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ZDF-Serie "Sløborn" "Die Apokalypse ist inspirierend"

Die Serie "Sløborn" schildert, wie eine Epidemie auf einer deutschen Insel ausbricht - und sich friedliche Provinzler in gewalttätige Wutmenschen verwandeln. Das ist nicht sehr subtil, aber packend.
aus DER SPIEGEL 30/2020
Szene aus "Sløborn": Einer Schar von jungen Menschen werden dramatische Entscheidungen abverlangt.

Szene aus "Sløborn": Einer Schar von jungen Menschen werden dramatische Entscheidungen abverlangt.

Foto: Stefan Erhard/ ZDF

Die Wellen klatschen an kilometerlange Sandstrände, die Möwen flattern über der Betonödnis einer Fußgängerzone. Wenn die Fähre beim Ablegen vom Hafen hupt, markiert das die größte Sensation im Inselalltag. Der Schauplatz der Serie "Sløborn" ist ein beschauliches fiktives Eiland in der Nordsee nahe der dänischen Grenze, über das das Grauen hereinbricht. Ein paar Schüler entdecken nachts ein gestrandetes Segelboot mit zwei toten Fremden an Bord – wenig später ist unter den Inselbewohnern ein Virus im Umlauf, von dem es heißt: "Das Gefährlichste ist die Latenzzeit, weil gerade dann viele Infizierte höchst ansteckend sind."

Der Regisseur Christian Alvart konzipierte den Achtteiler "Sløborn" lange vor der Corona-Pandemie. Im vergangenen Herbst hat er das Werk gemeinsam mit seinem Kollegen Adolfo Kolmerer gedreht.

Evelin (Emily Kusche) geht es nicht gut, aber bei ihrem Vater (Wotan Wilke Möhring) lässt sie sich nichts anmerken.

Evelin (Emily Kusche) geht es nicht gut, aber bei ihrem Vater (Wotan Wilke Möhring) lässt sie sich nichts anmerken.

Foto: Krzysztof Wiktor/ dpa

Die Serie zeigt eine deutsche Provinzwelt, in der zuerst nur in den Nachrichten von einem neuartigen, in China und Indien bemerkten Virus die Rede ist, dem Erreger der sogenannten Taubengrippe. Und sie führt vor, wie brave Inselbewohner in Panik geraten und zu gewalttätigen Wutbürgern werden, als klar wird, dass auch sie der Krankheit ausgeliefert sind.

"Vorsicht, 'Sløborn' erzählt nicht von Corona", warnen die ZDF-Verantwortlichen einerseits im Pressetext zur Serie, andererseits beschwören sie "die erschreckende, aber auch aufregende Erfahrung, dass eine Serienproduktion auf dramatische Weise sehr real wurde". Das Fieber, das ein von Tieren auf Menschen übertragenes Grippevirus in dieser Serie auslöst, sorgt für Bilder, wie Kinobegeisterte sie aus Horrorfilmen kennen: Statt Tränen fließt selbst leicht Erkrankten immer wieder Blut aus den Augen.

Serienmacher Alvart, 46, ist unter anderem durch die 2018 bei Netflix herausgekommene Gangsterkrawallreihe "Dogs of Berlin" bekannt geworden, sie wurde von vielen Kritikern für ihre Klischeedichte gescholten. Dass Alvart auf Realismus eher wenig Wert legt und sich auf abgefeimtes Spannungshandwerk konzentriert, ist bei "Sløborn" jedoch ein Glücksfall.

Denn nicht vom möglichst wirklichkeitsgetreuen Ausmalen einer Katastrophensituation handelt die Serie, sondern von den dramatischen Entscheidungen, die einer Schar von großteils jungen Menschen durch die Turbulenzen abverlangt werden: Die 18-jährige Emily Kusche spielt eine Schülerin, die mit ihrem Vertrauenslehrer schläft, schwanger wird und noch dazu mit einem kaputten Elternhaus geschlagen ist. Der 21-jährige Darsteller Adrian Grünewald ist in der Rolle eines von den Mitschülern gemobbten Polizistensohns zu sehen. Und Aaron Hilmer, ebenfalls 21, verkörpert einen Außenseiter, der als Mitglied einer mörderisch zerstrittenen Kommune von Jungstraftätern eine Bauernhofruine auf der Nordseeinsel renovieren muss.

Manchmal wirkt "Sløborn" wie eine mit talentierten Schauspielern und herzzerreißenden Konflikten vollgestopfte Teenagerserie, die eher zufällig in die Kulisse einer Seuchenkatastrophe geraten ist. Doch nach und nach rückt Alvart die Mechanismen einer zunehmend hysterisierten Gemeinschaft ins Zentrum des Geschehens – und auch ein paar hochinteressante, sogar komische erwachsene Figuren.

Mut zu knappen Dialogen

Annika Kuhl tritt in der Rolle einer Geschäftsfrau aus reicher Familie auf, die in jungen Jahren unter dem Kampfnamen "Inselprinzessin" bekannt war und jetzt eine Abordnung chinesischer Investoren von der Zukunftsfähigkeit des Eilands überzeugen will. Und Alexander Scheer spielt einen verkrachten Starschriftsteller, der sich seinen Verstand und sein Geld weitgehend weggekokst hat und nun als Inselgast auf die Wiederkehr seiner Schreibfähigkeit hofft. "Die Apokalypse ist inspirierend", prahlt er beim Telefonat mit seinem Berliner Agenten.

Alexander Scheer als Starautor Nikolai Wagner: hochinteressante erwachsene Figur

Alexander Scheer als Starautor Nikolai Wagner: hochinteressante erwachsene Figur

Foto: Krzysztof Wiktor/ ZDF

Es ist keinesfalls sonderlich subtil, was in "Sløborn" über die ortsansässigen und zugereisten Insulaner erzählt wird. Aber immer wieder zeigt die Serie eine erfreuliche Begeisterung für das Beobachten gerade der jungen Heldinnen und Helden, beweist Prägnanz und Mut zu knappen Dialogen. Statt etwa die Verzweiflung der von Emily Kusche gespielten Schülerin als klagendes Elend vorzuführen, präsentiert Regisseur Alvart sie stumm bei einer langen Skateboardfahrt. Da düst die Heldin über eine viel befahrene Kreuzung, und natürlich flutscht sie knapp zwischen den Fahrzeugen durch. So setzt "Sløborn" konsequent auf spektakuläre Bilder statt auf viele Worte.

Wie es sich für einen guten Thrillerstoff gehört, folgt die Serie, die auf Norderney und in einem polnischen Badeort gedreht wurde, schamlos den Gesetzen der verblüffenden Handlungswendungen und der fortschreitenden Eskalation. Irgendwann donnern Bundeswehrsoldaten in großen Lastwagen zu den Häusern der Infizierten, bewaffnete Widerständler stapfen durch Schafwiesen und Dünen, einsame Kranke ballern mit Pistolen.

Man kann nicht sagen, dass sich in "Sløborn" die Menschen angesichts einer globalen viralen Bedrohung besonders vernünftig oder gar nett verhalten. Ob das wirklich auf "dramatische Weise sehr real" ist? Jedenfalls ist es bis zuletzt höchst spannend.

"Sløborn", Donnerstag, 23. Juli, und Freitag, 24. Juli, jeweils vier Folgen ab 20.15 Uhr auf ZDFneo.

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