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"Alles muss raus" im ZDF: Stress in Gelb

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TV-Filme zur Schleckerpleite "Nüscht von Wachstum hier!"

Die Schlecker-Pleite im TV-Doppelpack: Zwei Jahre sind seit der Insolvenz vergangen. Jetzt präsentieren ZDF und Sat.1 fast zeitgleich, was ihnen auf fiktionaler Ebene zum Thema Drogeriepleite eingefallen ist.

In "Alles muss raus - Eine Familie rechnet ab" (ZDF) ist Anton Schlecker ein knorriger Patriarch namens Max Faber. Robert Atzorn spielt ihn zornfaltenreich. Da mahlen die Kiefer immer dann, wenn's eng wird. Und eng wird es schnell. Soeben ist die Tochter (Lisa Martinek) "aus London" eingeflogen, soll im Vorstand mitreden dürfen - da hat der Chef der ohnehin kriselnden Drogeriekette gerade 200 Millionen Euro verzockt und blickt in einen Abgrund, den er vor der engagierten Tochter verbergen möchte. Ist schließlich sein Lebenswerk.

In "Die Schlikkerfrauen" (Sat.1) ist Anton Schlecker ein elegantes Ekel namens Theo Schlikker. Sky du Mont spielt ihn mit einem maliziösem Lächeln selbst in der Pleite, die ihn kaum berührt - die Schäfchen grasen im Trockenen. Das Grinsen gefriert erst, als er sein Luxusweibchen im Bett mit dem Insolvenzverwalter erwischt. Beim melancholischen Irrlichtern durch Berlin gerät Schlikker in seine erste Filiale, wo er von den empörten "Schlikkerfrauen" kurzerhand als Geisel genommen wird. Ist schließlich ihr Lebenswerk.

Nach zweijähriger Inkubationszeit ist der kapitale Zusammenbruch von Schlecker in der Welt fiktionaler Fernsehspiele angekommen. Streng nach Karl Marx wird er nun "das eine Mal als große Tragödie, das andere Mal als lumpige Farce" inszeniert.

Oben wird gekokst, unten Korn gekippt

Für große Tragödien ist natürlich das ZDF zuständig. Hier will Oliver Berben ein zweiteiliges Panorama in der Tradition "französischer oder russischer Gesellschaftsromane des 19. Jahrhunderts" produziert haben. Während die prekäre Verkäuferin (Josefine Preuß) sich mit ihrem eben aus der Haft entlassenen Macker (Florian Lukas) vergnügt, lässt sich Robert Atzorn unter deutscher Ölromantik ("Caspar David Friedrich? Ich liebe ihn. Der hat gewusst, was Einsamkeit bedeutet!") von einer Hausangestellten bedienen. Oben geht's sehenden Auges in die Katastrophe, unten prangt längst der Aufkleber "Augen zu und durch" an der Kühlschranktür. Oben wird gekokst, unten Korn gekippt. Oben Aston Martin, unten MZ.

Die romanhafte Parallelführung der Handlungsstränge verbindet Welten, die in Wahrheit voneinander nichts wissen. So streitet die Tochter für das Unternehmen und damit gegen ihren Vater, während die Verkäuferin um ihre Existenz und für ihre Selbstbestimmung kämpft. Emanzipation, hüben wie drüben. Und während der fiese Investmentbanker mit zwei Händen gleichzeitig auf den Untergang wettet, spielt der Proll eben Lotto oder daddelt sich am einarmigen Banditen in die nächste Privatpleite. Sucht, oben wie unten.

Dabei ist "Alles muss raus" von Dostojewski oder wenigstens Zola so weit entfernt wie der Kompass vom magnetischen Nordpol, nach dem er sich ausrichtet. Dafür wurden bei epischen Serien wie "House of Cards" ein paar optische Ideen ausgeliehen, etwa das grafische Einblenden von SMS-Botschaften. Und die Ambition, eine Familiengeschichte und einen Wirtschaftskrimi, zwei Liebesgeschichten und ein moralisches Stück über die Verantwortung der Presse zu liefern. Leider mündet die Bedeutungsschwangerschaft unter anderem in unfreiwillig drollige Sätze wie den der Chefredakteurin, die auf der Konferenz streng verkündet: "Wir haben schon wieder Leser verloren. Was machen wir? Vorschläge?" Die Politik taucht als handelnde Akteurin gar nicht erst auf.

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"Die Schlikkerfrauen" auf Sat.1: Tanz auf den Barrikaden

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Leider rollt dieser allzu schwer beladene Plot überraschungsfrei auf den Gleisen dahin, die im deutschen Fernsehen selbst für größte Tragödien vorgesehen sind. Alles läuft auf die naive Frage hinaus, ob das Prinzip der Ausbeutung gerettet werden kann, wenn es sich selbst noch rechtzeitig unter menschlichere Vorzeichen stellt. Das ist nicht der Fall. Die Bösen bleiben böse, die Guten bleiben gut. Und die Zwiespältigen kippen am Ende auf die eine oder andere Seite.

"Jetzt sind wa Verbrecher!"

Auch in "Die Schlikkerfrauen" bekommen alle, was sie verdienen. In Person einer "Ursula von der Weyen" kommt hier sogar kurz die Politik ins Spiel. Klingelt das Mobiltelefon von Theo Schlikker, tut es das auch mit eingeblendeter SMS und einer Melodie von Abba ("Money, Money, Money"). Sehenswert ist vor allem das Ensemble aus einer desillusionierten Mutter (Anette Frier), einer persischen Lesbe (Shadi Hedayati) und einem blondierten Casting-Opfer (Sonja Gerhardt) - die sich alle um die zuckerkranke Greta (Katharina Thalbach) drehen.

Thalbach ist, als phänomenal fertige Filialleiterin, das sehenswerte Kraftzentrum dieses Films. Nachdem Greta sich mit Honig, Katzenfutter und Alkohol vergeblich den Rest geben will, kapern die Verkäuferinnen Laden wie Chef und wissen nicht, was sie mit beidem anfangen sollen: "Jetzt sind wa Verbrecher!", seufzt eine der Frauen. "Keine Verbrecher", belehrt sie ihre geschäftstüchtige Geisel: "Unternehmer!"

Die Sat.1-Komödie ist so wenig "lumpige Farce" wie das ZDF-Drama eine "große Tragödie". Mit satirischen Arbeiterkomödien wie "Ganz oder gar nicht" teilen "Die Schlikkerfrauen" den liebevollen Realismus und die frohe Botschaft: Nimm dein Schicksal in die eigene Hand, dann wird das schon! Immerhin verfügt Greta am Ende, als Theo Schlikker bereits wieder von einer neuen Kette fantasiert: "Stopp, stopp. Nüscht von Wachstum hier!" Zwar zünden nicht alle Gags, werden weiträumig umschifft oder märchenhaften Wendungen geopfert. Trotzdem, und das ist die Überraschung, wird die kurzatmige Groteske dem Thema auf erhellende Weise gerechter als der langatmige Zweiteiler.

In der Realität ist Anton Schlecker noch immer Anton Schlecker, wie das "Ehinger Tagblatt" ermittelt hat. Angeblich parkt er täglich in der Tiefgarage seines ehemaligen Firmensitzes im Schwäbischen, fährt mit einem Spezialaufzug hinauf in sein altes Büro, das die Familie vom Insolvenzverwalter angemietet hat. Dort sitzt er, abgeschottet hinter einer vollverspiegelten Fassade, und schaut trübsinnig auf die Trümmer seines Lebenswerkes herab. Eine anständige "Anschlussverwendung", wie der damalige Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) das nannte, haben bis heute übrigens auch die meisten "Schleckerfrauen" nicht gefunden.


"Die Schlikkerfrauen", Dienstag, 20.15 Uhr, Sat.1
"Alles muss raus - Eine Familie rechnet ab", ZDF, Montag 13. und Mittwoch 15. Oktober, jeweils 20.15 Uhr, ZDF

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