Braucht Deutschland eine Regelung gegen Sexismus und Genderstereotype in der Werbung?
Dieser Beitrag wurde am 23.08.2019 auf bento.de veröffentlicht.
Frauen waschen lächelnd Wäsche, weil sie das am besten können, und wollen schon im Kindergarten Ballerina werden. Männer sind nicht fähig, Kinder zu erziehen, entwickeln aber dafür Elektroautos. Gefühle? Höchstens Hunger. Also, in der Werbung natürlich.
In Großbritannien gilt seit Anfang des Jahres eine selbstverpflichtende Regelung, die allzu plumpe Geschlechterklischees in der Werbung verhindern soll.
Sie wurde erarbeitet von der Advertising Standards Authority (ASA) und betrifft sexistische Werbespots, die zum Beispiel Körper stark sexualisieren oder objektifizieren, aber auch Werbungen, die veraltete oder schädliche Geschlechterrollen verbreiten (bento). Die ASA ist zwar ein Organ der Selbstkontrolle – doch die meisten Werbetreibenden halten sich an ihre Vorgaben (siehe Infokasten).
Vergangene Woche kritisierte die ASA nun erstmals zwei Werbespots.
In einem der beanstandeten Werbespots arbeiten Männer als Astronauten oder machen Sport. Die einzige Frau, die zu sehen ist, sitzt neben einem Kinderwagen auf einer Bank (YouTube ). Der andere zeigt zwei Männer, die auf ihre Kinder aufpassen sollen – und daran scheitern. (YouTube ) Beide Werbespots werden nun nicht mehr ausgestrahlt. (Guardian )
Wie ist die Situation in Deutschland?
Sexistische Werbung gibt es auch hier. Warum machen zum Beispiel alle Dreck, aber nur Mama wäscht?
Ein Gesetz dagegen gibt es jedoch nicht – und auch keine selbstverpflichtende Regelung wie in Großbritannien. Wir haben mit zwei Expertinnen und einem Experten darüber gesprochen, wie Sexismus und Genderstereotype in der Werbung reguliert werden könnten.
Dr. Stevie Schmiedel ist Geschäftsführerin von Pinkstinks, einer Bildungsorganisation gegen Sexismus und Homophobie. Sie findet, dass Deutschland ein Gesetz gegen schädliche Stereotype und Sexismus in der Werbung braucht.
Auch in Großbritannien ist es unter der neuen Regelung nicht grundsätzlich verboten, Männer am Grill oder Frauen an der Waschmaschine zu zeigen. Vielmehr geht es um "Harmful Stereotypes" (ASA ). Stevie erklärt, warum Klischees so problematisch sein können: "Dass Väter in der Fürsorge als inkompetent dargestellt werden, ist gefährlich, weil wir Männer in Care-Berufen brauchen und weil vor allem Väter selbst nicht immer als inkompetent in der Erziehung gesehen werden wollen."
Deswegen wünscht sie sich in Deutschland eine gesetzliche Regelung. Zwar findet Stevie die Idee der freien Selbstkontrolle, wie sie in Großbritannien praktiziert wird, eigentlich gut. Doch der Werberat besäße in Deutschland keinen vergleichbaren Einfluss wie die ASA.
Wer überwacht die Werbung?
Der Deutsche Werberat agiert "frei von staatlicher Aufsicht als unabhängiges Selbstkontrollorgan der Wirtschaft" (ZAW ) und soll dafür sorgen, dass Grundwerte innerhalb der Werbung eingehalten und keine Grenzen überschritten werden. Entscheidet der Werberat, dass eine Werbekampagne eine solche Grenze überschreitet, kann er diese rügen, nicht aber verbieten. Ein Beispiel für einen solchen Fall ist eine Edeka-Kampagne zum Muttertag 2019.
Die Advertising Standards Authority (ASA) ist das britische Pendant zum Deutschen Werberat. Auch die ASA kann keine Werbung verbieten und ist ein vom Staat unabhängiger Regulator. (ASA )
Die ASA arbeitet eng mit der Wirtschaft und der Werbeindustrie zusammen, die sich dadurch selbst reguliert. Das bedeutet, dass die ASA vom Wirtschaftssystem finanziert wird. Aus diesem Grund halten sich die meisten Unternehmen an das Urteil der ASA, nachdem dort eigegangene Beschwerden geprüft werden. Weigert sich ein Unternehmen dennoch, die Werbung zu ändern, kann die ASA sanktionieren und die Beschwerde an höhere Instanzen weitergeben. (ASA )
"In England geht ein Teil des Gewinns aus Werbeflächen direkt an die ASA, das heißt, er ist finanziell viel besser aufgestellt in Deutschland", erklärt Stevie. Außerdem sei den Unternehmen klar: "Wenn wir uns nicht selbst regulieren, kommt irgendwann ein Gesetz."
Vor zwei Jahren hat Pinkstinks mit Unterstützung des Bundesfamilienministeriums die "Werbemelder*in " gelauncht, eine digitale Meldestelle für diskriminierende Werbung (bento). Die Anzahl der Beschwerden zeigt, dass es für das Thema ein Bewusstsein gibt: 2018 machte der Vorwurf der Geschlechterdiskriminierung mehr als die Hälfte der vom Werberat entschiedenen Fälle aus. (ZAW )
Michael Terhaag ist Rechtsanwalt für Marken, Wettbewerbs-, aber auch Urheberrecht. Er meint: "Ein Gesetz gegen sexistische Werbung wäre in Deutschland denkbar – aber überflüssig."
Michael Terhaag
Derzeit sind nur Werbungen
reguliert, die gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb verstoßen. Dazu zählen
beispielsweise Schleichwerbung, irreführende Werbungen, oder sogenannte
Angstwerbungen, die Menschen in eine geistige Zwangslage bringen. Auch wenn ein
Straftatbestand, beispielsweise Beleidigung, erfüllt ist, könne Werbung verboten
werden.
"Was verboten ist und was nicht, entscheiden in Deutschland letztlich Gerichte, wenn ein Unternehmen verklagt wird", erklärt Michael. Außerdem legen das Telemediengesetz oder der Rundfunkstaatsvertrag Regeln fest, was gezeigt und gesendet werden dürfe. Aber in keiner dieser Vorschriften stehe, dass Werbung, die gegen das Anstandsempfinden verstößt, verboten ist.
"Selbstverständlich könnten in Deutschland Gesetze geschaffen werden, die solche Werbungen verbieten. Diese müssen aber frei formuliert sein", sagt Michael. Ein Gesetz zum Beispiel, das explizit das Zeigen von weiblichen Brüsten oder nackten Menschen verbietet, würde es hier deshalb eher nicht geben. Pornografisch anmutende Werbung ist in vielen Fällen ohnehin bereits verboten.
Außerdem müsste man sich erst einmal über die Kriterien klar werden, meint der Anwalt.
Michael Terhaag
Dr. Berit Völzmann ist da anderer Meinung. Als Juristin forscht und lehrt sie an der Uni Frankfurt zu Rechtsthemen mit Gender-Bezug.
"Wir haben in Deutschland ein Gleichberechtigungsgebot, nach dem der Staat auf die Gleichberechtigung von Frauen und Männern hinwirken muss", erklärt Berit. Das heiße nicht nur, dass formal alle gleich behandelt werden sollen, sondern auch, dass Vorkehrungen für tatsächliche Gleichberechtigung geschaffen werden müssen.
Dass Werbung auch unterschwellig eine starke Wirkung auf Konsumentinnen und Konsumenten habe, sei mittlerweile in mehreren Studien bestätigt worden, betont Berit. "Das gilt nicht nur für das beworbene Produkt, sondern eben auch für bestimmte Geschlechterrollen und Stereotype, die transportiert werden."
Deshalb ist sie für eine gesetzliche Regulierung – insbesondere, wenn Kinder und Jugendliche die Botschaften konsumierten, die das Verhältnis zu ihrem eigenen Geschlecht und zu Geschlechtsrollen noch entwickeln würden.
Dr. Berit Völzmann
Die Unterscheidung zwischen dem, was erlaubt sein sollte und was nicht, findet Berit allerdings ebenfalls schwierig. "Alle Stereotype sind letztendlich Festschreibungen. Auch die positiven. Sagt man, dass Frauen besonders gut mit Kindern umgehen können, bedeutet das im Rückschluss letztlich, dass Männer es nicht so gut können." Frauen waschen Wäsche, genauso wie Männer. Eine Werbung, in der Frauen Wäsche waschen, sei demnach kein Problem, meint Berit. Das würde es erst, wenn vermittelt werde, dass Frauen das besser könnten als Männer – oder, dass das eben ihre Aufgabe in der Familie sei.
Dass manche Gegner einer Regulierung sexistische Werbung als "schlechten Geschmack" abtun, ärgert sie. "Das ist eines der Hauptargumente gegen feministische Forderungen. Hier geht es um die Verfestigung von Geschlechterrollenstereotypen, die wir in der Gesellschaft noch immer haben."
Dr. Berit Völzmann
Und trotzdem ist sexistische Werbung in Deutschland derzeit noch eine Frage des eigenen Empfindens.
Solange es keine gesetzlichen Regelungen gibt, bleibt nur die Beschwerde beim Werberat oder über die Werbemelder*in, oder die Möglichkeit, sich politisch zu engagieren. Und eben die Entscheidung, sexistisch beworbene Produkte zu kaufen – oder eben nicht.