"Stromberg"-Star Christoph Maria Herbst "Ich habe das alte Arschloch lieb"

Das Büro ist die große Bühne der Gegenwart - meint "Stromberg"-Darsteller Christoph Maria Herbst. Im Interview erklärt er, warum die ProSieben-Serie keine Comedy, sondern eine Tragedy ist - und weshalb der Versicherungstyrann genau der richtige Mann für die FDP sein dürfte.
"Stromberg"-Star Christoph Maria Herbst: "Ich habe das alte Arschloch lieb"

"Stromberg"-Star Christoph Maria Herbst: "Ich habe das alte Arschloch lieb"

Foto: Brainpool

Herbst: Ah, eine Frau übernimmt das Interview für SPIEGEL ONLINE, sehr gut! Gucken Sie denn "Stromberg"? Ich bin ja froh über jede Frau, die sich das ansieht.

SPIEGEL ONLINE: Warum nicht? Bei brigitte.de gibt es ja auch "die stärksten Stromberg-Sprüche" zu lesen .

Herbst: Echt? Da ist mein Tag jetzt schon wieder aufs Schönste gelaufen. Früher hat die Frau zu ihrem Mann doch immer gesagt: Jetzt guckst du schon wieder diesen Kotzbrocken, ich kann die Stimme nicht mehr hören. Wir haben es aber tatsächlich geschafft, den Frauen, so würde es Stromberg ausdrücken, so lange auf den Sack zu gehen, bis viele gesagt haben: In Gottes Namen, dann guck ich halt mit.

SPIEGEL ONLINE: In der nächsten Woche läuft auf ProSieben die fünfte Staffel an. Stromberg ist im oberen Management angekommen. Ist es Zeit für eine Lustreise in eine Budapester Therme?

Herbst: Unsere Versicherung heißt ja Capitol, da ist das nicht drin. Aber in der oberen Management-Etage gibt es genug zu erzählen, was sich Budapest-verdächtig anfühlt. Es ist vor allem spannend zu sehen, wie der Stromberg dort oben klarkommt. Und man wird schnell feststellen: sehr gut. Denn da laufen ganz viele kleine Strombergs rum, da hackt keiner dem anderen ein Auge aus. Das ist ein schöner dramaturgischer Kniff von unseren Autoren, denn bisher war alles in der Vertikalen erzählt - oben buckeln und unten treten. Da mal die Horizontale zu erzählen, das hat unseren Autoren noch mal ganz andere Möglichkeiten verschafft.

SPIEGEL ONLINE: Sie klingen überrascht.

Herbst: Ich bin Skeptiker von Hause aus und deshalb habe ich mich vor sieben Jahren auch so lange getragen mit dem Gedanken: Soll ich diese Büro-Comedy-Serie machen? Ich hatte den Chefautor Ralf Husmann schon gebeten, parallel einen anderen Stromberg zu casten, weil ich mir so unsicher war. Dann trieb mich der Gedanke von Staffel zu Staffel wieder um: Wie sollen wir die Güte der letzten Staffel behalten oder sogar noch übertreffen? Und jetzt das: Die fünfte Staffel ist unsere beste.

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Serienstar Christoph Maria Herbst: "'Stromberg' kann auch eine Ventilfunktion haben"

Foto: ProSieben

SPIEGEL ONLINE: Warum?

Herbst: In keiner Staffel wurde so viel geboren und gestorben und geheuert und gefeuert, da kommt jeder auf seine Kosten. Und ich weiß vom ProSieben-Flurfunk, dass an mindestens drei Stellen die weiblichen Zuschauer mit Augenwasser zu kämpfen hatten. Wir reden von einer Comedy-Serie! Das waren keine Lachtränen! Das finde ich das Allertollste, dass man mit dem Etikettenschwindel Comedy-Serie antritt, und auf einmal stellen alle fest: Das ist doch eher Tragedy. Und es war mir immer wichtig, den Bernd Stromberg nicht vorzuführen, sondern ihn so rotlippig und mit Fleisch auszustatten, dass man ihn im günstigsten Fall als einen tragikomischen Antihelden empfindet.

SPIEGEL ONLINE: Was haben Sie von Ihrem Antihelden gelernt?

Herbst: Na, wie es nicht geht im Leben. Mein Alter Ego ist er ja nun weiß Gott nicht, auch wenn mir das immer angedichtet wird. Ich kann mich als Schauspieler unheimlich in ihm austoben. Insofern hab ich sehr, sehr viel über meinen Beruf gelernt. Ich schaue jetzt genauer hin. Ich achte jetzt etwa mehr darauf, wie unsere Volksvertreter sich bemühen, in ihrer Außenwirkung gut rüberzukommen. Das habe ich damals schon beim Schröder beobachtet, wenn der auf einen Halbkreis Journalisten zuging, erst mal einen alerten Witz von sich gab und genau beobachtete: Wer lacht, wer zieht die Nase kraus. Und entsprechend hat er dann seine Liebe verteilt.

SPIEGEL ONLINE: Und was kann der Zuschauer lernen?

Herbst: Ich halte "Stromberg" für eine politische Serie. Von der eigentlichen Wortbedeutung her: polis, die Stadt, das Menschsein betreffend. In meinem unmittelbarsten Freundes- und Bekanntenkreis sagen einige: "Christoph, teilweise ist das schon sehr lustig, aber überwiegend geht mir das zu sehr an die Nerven, weil ich es jeden Tag im Büro erlebe." Wohl auch ein Grund, warum das Ding quotenmäßig nie durch die Decke gegangen ist. Aber "Stromberg" kann auch eine Ventilfunktion haben. Wenn die Leute sehen, wie andere unter ihrem Chef leiden, dann ist das wie im aristotelischen Theater: Andere leiden für einen und leben diese ganzen menschlichen Affekte aus, damit man selbst geläutert und gefasst in sein Leben treten kann. Da bin ich durchaus Missionar.

SPIEGEL ONLINE: Allein Strombergs Sprüche können Ventilfunktion haben.

Herbst: Ich weiß von einem Schüler, der der Klasse verwiesen wurde, weil er ein Stromberg-T-Shirt anhatte. Darauf stand: Man sollte den Arsch nie höher hängen, als man scheißen kann. Inzwischen leben wir in einer Zeit, wo es nicht nur den Streit um die Burka gibt, oder ob das Kreuz irgendwo hängen darf und sich gleich jemand diskriminiert fühlt, inzwischen gibt es auch schon die Zensur des Humors.

SPIEGEL ONLINE: Wenn Ekel Alfred nicht gerade wiederholt wird oder "Dr. House" läuft, ist Stromberg das einzige Ekel in Serie. Ist das deutsche Fernsehen zu brav?

Herbst: Wenn ich so durch die Programme zappe und sehe, wie sich ein Bohlen beim "Supertalent" aufführt, und wenn ich mir Raab angucke oder Harald Schmidt, da hat schon jeder Sender seine Persona non grata. Ich gucke den Stromberg nie mit Ekel an. Ich kann den nur spielen, wenn ich ihm nahe bin. Tatsächlich, ich habe das alte Arschloch lieb. Eigentlich möchte man ihn doch die ganze Zeit in den Arm nehmen und ihm parallel in den Hintern treten.

SPIEGEL ONLINE: Bei Texten über Stromberg gibt es stets eine Flut von Attributen: der Fieseste, Ekligste, Gemeinste, Böseste, Schlimmste usw. Welches Attribut wäre es bei Ihnen persönlich?

Herbst: Wir leben ja in einer Gesellschaft, die zu Superlativen neigt. Zu meiner eigenen Person fallen mir dann eher die ungesteigerten Adjektive ein. Die ersten drei wären vielleicht: neugierig, humorvoll, tolerant. Und zumindest zwei davon passen auch auf den Bernd. Aber deswegen bin ich noch lange nicht Stromberg, verdammt noch mal! Dass die Figur so weit weg ist von mir, ist mit ein Grund, warum sie mir so gut gelingt. Aber die Frage wird mir bis heute am meisten gestellt: Wie viel von Ihnen steckt in Stromberg? Ich muss dann immer sagen: Leute, wollt ihr es in Kubik hören, in Gramm, in Prozent?

SPIEGEL ONLINE: Die Sprache - seine Sprüche, aber auch das Enden von Sätzen im Nirgendwo, die verdrehten Redewendungen - das ist bei Stromberg ein wichtiges Stilmittel. Ist es auch Ihr liebstes?

Herbst: Ich halte Sprache und Stimme für die wesentlichsten Werkzeuge. Deshalb ist das Medium Hörbuch auch für mich so ein Geschenk. Das hat ganz viel mit Musikalität zu tun, mit Rhythmus und Timing. Das berühmte Timing, von dem immer alle reden, das aber kaum einer kann. Deshalb brauchen wir 15 oder 20 Takes für eine große Szene, die am Ende aber so aussieht, als wäre sie taufrisch und jungfräulich.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es Tabus bei "Stromberg"?

Herbst: Ich wüsste nicht, dass wir schon ein Tabu gebrochen hätten. In der ganzen Geschichte Strombergs haben wir ein einziges Mal zwei Versionen einer Szene gedreht, weil die Redaktion sich das gewünscht hat. Da habe ich als Bernd am Telefon über eine andere Versicherung sagen müssen: "Ich will denen ja nicht Dresden '45 in Rechnung stellen." Davon gab es noch eine abgeschwächte Version. Aber die härtere wurde gesendet.

SPIEGEL ONLINE: Es heißt immer, in der Politik fehlen heute die echten Typen. Wäre das nicht ein Einsatzfeld für Stromberg?

Herbst: Eine Spitzenidee, gebe ich gerne weiter. Bei der FDP dann sicherlich. Der Stromberg empfindet sich schon als Besserverdiener und gehört seiner Wahrnehmung nach zur Elite der Gesellschaft. Außerdem hat er ein kolossales Altersproblem. Er würde sich unter den Röslers und Bahrs gut aufgehoben fühlen, weil er sich genauso jung und knackig findet wie die. Er wäre aber trotzdem der Papa. Und er würde über den Vizekanzler sicher auch den einen oder anderen Witz machen. Das könnte man für den Kinofilm gleich verwursten.

SPIEGEL ONLINE: Stromberg als Kinofilm ist konkret angedacht?

Herbst: Wir würden alle wollen und stehen Gewehr bei Fuß. Und die Chancen standen noch nie so gut, dass wir einen machen. Wenn wir das im nächsten Jahr nicht hinkriegen, dann können wir es vergessen. Wie es dazu kommt, dass es bislang keinen Kinofilm gab, verstehe ich nicht - Stromberg ist ja echt ein Brand. Da sollte man doch meinen, dass die Verleiher Schlange stehen.

Das Interview führte Daniela Zinser


Die fünfte "Stromberg"-Staffel läuft ab Dienstag, 8. November bei ProSieben

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