Endlich Zeit? Diese Serien müssen Sie 2021 unbedingt noch sehen

Szene aus »Reservation Dogs«: einzigartiges, schrulliges Universum
Foto:FX Networks / Disney+
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Früher war vielleicht mehr Lametta, aber ganz sicher waren weniger Serien. Klar kann man den Überfluss des Streaming-Zeitalters auch anstrengend finden: Muss man das wirklich alles gesehen haben? Vielleicht sollten Sie das »müssen« aus der Artikelüberschrift nicht allzu wörtlich nehmen. Sondern eher als Hinweis darauf, wie überreich gedeckt der Serien-Tisch gerade ist und wie viel sich abseits von »Squid Game« noch entdecken lässt.
Dazu ist jetzt hoffentlich endlich Zeit. Statt einer Best-of-Liste mit Titeln, die Sie längst kennen, haben wir für Sie sechs herausragende Serien des Jahres gesammelt, die wegen der schieren Masse etwas untergingen.
1. »The White Lotus«, HBO

HBO / Sky
Nichts liegt näher, als sich bei eisigen Temperaturen oder Dauerregen nach Hawaii zu träumen. Die warme Sonne auf der Haut, das Rauschen der Wellen, der Sand zwischen den Zehen... Stopp. Diese Serie ist kein Ausflug mit dem »Traumschiff« . Sondern eine tiefschwarze Satire auf reiche Menschen und ihre Probleme, die sie bis in die Luxusoase »The White Lotus« verfolgen. Die beiden Frischvermählten Rachel und Shane etwa, er ein Kotzbrocken mit tiefen Taschen, sie eine unsichere Möchtegern-Journalistin.
Oder die Mossbachers, sie CEO einer Tech-Firma, er hypochondrisches Ehemännchen mit geschwollenen Testikeln, die Kinder auf der Suche nach Drogen, um die Misere erträglich zu gestalten. Auge im Sturm der Gehässigkeiten ist zunächst noch Hotelmanager Armand, der allerdings zunehmend enthemmt auf die unerträgliche Spitzfindigkeit des Seins seiner Gäste reagiert und am Ende einen so ekelhaften wie glorreichen Weg findet, sich zu rächen. Fieser als diese war keine Serie in diesem Jahr; einfallsreicher, pointierter und einfach rasend unterhaltsamer auch nicht.
Sechs Folgen zwischen 50 und 65 Minuten, zu sehen bei Sky Ticket.
2. »Maid«, Netflix

Ricardo Hubbs / Netflix
Apropos reiche Menschen: Die kommen auch hier sehr schlecht weg. »Maid« ist eine der wenigen amerikanischen Netflix-Serien, die die soziale Spaltung in den USA thematisiert, das aber auf verblüffend augenöffnende Weise. Am Anfang sieht man die junge Mutter Alex im Supermarkt, rechts im Bild lässt sich anhand einer Zahlenkolonne verfolgen, wie mit jedem neuen Artikel ihr letztes Bargeld zusammenschmilzt. Die Putzmittel für ihren neuen Job als Hausangestellte muss sie selbst bezahlen, am Ende bleibt nicht einmal Geld für ein Sandwich übrig. Alex, grandios gespielt von Andie MacDowells Tochter Margaret Qualley, hat mit ihrer dreijährigen Tochter ihren Freund Sean verlassen, einen Widerling, der sie als emotionalen Mülleimer benutzt, und steht nun allein da.
Minutiös zeigt »Maid« die Mühsal von Alleinerziehenden, die in den USA durch das soziale Raster zu fallen drohen, von der kafkaesken Bürokratie über die Ausnutzung auf dem Arbeitsmarkt bis hin zum gesundheitsbedrohlichen Schimmel in Übergangseinrichtungen. Dass die Macher von »Maid« es schaffen, in all dem Elend Kraft und Inspiration zu finden, ohne dabei auch nur ein Jota von ihrer Anklage himmelschreiender Ungerechtigkeit abzuweichen, macht diese Serie zu einem Erlebnis.
Zehn Folgen zwischen 45 und 60 Minuten.
3. »Only Murders In The Building«, Disney+

Craig Blankenhorn / Hulu / Disney+
Dieser Plot klingt erst einmal wahnsinnig fad: Drei Fans von True-Crime-Podcasts übernehmen selbst heimlich Ermittlungen in einem Mordfall, der sich in ihrem Mietshaus zugetragen hat. Ist aber keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die alternden Stars Steve Martin (der die Serie auch miterfand) und Martin Short. Und Selena Gomez ist auch mehr als ein Feigenblatt: Sie überzeugt hier endgültig als Schauspielerin.
»Only Murders In The Building« ist der seltene Fall einer Krimiparodie, die genauso spannend ist wie das Genre, über das sie sich lustig macht. Der Plot ist wahnsinnig clever ausgedacht, die Gags sitzen, weil auch Martin und Freeman in allerbester Spiellaune sind, und jede Figur verbirgt Geheimnisse, die sowohl die Spannung weiter vorantreiben als auch in überraschend dramatische Gefilde führen. Suchtfaktor: mörderisch.
Zehn Folgen à 30 Minuten.
4. »Hellbound«, Netflix

Netflix
Der Hype um »Squid Game« war noch nicht verklungen, da kam schon die nächste Serie aus Südkorea, die die Kritik begeisterte und ganz oben in den Netflix-Charts rangierte. Dennoch ging »Hellbound« etwas unter angesichts des Hypes um »Squid Game«, zumal die Story nur für Hardcore-Horror-Fans verdaulich klingt: Zottelige Monster kündigen Menschen, die angeblich gesündigt haben, den genauen Zeitpunkt ihres Todes an und tauchen dann pünktlich auf, um ihr Werk zu verrichten. Aber wie bei »Squid Game« dient das Genre hier als Rahmen für eine Geschichte, die sich in überraschend nachdenkliche Richtungen entwickelt.
Regie führte Yeon Sang-ho, der vor einigen Jahren seinen Zombie-Thriller »Train To Busan« in einem Hochgeschwindigkeitszug spielen ließ. In »Hellbound« dagegen lässt er sich Zeit, um über die Widersprüchlichkeit menschlichen Verhaltens nachzudenken, über die Zerbrechlichkeit von Beziehungen und die Suche nach dem Göttlichen in einer durchrationalisierten Welt. Jetzt noch einmal zu betonen, wie viele sagenhaft gute Filme und Serien aus Südkorea kommen, hieße wirklich, Eulen nach Seoul zu tragen.
Sechs Folgen zwischen 40 und 60 Minuten.
5. »Reservation Dogs«, Disney+

Szene aus »Reservation Dogs«: Melancholische Komödie
Foto:FX Networks / Disney+
Ah, Kalifornien! Immer noch Ort der Sehnsüchte und Versprechen auf ein besseres Leben. Dass »Reservation Dogs« komplett in Oklahoma gedreht wurde, zeigt aber schon, dass das wohl nichts wird mit den Träumen von Elora, Cheese, Bear und Willie. Dabei legen sich die Teens wirklich ins Zeug, um das nötige Reisegeld zusammenzubekommen, auf legalen und illegalen Wegen. Die Serienmacher, zu denen der für seinen einzigartig verschrobenen Humor bekannte Taika Waititi (»Jojo Rabbit«) gehört, schauen ihnen dabei halb amüsiert, halb beklommen zu. »Reservation Dogs« entstand beinahe ausschließlich mit indigenen Künstlern vor und hinter den Kameras.
Darum macht diese melancholische Komödie aber wenig Aufhebens, sie bewegt sich in einem ganz eigenen, schrulligen Universum. Einmal taucht in einer Vision ein Krieger aus den ewigen Jagdgründen auf und sagt mit allergrößter Würde: »Kalt ist es in der Geisterwelt. Meine Brustwarzen sind immer hart.« Tradition, Weisheit und die Lust am gehobenen Unsinn gehen hier eine denkwürdige Liaison ein.
Acht Episoden à 30 Minuten.
6. »Yellowjackets«, Showtime

Das Jahr endet mit einem weiteren Serienhöhepunkt aus den USA. Eine Quelle für die sagenhafte Breite und Menge an US-amerikanischen Erzählungen ist die Literatur-, Musik- und Filmgeschichte, die in immer neuen Versionen zusammengelötet wird und dabei, wenn es gut läuft, aus den gebrauchten Teilen völlig neue Kunst entstehen lässt. So wie im Fall von »Yellowjackets«, einer Mischung aus Drama, Sozialfarce und blutigem Real-Horror: »Der Herr der Fliegen« trifft den Survival-Thriller »Überleben!« trifft Neunzigerjahre-Highschool-Dramödie.
Die Geschichte spielt parallel 1996 und 2021: In den Neunzigern stürzt die Mädchen-Fußballmannschaft einer Highschool mit dem Flugzeug in der kanadischen Wildnis ab und bleibt für 19 Monate verschollen. In der Gegenwart sieht man Überlebenden des Unglücks beim mitleidlosen Schlachten von niedlichen Kaninchen und Durchladen von Präzisionsgewehren zu, was erahnen lässt, dass sich damals einiges an Trauma angesammelt hat. Stück für Stück lüftet die Serie die grausame Wahrheit und ihre Implikationen für das Heute. Kurz gesagt: Wir mögen uns als fortschrittlich empfinden – aber unsere vermeintliche Vorvergangenheit inklusive archaischer Stammesriten ist immer schnell bei der Hand, wenn es sich anbietet.
Ab 28. Dezember bei Sky Ticket, sechs Folgen à 60 Minuten.