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Sowas wie Angst: Pfefferspray in der Handtasche

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WDR-Reportage Anke Engelke sucht die Angst

Für eine TV-Reportage spürt die Schauspielerin und Moderatorin Anke Engelke dem deutschen Angstgefühl nach - und findet ein Klima, in dem sie prima gedeiht.

Anke hat Angst. Zumindest ist ihr mulmig, so ganz alleine nachts in Tiefgaragen oder Unterführungen: "Hier sind keine Lampen. Null lustig". Wobei dieser erste Selbstversuch nicht wirklich fruchtet, dazu ist Anke Engelke dann doch zu furchtlos - und per Kamera und Funk mit ihrem Team verbunden. Nach "Sowas wie Glück" und "Sowas wie Perfektion" sucht die Schauspielerin und Moderatorin nun nach "Sowas wie Angst".

Fündig wird sie auf dem Berliner Platz in Wuppertal, der offiziell als "Angstort" gilt und, wenn nicht ganz gemieden, von manchen Leuten nur noch mit Pfefferspray in der Handtasche überquert wird. Weil auf der unwirtlichen Fläche gerne "Menschen mit subjektiv unerwünschtem Verhalten" herumlungern, Obdachlose, Trinker, Drogendealer. Engelke geht, "Klopf, klopf!", einfach auf einen solchen Pulk zu, und der ist dann auch ganz nett.

Aber damit ist es natürlich nicht getan. Eine Initiative bemüht sich, die stadtplanerischen Verheerungen rückgängig, den Berliner Platz sozial "zu bespielen" und als "Ort für uns" zurückzuerobern. Dieses Projekt wird Engelke ebenso begleiten wie die 17-jährige Kacey, die ihrer Angststörung damit begegnet, dass sie zu Hause ausziehen wird.

"Ich weiß aber noch nicht, wie ich das finden soll"

Zuvor geht's zu einem Kurs für Selbstverteidigung, in dem ebenfalls Menschen mit Ängsten anzutreffen sind: "In meiner Heimatstadt Köln wird seit der Silvesternacht aufgerüstet", sagt eine Frau, die Krav Maga betreibt. Das israelische Selbstverteidigungssystem aus Tritten und Grifftechniken erfreut sich immer größerer Beliebtheit.

In solchen Situationen zeichnet Engelke aus, dass sie zwar ausgebildete Redakteurin, in erster Linie aber Unterhalterin ist. Statt professionelle journalistische Distanz zu suggerieren, kann sie natürliche Zweifel an der angemahnten "Allzeit bereit!"-Mentalität äußern: "Das ist die Idee hier, lieber einmal zu viel verteidigen als einmal zu wenig. Ich weiß aber noch nicht, wie ich das finden soll."

"Aber was macht das denn mit uns?", fragt sie. Opfer, erklärt ein Kollege, sei schon derjenige, der sich aus Angst einschränke und eben nicht mehr sein gewohntes Leben lebe - was auch ein recht israelisches Konzept sein dürfte, weil hier einer potenziell feindlichen Umwelt mit Potenz begegnet wird. Dabei ist Angst zumindest hierzulande keineswegs "proportional zur Intensität der Bedrohung", wie ihr der Soziologe Ortwin Renn erläutert.

Erkundung des Klimas, in dem die Angst gedeiht

Ängstigen sollte man sich vor dem Rauchen, der Trägheit und dem Saufen, den drei "großen Killern". Oder vor Feinstaub, dem in Deutschland jährlich 46.000, oder vor Krankenhauskeimen, denen schätzungsweise 40.000 Menschen zum Opfer fallen. Wie winzig wirkt dagegen die Zahl der 28 Deutschen, die durch Terror ums Leben gekommen sind - der völlig unproportional als Gefahr wahrgenommen wird.

Ihre Suche nach der Angst wird daher schnell zu einer Erkundung des Klimas, in dem die Angst gedeiht: "Es wird so viel getwittert, gepostet, kommuniziert wie nie zuvor. Mein Eindruck ist: das macht es nicht besser", stellt Engelke fest und wendet sich an den Künstler Malte Stienen. Der hat einen Drucker in einen leeren Raum gestellt, der jeden Tweet ausdruckt, in dem das Wort "Angst" vorkommt.

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Der nächste Schritt führt ins Netz selbst. In Berlin lässt sich Engelke von einem Spezialisten - ein wortkarger Nerd, an dem all ihr Charme abprallt - vier Bots programmieren, die auf das Stichwort "Angst" automatisch Botschaften der Besänftigung verbreiten, beispielsweise beschwichtigende Statistiken zu Kriminalität unter Flüchtlingen.

Während die Maschinen arbeiten, bemüht sie sich mit psychologischer Hilfe um die Überwindung ihrer leichten Höhenangst ("Mut ist nicht die Freiheit, es ist die Überwindung von Angst") und befragt per Skype die Linguistin Elisabeth Wehling nach Sinn, Zweck und Methode des politischen "Framings" angstbesetzter Begriffe. Es genüge schon, so Wehling, oft genug den Menschen "die Ängste nehmen" zu wollen, um die Angst selbst zu verbreiten und virulent zu halten.

Mit sogenannten Preppern, die sich präventiv auf alle nur denkbaren Weltuntergänge vorbereiten, verbringt Engelke sogar eine sehr kalte Nacht im Wald. Politisch oder von reichsbürgerhafter Abkehr getrieben, wirken diese Prepper eher nicht. Vielmehr handelt es sich um eine romantische Pfadfindergruppe vor leicht apokalyptischem Hintergrund. Motto: Wenn was ist, sind wir vorbereitet; und wenn nichts ist, hatten wir wenigstens eine gute Zeit.

Wo lauert die Angst?

Am nächsten Morgen sieht man Engelke an, dass sie diese Nacht tatsächlich auf brandenburgischem Waldboden verbracht hat. Wie man ihr überhaupt ansieht, dass sie sich kopfüber in ihre Themen stürzt. Kurz checkt sie auf dem Smartphone die Arbeit ihrer Bots und stellt fest, dass beinahe alle realen Reaktionen auf ihre automatisierten guten Nachrichten aus Hassmails bestehen.

Immerhin, Kacey geht es besser, sie scheint sich zu berappeln. Und der Berliner Platz in Wuppertal erscheint, in Volksfeststimmung, wieder als befriedete Bühne für alle. "So, Leute", resümiert Engelke: "Lasst euch nicht bange machen. Nicht hinter jeder Ecke lauert das Böse!" Wo aber lauert die Angst?

Eine letzte Einstellung zeigt Engelke wieder im vormals leeren Raum mit der Installation von Malte Stienen, die ausgedruckt und ausgedruckt und ausgedruckt hat. Er ist hüfthoch gefüllt mit - Angst.


"Sowas wie Angst - Eine Suche mit Anke Engelke". Donnerstag, 22.40 Uhr, WDR

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