
RTL-Serie "Herr Lehrer": Er trägt ihre Schuhe, er spricht ihre Sprache
RTL-Serie "Der Lehrer" Pädagoge mit Rotz-Appeal
Der Pädagoge wirkt leicht derangiert, wirr das Haar, wild der Blick. Ihn umweht ein leichter Hauch von Schmuddel, weil er manchmal ein paar Tage lang dasselbe Schlabber-Hänger-Outfit trägt - wenn er durch die Gänge seiner Gesamtschule schlurft, strahlt er reinste Unkonventionalität aus.
Das ist "Der Lehrer", dem RTL in einer zweiten Staffel den Bildungsauftrag verlängert hat. Schon 2009 liefen die ersten neun Episoden mit Hendrik Duryn als raubauzigem Chemie- und Sportpädagogen Stefan Vollmer, damals gar mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Für den zweiten Aufschlag wurde das damalige Sitcom-Format nun auf 45-Minuten-Serienlänge aufgeplustert und auf den für eine Schulposse etwas sonderbaren Sendeplatz um 21.15 Uhr gesetzt.
Vollmer ist ein Lehrer mit Rotz-Appeal, wie der gangsterhafte Aushilfspauker im gerade außerordentlich erfolgreichen Kinofilm "Fack ju Göhte" - vielleicht wurde die schon im Frühjahr 2012 gedrehte zweite Staffel nun wegen erhoffter Synergieeffekte von der Produktionshalde geholt. Der TV-Lehrer ist weniger überzogen gezeichnet als sein Kino-Kollege, und doch sind sie wesensverwandt, beide von der leicht berufsjugendlich-kumpeligen Sorte, die sich womöglich auch auf Facebook mit ihren Schülern befreunden oder ihnen nach dem Läuten der Schulglocke noch eine Hausaufgabenerläuterung hinterher whatsappen würde.
Weit entfernt von der adretten Manufactum-Gutmenschlichkeit des elastischen Dr. Specht, der ehedem als Serienlehrer mit bimmelnder Fahrradklingel in vielfältige Adoleszenzdramen rauschte. Vollmer ist ein modernes Modell, das im Chemieunterricht aus dem Fenster springt, um den Energieerhaltungssatz zu demonstrieren. Und das auch extrem fluffig bleibt, wenn ein Schüler einem hyperventilierenden Kameraden auf die Aufforderung "Gib ihm mal eine Tüte!" selbstverständlich treudoof kein Plastiksackerl, sondern einen Joint reicht. "Eh Alter, nicht so 'ne Tüte!", sagt der Lehrer, total lässig.
"Geiler Bock"
So modern der Pädagoge, so angemufft die Klischees um ihn herum. Die neue Junglehrerin fährt naturgemäß in einer Ente vor, das halbglatzige Kollegium ist sofort pennälerhaft verliebt in sie und komplett aus dem Häuschen, weil Lehrerinnen sonst bekanntermaßen sämtlich verhärmte bucklige Knitterfräulein sind. Der deutschtürkische Schüler verwechselt "Masochist" und "Masseur" und muss ständig verbessert werden. Und Mädchen hören sofort auf, sich zu kloppen, wenn man sie darauf hinweist, dass dabei die teuren Gelfingernägel Schaden nehmen könnten.
Nur Stefan Vollmer spricht natürlich die Sprache der Schüler, trinkt mit ihnen auch mal Schnäpschen, wenn es der hehren Sache dient, wacht sogar mit Filmriss auf deren Bettvorleger auf und lässt sich von seinen Schülern jovial als "geiler Bock" bezeichnen. Weil er natürlich auch ein ambitionierter Stenz ist, der nahezu jede Frau niederreißen will, die ihm begegnet. Aber selbstverständlich auch total einfühlsam und verständnisvoll, wenn es um seine Schüler und ihre Serien-Topos-gerechten Probleme geht (heimliche Adoption, verfeindete türkische Familien, aber auch mal extravaganteres wie eine Kindbettdepression). Er trägt ihre Schuhe, er spricht ihre Sprache.
Wenn Erwachsene im Fernsehen oder - noch schlimmer - im echten Leben versuchen, aktuelle Idiome der Jugendsprache zu verwenden, endet das meist in peinlichem Gekrampfe. Immerhin hier greift "Der Lehrer" nicht zu offensichtlich schmerzhaft daneben, beschränkt sich meist auf Unverfängliches wie "ohne Scheiß" und "was geht". Aber sagen junge Menschen heute wirklich noch "Hat jemand 'ne Peilung?" Man weiß es nicht genau. Der Vorteil der späten Sendezeit: Die Hauptzuschauerschicht weiß es vermutlich auch nicht.