Nico Semsrott bei "Maischberger" "Dass ich in so eine Sendung eingeladen werde, das halte ich für ein Alarmsignal"

Sandra Maischberger diskutiert mit ihren Gästen darüber, ob sich die Volksparteien überlebt haben. Besonders hartnäckig nimmt sie einen Satiriker und Neu-EU-Parlamentarier ins Verhör. Der kam, um zu kritisieren.
Nico Semsrott bei "Maischberger"

Nico Semsrott bei "Maischberger"

Foto:

Max Kohr/ WDR

Die Europawahl ist gelaufen, und die Ergebnisse nahm Sandra Maischberger zum Anlass für ihren aktuellen Sendungstitel: "Der Wahlschock: Haben sich die Volksparteien überlebt?" Dabei hätte der Titel eigentlich lauten müssen: "Und jetzt?" Denn dass die SPD rapide und die Union allmählich den Weg alles Irdischen gehen, lässt sich auch bei "Maischberger" nicht mehr wegdiskutieren.

Zunächst geht es um die Gründe für den Vertrauensverlust, der gerade unsere idyllische Parteienlandschaft erodieren, verwerfen oder verwildern lässt - je nach Perspektive. Kevin Kühnert hat's, was die SPD betrifft, schon immer gewusst und auch gesagt. Es habe bei der jüngsten Wahl den Anschein "einer zutiefst technischen Politik" (Stichwort: Mindestlohn) und "keine Erzählung für Europa" gegeben.

Ein etwas frischerer Gast war da Nico Semsrott. Der Kabarettist ("heute-show") wird neben Martin Sonneborn nach Brüssel gehen, "Die Partei" lag unter Erstwählern auf dem dritten Platz: "Dass ich in so eine Sendung eingeladen werde, das halte ich für ein Alarmsignal", sagte er. Angenommen habe er die Einladung nur, damit "hier auf diesem Platz kein AfD-Politiker sitzt". Und um die Kritik anzubringen, dass Talkshows ohnehin nur der Unterhaltung dienten. Allerdings gebe es ein "grundsätzliches Problem in der demografischen Umgebung, in der wir uns bewegen". Eine überalternde Gesellschaft sei blind für die Bedürfnisse der Jugend.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.
Externer Inhalt

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Maischberger klopft den Satiriker auffällig hartnäckig auf seine staatspolitische Verantwortung ab: "Das interessiert mich wirklich!" Semsrott wehrt schulterzuckend ab: "Wir sind eine 2,4-Prozent-Partei", Lösungen seien da nicht zu erwarten. Gleichwohl handle es sich nicht um eine "Heiapopeia-Partei", denn: "Wir meinen Politik ernst, aber unsere Kommunikation ist satirisch." Bei den "Altparteien" sei es gerade umgekehrt.

Kühnert kennt die "Partei" aus dem Freundeskreis und sieht sie "als Zwischenlager, wo man seine Stimme mal parken kann", bevor es wieder eine echte progressive Kraft gibt. Damit ist er wohl näher an der Wahrheit als Reiner Haseloff, CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Der 65-Jährige glaubt zu wissen, die "Partei" sei "aus einer Jugendbewegung entstanden" - und wirft sich der Jugend etwas unbeholfen in die Arme: "Die besten Sparringspartner, die ich habe, sind meine fünf Enkel. Das ist ein Stachel im Fleisch, die stellen Fragen. Dass sie trotzdem in der JU mitmachen, ist ne tolle Sache."

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.
Externer Inhalt

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Einzig Robin Alexander von der "Welt" gibt zu bedenken, dass in Italien oder der Ukraine inzwischen ebenfalls Satiriker an der Macht wären. Einen Reim hat er sich darauf aber noch nicht gemacht. Marion von Haaren, Korrespondentin im ARD-Hauptstadtstudio, hält Politiker wie Silvio Berlusconi für die "richtigen Clowns".

Bedenklicher als der Erfolg der "Partei" ist für CDU und SPD die Unfähigkeit, mit dem Video des YouTubers Rezo umzugehen. Haseloff zeigt noch einmal, warum - und trägt dicke auf: Die im Video kritisierten Parteien, meint er, hätten die Freiheit erst aufgebaut, die ihr Kritiker nutze. Ihre "Zerstörung" sei "ein Anlegen der Axt an die freiheitlich-demokratische Grundordnung".

Anders als Marion von Haaren kann sich Alexander die Begeisterung für das Video nicht erklären. Wenn das alles stimme, was der YouTuber da vorbringe, dann müssten weniger die Politiker, dann müssten eher "wir Journalisten uns Sorgen machen". Aufgabe der Medien sei eben das Differenzieren, mehr noch als das Auf-den-Punkt-Bringen - oder gar "zerstören".

Video zu Streit über "Meinungsmache": "Oh, die bösen YouTuber"

SPIEGEL ONLINE

Was also könnten die Volksparteien tun, um Vertrauen zurückzugewinnen? Die großen Gerechtigkeitsfragen seien "das eigentliche Nährfutter für die AfD", sagt Kühnert. Was die Menschen im Osten bräuchten, das wäre ein Grundeinkommen und berufsbildende Maßnahmen und dergleichen - womit er den Anschein einer "zutiefst technischen Politik" erweckt.

Robin Alexander sieht's naturgemäß anders und lobt Annegret Kramp-Karrenbauer für ihr Zugehen auf die nach rechts abgewanderten Konservativen: "Einer muss es ja machen!" Bei der Linken sei Sahra Wagenknecht mit diesem Kurs gescheitert: "Und wo sind die Wähler?"

Weil sich demnächst entscheidet, ob auch Andrea Nahles scheitert, fühlt Maischberger zaghaft vor, ob vielleicht Kevin Kühnert seinen Hut in den Ring werfen wolle. Der reagiert genervt: "Das interessiert mich n Scheiß." Entscheidend sei "der Kurs", nicht der Kopf. Worauf Alexander in den Augurenmodus schaltet und fragt: "Warum verteidigt Herr Kühnert jetzt Andrea Nahles?" Weil er sie nicht jetzt schon stürzen wolle, "sondern erst im Dezember - und die GroKo will er gleich mit abräumen".

Kühnert gestattet seiner Mimik eine schwer zu deutende Entgleisung und antwortet - nichts. Anders als Semsrott, der eine Weile Alexanders abwägenden Ausführungen zur Klimapolitik lauscht. Man müsse eine so wichtige Frage und die zur Rede stehenden Alternativen noch einmal ruhig diskutieren, nicht überstürzt entscheiden, und das dürfe dann "ruhig noch sieben Monate dauern". Semsrott sarkastisch: "Ich finde, wir sollten uns noch mal 15 Jahre Zeit nehmen." Alexander: "Ich verstehe ihre Position hier, aber wollen sie meinem Argument wirklich widersprechen?" Nein, nein, wehrt Semsrott ab, der überhaupt einen für Talkshowgäste erfreulich unverbissenen und defensiven Gesprächsstil an den Tag legt; er lässt sich beispielsweise in Seelenruhe unterbrechen.

Haseloff ist ohnehin ein großer Freund des Abwägens. Volksparteien, resümiert er, würden bestehen bleiben: "Wir sind jeden Tag eine andere Partei!" Und was den Klimaschutz angehe, da müsse man auch an die Wirtschaft denken. Dazu gehöre die Landwirtschaft. Und in diesem Zusammenhang fällt er dann, der goldene Satz des Abends: "Ohne Gülle geht's nicht!"

Wer steckt hinter Civey-Umfragen?

An dieser Stelle haben Leser in der App und auf der mobilen/stationären Website die Möglichkeit, an einer repräsentativen Civey-Umfrage teilzunehmen. Civey ist ein Online-Meinungsforschungsinstitut mit Sitz in Berlin. Zur Erhebung seiner repräsentativen Umfragen schaltet die Software des 2015 gegründeten Unternehmens Websites zu einem deutschlandweiten Umfragenetzwerk zusammen. Neben SPIEGEL ONLINE gehören unter anderem auch der "Tagesspiegel", "Welt", "Wirtschaftswoche" und "Rheinische Post" dazu. Civey wurde durch das Förderprogramm ProFit der Investitionsbank Berlin und durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung finanziert.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren