinkhaus beflissen kontert: "Es gibt Leute, die machen das im Hauptberuf", die seien genauso wichtig wie Top-Manager, ist Lafontaine schon weiter und knöpft sich die Moderatorin vor: "Wenn Sie, Frau Maischberger, jetzt arbeitslos werden, gilt die Zumutbarkeitsregel, dann heißt es: Gehen Sie doch waschen, das können Sie doch!", das sei die "Rutschbahn der Löhne nach unten".

Was Brinkhaus sein Selter, ist Lafontaine sein Wockelmann - der gelernte Modellschreiner und Hartz-IV-Gegner nennt den derzeitigen Zustand "eine wahnsinnige Schikane". Von der Devise "Fordern und Fördern" sei nur das Fordern geblieben. Wen er denn wählen würde, darüber mag er aber keine Auskunft erteilen. Lafontaine, sich seines Klienten sicher, schmunzelt: "Lassen wir das Wahlgeheimnis walten."

Flirtversuche von Lafontaine

Lafontaine hielte es auch für "selbstverständlich richtig", das ALG I bei Qualifizierung auf vier Jahre zu verlängern, bevor man in Hartz IV fällt (Maischberger: "Guck an!"). Alles, was die Agenda 2010 revidieren könnte, findet den Beifall des Mannes, der wegen der Agenda 2010 aus der SPD ausgetreten ist. Mit FDP oder Union sei das alles aber nicht zu machen.

Brinkhaus, hellhörig: "Er baggert schon für die Koalition!" Tatsächlich möchte auch Maischberger wissen, ob Lafontaines alte Liebe zur Sozialdemokratie neu erwachen könnte, ob er nicht manchmal einen Phantomschmerz empfinde. Lafontaine: "Ja natürlich. Aber ich bin immer im Programm geblieben, die SPD ist ausgetreten", und zwar mutmaßlich aus Oskar Lafontaine.

Kraft bemerkt, dass hier geflirtet wird, und reagiert kühl. Die Positionen der Linken beispielsweise zur Nato seien nicht akzeptabel. Worauf Lafontaine es sich partout nicht nehmen lässt, auch hier seinen Claim zu setzen. Die Linken wünschten sich "eine Sicherheitsarchitektur in Europa unter Einbeziehung Russlands, das ist die Position von Willy Brandt und Egon Bahr".

Das hat, auf einer Skala von 1 bis 10, mit Gerechtigkeit null zu tun. Aber das ist vielleicht ohnehin nur ein Teilzeitthema.

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