Doku und Talk über Antisemitismus Ein missglückter Abend für den WDR

Erst wurde die umstrittene Doku über Antisemitismus ausgestrahlt, vom WDR mit akribischem Faktencheck versehen. Dann sollte Maischberger liefern, was der Film nicht konnte: eine Debatte. Es blieb beim Versuch.
Sandra Maischberger (3.v.l.) und Gäste

Sandra Maischberger (3.v.l.) und Gäste

Foto: WDR/M. Grande

Ach, hätten sie es doch gelassen. Nachdem Arte und der WDR die umstrittene Antisemitismusdokumentation in ihrer vorliegenden Form nicht hatten ausstrahlen wollen, erledigte die "Bild"-Zeitung den Job und setzte die Öffentlich-Rechtlichen so sehr unter Druck, dass sie es nun doch taten. Nachdem also das Kind in den Brunnen gefallen war, warf ihm der düpierte WDR nun noch ein paar schwere Steine hinterher.

Nach "gründlicher Prüfung", so WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn, habe man "sieben persönlichkeitsrechtliche Verstöße" erkennen und "25 weitere inhaltliche Mängel oder Fehler" feststellen müssen. Justiziable Stellen des Films wurden für die Ausstrahlung ambulant geändert, andere vermeintliche Klopper mit dem Hinweis auf Korrekturen im Internet entschärft: "Und deshalb muss man nach dem Film auch zwingend den Faktencheck im Internet sehen."

Dort wird  beispielsweise das Zitat eines Experten (bei 19:54 Minuten) zum "Bedürfnis" der Linken bemängelt, "den Nationalsozialismus zu relativieren", und die fehlende Einordnung nachgereicht: "Sozialistische Systeme wie DDR und Sowjetunion grenzten sich beispielsweise deutlich vom Nationalsozialismus" ab, und die Judenfreundlichkeit beispielsweise des späten Stalin ist bekanntlich legendär.

An anderer Stelle (07:51 Minuten) spricht eine Expertin über den obsessiven Gebrauch von Paraphrasen wie "Banker von der Ostküste" oder "jene einflussreichen Kreise", wenn es um Juden geht. Der WDR weist darauf hin, dass die Professorin nicht den allgemeinen Sprachgebrauch, sondern auf Basis von "über 14.000 Zuschriften an den Zentralrat der Juden" lediglich "dezidiert antisemitische Schriftstücke" analysiert hat. Was natürlich beruhigend ist.

Maischberger auf verlorenem Posten

So redlich der Versuch sein mag, eine Dokumentation zu zeigen und sich gleichzeitig von ihr zu distanzieren, so gründlich ging er in die Hose. Zumal die obsessive Akribie, mit der im "Faktencheck" noch das kleinste Haar in der Suppe gesucht wurde, den Befürwortern des Films in die Hände spielte.

"Der Film lag monatelang bei Ihnen rum", sagte der Historiker Michael Wolffsohn später beim anschließenden Talk mit Sandra Maischberger, und: "Wenn Sie die von Ihnen propagierten Standards immer anwenden würden, dann hätten Sie nur Testbilder." Schönenborn räumte ein: "Der Film hätte in anderer Form einen Anstoß zur Antisemitismusdebatte geben können und nicht einen über journalistische Standards."

Diese Debatte sollte Maischberger führen, sozusagen vollenden, was der Film nicht leisten konnte und diskursiv abfedern, was die verantwortlichen Sender verbockt hatten: "Israelhetze und Judenhass: Gibt es einen neuen Antisemitismus?"

Es stand selten eine Moderatorin auf so verlorenem Posten, was auch an der Auswahl der Gäste lag. Geladen waren je ein jüdischer (Wolffsohn) und ein muslimischer (Ahmad Mansour) Streiter wider den neuen Antisemitismus. Eine Korrespondentin (Gemma Pörzgen) redete dem "palästinensischen Narrativ" das Wort, ein vertrautes Großväterchen (Norbert Blüm) dem "gesunden Menschenverstand" und der Nächstenliebe.

Die Diskussion entfernt sich immer wieder vom eigentlichen Thema

Eine wichtige Scharnierfunktion erfüllte der Psychologe Rolf Verleger. Als ehemaliges Mitglied im Zentralrat der Juden wird er immer dann gebucht, wenn Redaktionen aus Proporz- und Ausgewogenheitsgründen einen Juden suchen, der Sachen sagt wie: "Ich finde, so geht das bei uns Juden nicht weiter. …"

Das sagt er wirklich, und Mansour, ebenfalls Psychologe, fährt ihm sogleich in die Parade: "Wie kommen Sie von Jude auf Israel?", und das ist im Grunde genau die Frage - was haben Juden in Europa mit der israelischen Politik zu schaffen? Verleger druckst: "Ich kenne keine Untersuchungen über israelischen Antiislamismus. Aber ich weiß, dass es ihn gibt!", weil der Bruder des Schwippschwagers seines Onkels in seinem Beisein mal eine sarkastische Bemerkung über Araber gemacht haben soll.

Überhaupt zieht es die Diskussion immer wieder weg von ihrem eigentlichen Thema und hinein in den Konflikt zwischen Israel und Palästina - auf die gleiche schiefe Ebene also, auf die auch die (leider nicht eingeladenen) Autoren von "Auserwählt und ausgegrenzt" geraten sind. Korrekturversuche der Moderatorin fruchten nicht, es scheint in der Natur der Sache zu liegen. Sogar Wolffsohn seufzt, Europa sei eben längst "ein Nebenschauplatz des Nahen Ostens".

Mansour plädiert für pädagogische Besuche auch arabischstämmiger Schüler in Auschwitz. Pörzgen hält dagegen - das gehöre nicht zu deren Kultur, mal möge doch mal auf 50 Jahre Besatzung im Westjordanland hinweisen. Blüm häuft Beispiel auf Beispiel israelischer Schikanen, deren Zeuge er wurde. Wolffsohn erklärt launig, er könne derer noch wesentlich mehr aufzählen.

Ist jemand, der Israel kritisiert, schon Antisemit?

In diesem Stil geht es hin und her zwischen den Kontrahenten, vor und zurück in der Geschichte. Ganz gleich, auf welcher Seite des Konflikts sich der Zuschauer positioniert hat - die Debatte liefert Erregungsangebote im Minutentakt. Leider aber kaum mehr Erhellendes zur eigentlichen Frage: Gibt es, zusätzlich zum klassischen, noch einen "neuen", sich aus Kreisen der Linken und des politisierten Islam speisenden Antisemitismus in Europa? Es könnte sein, dass der umstrittene Film diese Frage bei allen Mängeln doch beantwortet hat.

Dafür spricht, dass auch in dieser Debatte fortwährend auf Fragen wie jener herumgekaut wird, ob denn schon Antisemit sei, wer nur Israel kritisiere. Auf Maischbergers Erkundigung, ob ihm als Christ denn eine gewisse, na ja, Judenskepsis nicht durch Erziehung eingeflößt worden sein könnte, reagiert Israelkritiker Blüm empört: "Jesus war Semit! Ich bin kein Antisemit, wenn ich Israel kritisiere oder das internationale Bankwesen."

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.
Externer Inhalt

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Israelkritik, schön und gut und wichtig also "unter Freunden", schon verstanden. Warum aber ist Israelkritik so beliebt, dass das überhaupt ein Wort sein kann: Israelkritik? Gibt es auch Palästinakritik? Warum ist Chinakritik nicht einmal ein Begriff und Sudankritik purer Nonsens? Fragen, die keine Fernsehkritik klären kann. Hauptsache, es liegt nicht am Antisemitismus.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten