
ZDF-Nachkriegsepos: Innerdeutscher Tunnelblick
ZDF-Dreiteiler "Tannbach" Nationale Festplatte
Was lernt einer, der 2015 sein Wissen über die Umstände der deutschen Teilung einer ZDF-Trilogie von 270 Minuten entnimmt? So allerhand. Denn diese seltsame Nation, die heute so muskulös wie mürrisch in Europa herumsteht, hatte vor 70 Jahren einmal so etwas wie einen historischen Schwächeanfall.
Am Anfang also - in der schlimmen Zeit - ist das idyllische Deutschland von bösen Nazis besetzt, die im Kübelwagen über Feldwege fegen, Last-Minute-Exekutionen anordnen sowie Greise und Kinder zum Dienst an der Panzerfaust verdonnern. Mütter weinen oder werden erschossen. Dann kommen die Amerikaner. Mit im Grunde gutherziger Strenge machen sie sich ans Entnazifizieren der Väter - und Ausnahmen, wenn ihnen ein Altnazi nützlich sein kann.
Es folgen die Bolschewisten, gegen die bekanntlich der Führer, "bis zum letzten Atemzuge" kämpfend, gefallen ist. Hätte man sich also besser mal "mehr angestrengt im Kampf um den Endsieg". Die Russen sind grob und nicht ganz so gutherzig. Schlimmere Zeit. Mütter weinen, werden vergewaltigt und erschossen. Und plötzlich läuft durch das Örtchen Tannbach die Grenze zwischen den Siegern und stört die Idylle. Allerschlimmste Zeit. Im Osten verbleiben die getäuschten Idealisten und andere Verlierer, bald schon bevormundet von gewendeten Ex-Nazis in Stasi-Diensten. Im Westen verbleiben die gewendeten Ex-Nazis und die Gewinner. Am Ende haben sich alle so oft gewendet, dass jede schuldhafte Verstrickung gelöst ist. Väter zetern. Mütter haben keine Tränen mehr. Deutschland ist zerschmettert und zerrissen, aber die Deutschen deutscheln tapfer weiter.
"Tannbach" erzählt in drei Teilen das Epos vom Schicksal der Menschen in einem Weiler an der Grenze zwischen Bayern und Thüringen. Vorbild ist das reale Mödlareuth, das wegen seiner Teilung gerne "Klein-Berlin" genannt wurde. Vor diesem überschaubaren Tableau entfaltet sich nun die unmittelbare deutsche Nachkriegsgeschichte - als Wiedergeburt einer Nation aus dem Geist der Tragödie. Mit seinen Verweisen auf die Makro- und Mikrogeschichte schöpft "Tannbach" aus dem gleichen Reservoir wie zuvor schon "Unsere Mütter, unsere Väter", "Dresden", "Das Zeugenhaus" oder "Weißensee".
Historische Ereignisse runtergemenschelt
ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler nennt dieses Reservoir "unser kollektives Gedächtnis". Angebot und Nachfrage an solchen historischen Stoffen waren nie größer als heute. Wie kollektiv aber ist ein Gedächtnis, das im ganz großen Stil durch immer neue historisierende Dramen aufgefrischt wird? Ist es überhaupt noch ein Gedächtnis? Oder doch eher eine nationale Festplatte, die bei Bedarf mit neuen, an die Gegebenheiten angepassten Inhalten bespielt werden kann?
Schon im ersten Teil, der die letzten Tage vor der Besetzung von Tannbach durch die Amerikaner erzählt und die ersten Monate danach, präsentieren sich alle Haupt- und Nebenfiguren. Hitlerbilder und NS-Papiere wandern in den Ofen, und die Mama lamentiert: "Nicht die schönen Erinnerungen!" Der bekennende alte Nazi (Alexander Held) treibt die großherzige Gräfin (Natalie Wörner) in den Opfertod. Der fahnenflüchtige Graf (Heiner Lauterbach) zieht es vornehm vor, seine bestialischen Kriegsverbrechen zu verschweigen. Der bauernschlaue Bauer sichert durch Erpressung seinen Hof und heiratet das Mädchen, das, oh là là, vom französischen Zwangsarbeiter schwanger ist. Der völlig verrückte SS-Mann wird für seinen Fanatismus von der eigenen Mutter (Martina Gedeck) an die neuen Autoritäten verraten.
Im Grunde sind diese Figuren Pappaufsteller und so plakativ wie die "Junker enteignen!"-Plakate, die eifrig auf alle Wände gekleistert werden. Weil diese exemplarischen Typen aber allesamt von guten Schauspielern dargestellt werden, verflüchtigt sich allmählich der Verdacht, es hier mit einem pädagogischen Lehrtheater zu tun zu haben. Von der Entnazifizierung über den Mythos von der "Stunde Null" bis zur Landreform werden historische Ereignisse nach allen Regeln der Drehbuchkunst runtergemenschelt. So verkörpert der kommunistische Landrat (Ronald Zehrfeld) den idealistischen Aufbruch in den Sozialismus ("Eine neue Gesellschaft kann man nicht gründen, ohne jemandem wehzutun!") ebenso wie sein Scheitern an totalitären Kontinuitäten: "Opportunisten sind folgsame Knechte der Macht!"
Selbstvergewisserung der Berliner Republik
Wie überhaupt alle Beteiligten sich an den jeweils Mächtigen ausrichten. Eine Ausnahme bilden, zunächst, die junge Gräfin (Henriette Confusius) und der nette Junge, in den sie sich verliebt (Jonas Nay). Um dieses ungleiche Paar - sie alteingesessene Erbin weiter Ländereien, er mittelloser Flüchtling aus der Hauptstadt - kreisen alle Geschichten in "Tannbach". Aus NSDAP wird im Osten schnell die SED, aus der Gestapo die Stasi, derweil die Jugend mit der Zeit und nun eben sozialistischen Versprechungen auf den Leim geht. Im Westen entgeht der ehemals bekennende Nazi seiner Strafe, eine Karriere als Kommunistenfresser und Lobbyist der Vertriebenen wird angedeutet.
Schließlich entsteht mitten im Dorf dieser Zaun. Bald schon schießen "Deutsche auf Deutsche", was beiderseits der Grenze als Unding beklagt wird, gerade so, als wäre es erträglicher, schössen Deutsche weiterhin auf Polen oder Franzosen. Wobei der erste Tote, ausgerechnet, ein junger Jude ist, der sein Geld als Schmuggler verdient. Trotz gewisser Glättungen und dramaturgischer Zuspitzungen gibt es viele Fallen, in die der Film eben nicht hineintappt. "Tannberg" lässt die Dampframme der Didaktik unbenutzt, treibt es weder mit seiner historischen Ausgewogenheit noch mit seiner ideologischen Parteinahme zu weit.
Auf diese Weise werden rechte wie linke Positionen sanft in eine indifferente Mitte gezwungen und auf einen innerdeutschen Tunnelblick eingeschworen, der auf das ferne Licht von 1990 zuläuft. So tadellos und gewissenhaft "Tannbach" sich um ein panoramisches Mosaik bemüht, so wenig kann es leugnen, ein ideologisches Kind seiner Zeit zu sein. Alle diese aktuellen Stoffe mit historischem Hintergrund erzählen mehr über den Erzähler als über den historischen Hintergrund. Und die Erzählungen der Berliner Republik über sich selbst sind längst nicht mehr so selbstkritisch wie früher in der Bonner Republik. In die alten Routinen der Selbstvergewisserung ist die nationale Überhöhung neuerdings wieder mit eingebaut. Die nur scheinbar dramaturgisch bedingte Konzentration auf fiktive "einfache Leute" betreibt eine subtile Entpolitisierung politischer Ereignisse. Opfer deutscher Aggression kommen nicht vor, vielmehr erscheinen die Deutschen selbst als Opfer - und haben damit endlich die Hände wieder frei.
"Tannbach", 4., 5. und 7. Januar, 20.15 Uhr, ZDF. Der Sender hat eine interaktive Seite zum Dreiteiler eingerichtet.