Wegen "Fake News" n-tv streicht Talk mit Serdar Somuncu
"Alternativlos schmutzig: Wie extrem wird der Wahlkampf?" war der Titel einer Folge der Talkshow "So! Muncu!", die für Dienstagabend um 23.10 Uhr im Programm des Nachrichtensenders n-tv stand. Doch wenige Stunden vor dem Sendetermin kippte der Sender aus der RTL-Unternehmensgruppe die Ausstrahlung der Talkshow mit Serdar Somuncu.
Eine Sendersprecherin begründete dies gegenüber dem SPIEGEL damit, dass die Sendung "nicht unseren Qualitätsansprüchen entsprochen" habe. Stattdessen wurde die Dokumentation "Frankreichs Elite-Einheit RAID" ausgestrahlt.
In der bereits am Montagnachmittag in Berlin aufgezeichneten Talkrunde sprach Moderator Somuncu mit den Gästen Wolfgang Kubicki (stellvertretender Parteivorsitzender der FDP), Wigald Boning (Komiker und Buchautor) und Annabelle Mandeng (Schauspielerin und Moderatorin) über den bevorstehenden Bundestagswahlkampf.
Am Mittwochmorgen war die Sendung vorübergehend noch in der Mediathek der RTL-Sendergruppe abrufbar. Eine n-tv-Sprecherin bezeichnete dies allerdings als Versäumnis, der Link ist inzwischen tot. Diese Redaktion konnte die Folge allerdings noch sichten.
Sie beginnt mit einem Dialog zwischen Somuncu und Friedrich Küppersbusch, dessen Firma Pro Bono die Show produziert. Darin werfen sie sich gegenseitig Wortwitze mit Sexbezug zu. "Da waren wir schon viel extremer", sagt Somuncu über die Passage, die seit anderthalb Jahren in ähnlicher Form die Sendungen eröffnet, und verweist auf eine Folge mit Niels Ruf, "das war wirklich an der Grenze der Sendbarkeit".
"Elemente, die die Zuschauer eher verwirrt hätten"
Im Anschluss diskutieren Somuncu und seine Gäste inhaltlich durchaus ernsthaft über das Wahljahr im Allgemeinen und die FDP im Speziellen, allerdings scherzhaft im Tonfall - mit Karnevalsgags und Anspielungen auf die ethnische Herkunft der Diskutanten. Alles eher harmlos.
Das entscheidende Gesprächsthema ist dann allerdings der mögliche Einsatz von Fake News im Kampf um Wählerstimmen. Im Laufe der Sendung gibt es mehrfach mit "Breaking News" gekennzeichnete Einspieler, in denen ein Reporter mit n-tv-Mikrofon vor einem Bild des Weißen Hauses vorgeblich aus Washington berichtet: Ein deutsches Konsortium aus Bilfinger und Hochtief solle die Mauer nach Mexiko bauen, heißt es da, oder auch, dass Trump die Nato verlassen wolle. Außerdem wolle der US-Präsident Muslimen den Strom abdrehen. Der Einbau dieser Pseudo-News war offenbar für n-tv im eigenen Sendeumfeld problematisch.
"Die Zuschauer erwarten gerade in Zeiten von gefühlter Unsicherheit und oft unüberschaubaren Nachrichtenlagen von einem Nachrichtensender Orientierung und Einordnung", sagte eine Sendersprecherin dem SPIEGEL. "Insbesondere bei Breaking News ist daher besondere Sensibilität gefragt. Die Sendung enthielt Elemente, die die Zuschauer eher verwirrt hätten. Daher haben wir uns entschieden, sie nicht auszustrahlen."
Serdar Somuncu kommentierte die Absetzung der Sendung auf seiner Facebook-Seite zunächst mit den Worten "Heart Breaking News". Im Interview mit dem SPIEGEL sagte der Kabarettist weiter: "Erstens leben wir doch in einer Post-Varoufakis-Fake Zeit. Und zweitens glaube ich, dass wir in Deutschland mittlerweile satiregeschulter sind als viele andere Länder." Fake News sei ja das Thema der Sendung gewesen, man habe dreimal den gleichen Einspieler mit unterschiedlichen Meldungen innerhalb von sechs Minuten gezeigt. "Das muss man doch bemerken."
Besondere Pikanterie: Am Dienstagnachmittag schloss der Chef des Düsseldorfer Baukonzerns Hochtief tatsächlich eine Beteiligung an dem von Donald Trump angekündigten Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko nicht aus. Eine solche Koinzidenz - "über so viel Kultfaktor müsste der Sender eigentlich jubeln!", sagt Somuncu. Eine mögliche Verwirrung könne man doch "in zwei Minuten aufklären, übers Internet, über Social Media. Die Leute sind nicht so dumm".
Somuncu, der in der n-tv-Sendung einmal im Monat mit Gästen über aktuell relevante Themen aus Politik und Gesellschaft debattiert, sieht den Erhalt der Sendung gefährdet. "Wir sind konsterniert, das macht uns sprachlos. Wir machen die Sendung ja jetzt seit anderthalb Jahren. Und dann stellen sie zeitversetzt fest, dass sie sie doch nicht haben wollen? Dabei fand ich gerade das Umfeld spannend, es ist eine gute Umgebung."
"Qualitätsstandards neu definieren"
Der Sender sagt zum weiteren Schicksal von "So! muncu!": "Wir führen derzeit Gespräche mit dem Produzenten bezüglich der Zukunft der Sendung. Hier ist noch keine Entscheidung gefallen." Somuncus Reaktion: "Dann muss man die Qualitätsstandards neu definieren. Der Sender muss sich überlegen, ob man die Sendung wirklich haben will. Ich bin bisher weit unter dem Limit dessen gewesen, was ich auf der Bühne mache. Und ich will nicht Kreide fressen, um die Sendung weitermachen zu können."
Serdar Somuncu war bereits mit früheren Fernsehauftritten bei den zuständigen Redaktionen in Konflikt geraten. Dem WDR warf er bei einem öffentlichen Auftritt daraufhin Zensur vor, er bezeichnete den Sender und die zuständige Redakteurin als "Keimzelle des Faschismus". Daraufhin reichtet die WDR-Mitarbeiterin eine Unterlassungsklage ein.
Im Vergleich zu seinen bisherigen Erfahrungen war der Moderator nach eigener Aussage von der Zusammenarbeit mit n-tv bisher sehr angetan: "Deswegen macht mich diese Entscheidung so traurig. Ich empfinde das nicht als fremden Eingriff in meine Arbeit, sondern als Rückzug aus der Arbeit, die wir gemeinsam geleistet haben."
Vom Angebot, die Sendung gemeinsam zu überarbeiten, wie es bei früheren Folgen geschehen sei, habe n-tv nichts wissen wollen. "Diesmal fiel am Sendetag um 11 Uhr morgens die Entscheidung, und ich wurde um 15 Uhr im Gespräch mit dem Senderchef vor vollendete Tatsachen gestellt. "