»Sommerhaus der Stars« Lapidarer Small Talk über toxische Beziehungen

Ein wöchentlicher Live-Talk soll höchst problematische Paarbeziehungen im »Sommerhaus der Stars« analysieren und einordnen. Doch der dabei angerichtete Schaden ist groß.
Michelle Monballijn und Mike Cees: »Fehlendes Selbstbewusstsein« oder unzumutbarer Übergriff?

Michelle Monballijn und Mike Cees: »Fehlendes Selbstbewusstsein« oder unzumutbarer Übergriff?

Foto: RTL

Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.

Beim Kochen trifft Michelle die Zwangsvollschleckung von hinten: Schraubzwingenhaft legt Mike seine Arme um sie, klammerafft sich an ihr fest. Geht sie aufs Klo, geht Mike mit. Er bestimmt, wo sie sich umziehen soll, wie viel von ihrem Körper sie vor den Kameras zeigen darf. Erbittet sie sich fünf Minuten Zeit allein für sich, fühlt er sich von diesem Liebesentzug tief getroffen.

Steff will, dass Peggy seine Wäsche macht. Sie ignoriert das und macht einen Witz. Steff sagt, für ihn sei das »halt nicht so schön«, dass sich seine Frau während der gemeinsamen Zeit im »Sommerhaus der Stars« verändere, »dass sie so selbstbewusst wird und sich nicht alles sagen lässt«. Er wünsche sich »eine Zweitfrau zum Kuscheln«, jederzeit schmiegebereit, wenn er nicht gerade anderswo und mit anderen Frauen »im Feiermodus« sei.

Das »Sommerhaus der Stars« stellt auch in diesem Jahr wieder Beziehungen aus, bei denen man sich beim Zuschauen wundert, dass Menschen sie führen wollen. Das muss so, das ist die Stärke dieses Formats, die es im Vergleich zu rein konservatorischen Trash-TV-Produktionen aus dem Bachelorversum gerade in einer Zeit so relevant macht, in der vermooste Geschlechterdynamiken erfreulicherweise immer lauter diskutiert werden.

Damit die Sendung aber tatsächlich Anstoß und nicht Zementierung sein kann, braucht sie eine klare Benennung und Einordnung dieser Verhältnisse. Nach dem Mobbingpalooza der vergangenen Staffel – und passend zum neuen, familienfreundlichen Anstrich von RTL – gibt es in diesem Jahr einen wöchentlichen Live-Talk, in dem ehemalige Kandidaten, Fans des Formats und psychologisch geschulte Experten das Geschehen im Haus analysieren sollen. Quasi die mediale Entsprechung der »Erläuterungen und Dokumente«-Heftchen, die seinerzeit in der Schule vertiefende Informationen und Kontext zu diversen Dramen lieferten.

Hochproblematische Verhaltensauffälligkeiten

Natürlich läuft dieses Konstrukt erst einmal Gefahr, vor allem scheinheilig zu wirken: Kann man erwartbar aus dem Ruder laufende Typen gezielt ins Haus setzen und sich dabei genau dieses Verhalten erhoffen, um sich anschließend darüber geschockt zu zeigen? Man ahnte schon im Vorfeld, dass dies ein schmaler Grat werden dürfte, allerdings auch eine echte, wertvolle Chance, Trash-TV expliziter als zuvor als menschliche Ausstellung zu sehen, die mit lebendigen Exponaten tatsächlich neue Gedanken und Sichtweisen anschubsen könnte.

Diese Chance wurde nun im ersten Live-Talk, moderiert von Frauke Ludowig, krachend vertan. Man ahnte es bereits, als Paartherapeutin Ann-Marlene Henning den in vielen Szenen wirklich kaum erträglich agierenden Mike Cees lachend als »Härtefall« bezeichnete. Was sich dann entwickelte, war schlimmer als das befürchtete künstliche Echauffieren über zuvor selbst orchestrierte Zustände: Hier wurden stattdessen Verhaltensauffälligkeiten relativiert und verharmlost, die man auch als psychologischer Laie, milde ausgedrückt, als hochproblematisch bezeichnen würde.

Sogar das unkommentierte »Sommerhaus« selbst wirkte da wie eine wirkungsvollere Aufkläranlage: Weil seine von diesen Dynamiken betroffenen Insassinnen dort schon nach wenigen Tagen durch die direkte Konfrontation mit anderen, wenngleich freilich auch nicht bilderbuchmäßigen Paaren beginnen zu erkennen: Eine Beziehung muss nicht zwangsläufig so laufen wie meine eigene. Michelle und Peggy erfahren durch den Rückhalt und vor allem das praktische Beispiel der anderen Frauen im Haus, dass ihre – zumindest in vielen gezeigten Szenen – triste Paardynamik kein Schicksal sein muss. Dass eine Frau nicht leise zu sein hat, weil es ihr der Mann befiehlt. Dass es auch Beziehungen gibt, in denen der Mann mehr zum gemeinsamen Haushalt beiträgt, als der Frau hilfreich zu zeigen, wo es dreckig ist, damit sie besser putzen kann.

Immerhin koche er doch manchmal, entschuldigt hingegen Paartherapeutin Henning den Dominanzduktus von Steff, der seine Frau so gern in der gewohnten Abhängigkeit halten möchte, und es scheine doch, die beiden hätten miteinander »einen Modus gefunden, der funktioniert«. Vielleicht gefalle es Peggy auch, »dass er ein Macho ist«, füttert Tänzerin Renata Lusin den Mythos, Frauen ersehnten sich im Grunde ihres Herzens einen dominierenden Arschmann an ihrer Seite. Sie gehört zusammen mit ihrem Mann Valentin zum Profi-Ensemble von »Let's Dance« und findet Mikes Gebaren »auch ein bisschen lustig«.

Vergiftete Strukturen stabilisiert

Seine lawinenhafte, psychisch gewaltvolle Überwalzung seiner Frau wird dann von Henning zu aus dem Ruder gelaufener Eifersucht geschrumpft: Mike mangele es einfach ein bisschen an Selbstbewusstsein, daher rühre diese Überreaktion. Und Ex-Sommerhäusler Roland, mit seiner Frau Janina als erstes Paar geschasst, verteidigt Mike als »loyalen, sehr sensiblen Menschen, der zu seinem Wort steht«. Er meint das vor allem in Bezug auf sich selbst, weil Mike die beiden als einziger nicht nominierte. Der Schnitt würde den nur vermeintlichen Schurken auch anders erscheinen lassen, packte Roland schließlich noch die Andrej-Mangold-Gedächtnisausflucht aus. Als könnte irgendein Kontext die gezeigten Szenen akzeptabel machen, in denen Mike beispielsweise bestimmt, wann und mit wem Michelle reden darf. Rolands Einlassungen sind ein so trauriges wie exzellentes Beispiel dafür, wie vergiftete Strukturen gedeckt, weiter stabilisiert und gesellschaftlich akzeptabel gehalten werden – von Männern, denen diese Verhältnisse selbst eher nutzen als schaden.

Michelle Monballijn: Im Sommerhaus findet sie Rückhalt bei anderen Frauen

Michelle Monballijn: Im Sommerhaus findet sie Rückhalt bei anderen Frauen

Foto: RTL

Man darf auch zumindest anzweifeln, ob es eine gute Idee ist, bei der ebenfalls in den Talk integrierten Social-Media-Schau der beiden Podcaster Martin Tietjen und Anredo ausgerechnet ein nicht näher ausgeführtes »Ich finde Mike toll«-Posting mit in die kleine Auswahl zu nehmen. Trash-TV-Twitterer Anredo rückt anschließend zwar noch zurecht, dass geschätzte 90 Prozent des Publikums Mikes Verhalten durchaus nicht guthießen. »Aber zehn Prozent sind nicht wenig«, sagt Tietjen, und es wird nicht klar, ob er über diese Zustimmung staunt, weil man sie schwerlich nachvollziehen kann, oder ob er sie als zumindest teilweise Legitimierung von Mikes Verhalten sieht. Das ist mindestens unglücklich und im Gesamtkontext höchst kontraproduktiv.

Der auf Twitter in diesem Kontext so oft gebrauchte Begriff »toxische Beziehung« sei »ein Modewort«, befindet Therapeutin Henning nämlich weiter, das nichts weiter bedeute als: Man tue sich gegenseitig weh und zeige »nicht sein bestes Verhalten« – das freilich klingt harmlos wie ein nicht runtergeklappter Klodeckel.

Verhalten nicht länger hinnehmbar

Diese Verharmlosung macht wütend. Vor allem jetzt, da aktuell und prominent am Beispiel der Vorwürfe gegen Luke Mockridge  diskutiert wird, welches Verhalten nicht länger duldbar sein kann und dass etwas nicht allein deshalb gesellschaftlich akzeptiert bleiben darf, weil es noch nicht justiziabel sein mag. In bestürzend mit anzusehender Täter-Opfer-Umkehr erklärt Henning weiter, die von ihrem vereinnahmenden Partner nahezu überrollte Michelle müsse ihm eben einfach nur aktiver entgegentreten: »Sie kann Stopp sagen.« Dabei hatte man eben noch in der aktuellen »Sommerhaus«-Folge gesehen, wie Michelle zusammengesackt bei den anderen Frauen im Badezimmer saß und ihnen flüsternd anvertraute, dass sie nicht mehr wisse, was sie Mike noch sagen solle, und sich sichtbar vor seiner Reaktion fürchtete. Denn sie sagt Stopp – aber er ignoriert das. Statt Mikes Verhalten klar als unzumutbaren Übergriff zu benennen, fragt Frauke Ludowig: »Welchen Anteil hat eigentlich Michelle daran?«

Die fatale Botschaft hinter diesem Talk: »Wenn dich was stört, dann ändere es einfach« – so heißt es in der Werbepause im Spot für unsichtbare Zahn-Zurechtrückschienen, die dentale Fehlstellungen korrigieren sollen. Als sei alles so einfach zu lösen wie lästige, aber schwuppdiwupp zu beseitigende Scheidentrockenheit. Paartherapeutin Henning, die vor allem durch ihre TV-Dokureihe »Make Love« bekannt wurde, trat zeitweilig auch als Werbetestimonial für Intimcreme auf, die gegen besagte Trockenheit helfen soll. Mit dieser Salbe »musst du dich nur kurz eincremen, da verändert sich sofort etwas. Und dann bist du zurück, in der Liebe und im Leben«, sagt Henning in der Werbung, und im Talkstudio erweckt sie den Eindruck, Michelle könnte sich ähnlich mühelos befreien, wenn sie es denn nur wollte.

Es ist frustrierend zu sehen, wie lapidar hier gesmalltalkt wird, welche Chance hier mit derartiger Verharmlosung verschenkt wird. Wie viele andere, die es ähnlich sehen, schreibt man diesen Frust in einen Tweet – und dann gibt es einen kleinen, surrealen Moment, als diese Kritik überraschenderweise von Social-Media-Reporter Anredo tatsächlich Minuten später auch im Talk vorgelesen wird.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.
Externer Inhalt

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Nur noch ein paar Minuten Sendezeit sind da übrig, und hastig bestätigen Henning und Ludowig, dass toxische Beziehungen tatsächlich nicht harmlos sind, dass sie krank machen können. Und dass es eben nicht so einfach sei, sich daraus zu befreien: »Viele, viele Leute leben lange in diesen toxischen Beziehungen«, sagt Henning, auch aus Angst vor dem Partner. Zwei Minuten bleiben da noch, um nach Erklärungen dafür zu stochern, und durch Kindheitsverletzungen zu galoppieren, die plötzlich in Beziehungen wieder aufwallen könnten, Enttäuschungen und Ängste, die wieder hochkämen, weil es um Liebe gehe und die »an Mama und Papa« erinnere. Es wirkt konfus, denn die bereits gesetzte Botschaft ist eine andere.

»Wir werden dieses Thema weiter beackern, auf jeden Fall«, sagt Frauke Ludowig zum Abschied, und man ist geneigt zu sagen: vielleicht lieber nicht.

Mehr lesen über

Verwandte Artikel

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren