
Somuncu versus WDR: Im ewigen Angriffsmodus
Zensurvorwurf von Serdar Somuncu Wut-Türke gegen "WDRdogan"
Er nennt sich selbst Hassias. Auf der Bühne oder vor der Fernsehkamera feuert er obszöne Beleidigungen und infame Unterstellungen in Reihe ab, damit füllt er inzwischen Sporthallen. Er suhlt sich in niederträchtigsten Klischees über Türken, Marokkaner und andere Migrantengruppen, und wenn das deutsche Publikum im Saal sich locker krakeelt hat, dann beleidigt er dieses als einen Haufen Nazi-Schweine.
Serdar Somuncu, 1968 in Istanbul geboren, heute in Köln als Kabarettist ansässig, ist so ziemlich das Härteste, was der deutsche Lustig-lustig-Betrieb zwischen Stand-up-Bühne und ProSieben, zwischen YouTube und WDR-Nachtprogramm so hergibt. Manchmal ist er auch der Beste. Bekannt wurde er durch Lesungen aus Hitlers zentraler Hetzschrift. Titel des Programms: "Ein Türke liest Mein Kampf".
Hat Somuncu einen guten Tag, dann führt er in einem virtuos unappetitlichen Beleidigungs-Crossover unterschiedliche Techniken des Hasses vor und legt sie damit auch offen. Hat der Comedian einen schlechten, bleibt es bei stumpfen unappetitlichen Beleidigungen in alle Richtungen. Auch Deutsche unter den Opfern.
"Keimzelle des Faschismus"
Nun geht eine Kölner Fernsehredakteurin gegen Somuncu mit einer Unterlassungsklage vor. Auf einer schon im November 2015 stattgefunden Podiumsveranstaltung der Körber-Stiftung hat er in Richtung einer Redakteurin und des WDR erklärt: "Diese Arschlöcher nehmen sich raus, im Namen der Gebührenzahler, uns zu zensieren. Und das war für mich die Keimzelle des Faschismus."
Der WDR erklärte, er werde die Redakteurin juristisch unterstützen. Man dulde nicht, "dass unsere Mitarbeiterin öffentlich als 'Keimzelle des Faschismus' oder 'Arschloch' bezeichnet wird". Somuncu reagierte am Mittwoch auf Facebook mit der Wortschöpfung "WDRdogan".
Was genau ist da los? Entsteht am Rhein tatsächlich ein neues Erdogate? Oder handelt es sich doch nur um einen Kölner Comedy-Fernseh-Kleinkrieg? Fest steht, dass die Streitparteien auf unterschiedliche Weise eng miteinander verbunden waren.
Und es übrigens auch nach der Zensurkeule Somuncus aus dem Herbst 2015 noch gewesen sind. Der WDR hat ihn danach immer wieder gebucht, etwa auch für eine Ausgabe von "Hart aber fair". Die von ihm angegriffene Redakteurin betreut unter anderem die in der ARD ausgestrahlte Sendung "Pussy Terror TV" mit Carolin Kebekus. Somuncu trat schon vorher immer wieder gemeinsam mit Kebekus in unterschiedlichen Formaten auf. Auch in "Pussy Terror TV". An einem Auftritt in der Show entzündete sich dann der Konflikt.
In seinem schon im Oktober 2015 erschienenen Buch "Der Adolf in mir", in dem er auch von den prekären Arbeitsbedingungen und moralischen Zermürbungskämpfen innerhalb der deutschen Comedyszene erzählt, hat Somuncu einen Stand-up abgedruckt, den er für "Pussy Terror TV" entwickelt hat und der seiner Meinung nach zensiert wurde. Er zieht darin über das deutsche Fernsehen her, besonders über die ARD und den WDR.
Tom Buhrow als "Pussy des Jahres"
Unter anderem heißt es dort sprachwitzelnd: "Das Studio wird anschließend ejakuliert und zu einer Notunterkunft für osteuropäische Oralhostessen umgepolt." Gegen Ende ruft er den WDR-Intendant Tom Buhrow "zur Pussy des Jahres" aus. Der Auftritt erschien dann nach Aussage von Somuncu in verstümmelter Form; für ihn ist eben das der Beleg einer Zensur.
Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE sagt die Sprecherin des WDR: "Der Redaktion wurde ein Skript für eine Domian-Parodie zur Abnahme vorgelegt. Dieses Skript unterschied sich sowohl inhaltlich, sprachlich als auch dramaturgisch völlig von dem in der betreffenden Buchpassage abgedruckten Text. Dieser Text wurde dem WDR nicht vorgelegt."

Somuncu versus WDR: Im ewigen Angriffsmodus
Zuvor hatte der Sender schon in einem Statement auf Somuncus Zensurvorwurf reagiert: "Im WDR wird nicht zensiert. Jede Sendung wird auf Grundlage unserer Programmgrundsätze redaktionell abgenommen. (...) Bei der Abwägung räumen wir der Kunst- und Meinungsfreiheit einen sehr hohen Stellenwert ein. Aber auch bei Satire bewegen wir uns nicht im rechtsfreien Raum. Letztendlich liegt die presserechtliche Verantwortung für die ausgestrahlte Sendung im WDR nicht beim Künstler, sondern beim Redakteur."
Den Eingriff in den eingeplanten Domian-Sketch, der dann zur Generalabrechnung mit dem deutschen Fernsehen im bekannten körpersaftgesättigten Somuncu-Idiom wurde, hat man nach Verständnis des WDR also nur verantwortungsvoll vorgenommen.
Der Kabarettist sieht das naturgemäß anders. Gegenüber SPIEGEL ONLINE erklärt er: "Ich bin lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass nicht jeder meiner Stand-ups in voller Länge gesendet werden kann. Betrifft der Eingriff des Redakteurs wie in diesem Fall aber nahezu drei Viertel der Inhalte meiner Aussage, so sehe ich darin eine gravierende Verfälschung originärer Inhalte aus Gründen, die weder dramaturgisch noch technisch zu rechtfertigen sind."
Weiter sagt Somuncu: "Auch die Behauptung des WDR, dass ein anderes Manuskript eingereicht wurde, ist widersprüchlich und bewusst falsch. Warum wurde dann überhaupt ein verkürzter Ausschnitt gesendet, wenn es nicht abgesprochen war und womit waren die Kürzungen begründet? Hierbei handelt es sich aus meiner Sicht eindeutig um eine unzulässige Manipulation meiner künstlerischen Aussage zugunsten des Senders. Das nenne ich Zensur."
Somuncus abschließender Vorschlag: "Der WDR, der behauptet, es gäbe keine Zensur, könnte seinem reinen Gewissen Ausdruck verleihen, indem er den genannten Ausschnitt sowohl im Original als auch in der geänderten TV-Fassung öffentlich zugänglich macht. Im Übrigen ist auch unter Künstlerkollegen hinlänglich bekannt, dass es sich bei der genannten Anstalt und ihrer Redaktionen um Wiederholungstäter handelt."
Der Fall bleibt also unübersichtlich. Und das hat auch mit dem Umstand zu tun, dass bei Serdar Somuncu die Grenzen zwischen Bühnenperson und realer Person fließend sind. Man bucht den Kabarettisten als - lustig! - verbal voll entgleisenden Wut-Türken vor die Kamera und bekommt - unlustig! - den verbal voll entgleisenden Wut-Türken auch als Geschäftspartner. Und oben drauf auch noch als Kritiker struktureller Probleme im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der dabei mit Begriffen wie "Arschloch" operiert.
Ob die Sprache des Hassias wirklich zur Medienkritik taugt, darüber darf natürlich diskutiert werden. Fortsetzung folgt.