

Er rollt mit seinem Taxi durch New York und fantasiert vom Regen, der irgendwann all den Dreck in den Straßen fortspülen wird. Die Rede ist von Travis Bickle, jenem narzisstisch gestörten Möchtegernrächer aus Martin Scorseses "Taxi Driver", der sich am Ende des Filmes, weil der reinigende Guss ausbleibt, einen Irokesenschnitt rasiert und den Zuhälter einer minderjährigen Prostituierten zur Rechenschaft zieht.
Gut möglich, dass sich auch so mancher deutscher Fernsehkommissar angesichts seiner vergeblichen Ermittlungsbemühungen den Iro-Fantasien Bickles hingibt; zum Glück kommen bei der Verwirklichung dieser Fantasien meist allerlei Dinge dazwischen: Paragraphen, Kollegen, Pflichttermine beim Polizeipsychologen.
Der Berliner Robert Karow (Mark Waschke) ist von allen TV-Ermittlern dem von Robert de Niro gespielten Bickle am nächsten; er ist der Mann mit der kürzesten Lunte im "Tatort"-Land: viel zu viel Testosteron, viel zu wenig Gesellschaft. Morgens wacht er allein auf, reißt erst einmal 100 Liegestütze runter, schaufelt Eiweiß in sich hinein, und wenn er überhaupt mit jemandem redet, dann mit seinem Spiegelbild. Narzisstische Störung nicht ausgeschlossen. Wagt ihn die Kollegin Rubin (Meret Becker) anzusprechen, starrt der aufgepumpte Polizist sie mit diesem "You-talkin'-me?"-Blick an.
Im neuen "Tatort" kurvt Karow jetzt tatsächlich wie der "Taxi Driver" durch die nächtliche Stadt; im Off schwelt monströs und melancholisch der Originalsoundtrack von Bernhard Herrmann. Und wie das US-Kinovorbild glaubt auch Karow, er müsse eine Minderjährige beschützen, die in einem illegalen Bordell anschafft. Er ist bei dieser selbstgestellten Aufgabe nicht erfolgreich.
"Der Film hat recht!"
Die Neuerfindung des deutschen Fernsehkrimis aus dem Geist des US-Genrekinos - keiner betreibt sie zur Zeit so konsequent wie der Drehbuchautor Erol Yesikaya und der Regisseur Sebastian Marka. Den Frankfurter "Tatort" haben die beiden mal als Variation auf den Horrorklassiker "The Last House on the Left" inszeniert, eine Folge von ihnen mit Ulrich Tukur kam als doppelbödige Hommage an den modernen Serienkillerklassiker "Se7en" daher.
"Tatorte" von Yesikaya und Marka sind Thriller, die auf mehreren Ebenen spielen und in der die Filmgeschichte miterzählt und reflektiert wird. Es sind Meta-Krimis. "Meta" ist nun auch der Titel ihres ersten Berliner "Tatort", und "Meta" ist auch der Titel eines Films, dem in diesem "Tatort" eine zentrale Rolle zukommt.
Bettina Müller / HR
Denn jetzt wird es kompliziert: Der "Tatort" spielt zur Zeit der Internationalen Filmfestspiele in Berlin, wo ein Kinothriller Uraufführung feiert, dessen Handlung exakt den Fall erzählt, den die beiden Ermittler gerade untersuchen. Zur Mordkommission wurde ein abgetrennter Frauenfinger geschickt, der zu einer in Formaldehyd eingelegten Leiche führt, die zu einem illegalen Bordell mit minderjährigen Sexsklavinnen führt. Hier sollen auch hochrangige Geheimdienstbeamte ein- und ausgegangen sein, die Zeugen verschwinden lassen wollten. Dafür wurde offensichtlich ein einsamer, genialer Killer engagiert, der in der Videothek gearbeitet hat.
Cineasten-Alarm: Dieser "Tatort", von dem einige Szenen während der letzten Berlinale auf dem roten Teppich gedreht wurden, verwischt lustvoll die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. "Der Film hat recht." So lautet einer der schönsten Sätze. Die Fernsehkommissare können den Filmkommissaren auf der Leinwand zuschauen, wie diese wiederum ebenfalls Kommissaren dabei zuschauen, wie diese dem abgetrennten Finger bis zu einem Komplott in höhere Etagen des Innenministeriums folgen.
Diese wunderbar verblasene, aber in sich schlüssige Konstruktion geht auch deshalb auf, weil durch verwinkelte Spiegelungen von Realität und Fiktion ein Paranoia-Szenario entsteht, das bei dem krankhaft in sich selbst verliebten einsamen Wolf Karow bestens zündet: Er glaubt, dass er nur den Film richtig lesen müsse, um das Verbrechen auflösen zu können, und als darin ein Hinweis eben auf "Taxi Driver" gegeben wird, steigt er völlig in die Fiktion ein, die nun auf einmal eben seine Realität wird und kurvt in Rächerpose durch Berlin. Ein Mann, der Einbahnstraßenschilder ignoriert. Ein Mann, bei dem man nicht weiß, ob er eingewiesen oder befördert gehört.
So oder so: ein wunderbarer Aufstand gegen das Realitätsdiktat des deutschen Fernsehen.
Bewertung: 9 von 10 Punkten
"Tatort: Meta": Sonntag, 20.15 Uhr, ARD
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Grausame Entdeckung: Kommissarin Rubin (Meret Becker) und Kollege Karow (Mark Waschke) und die Kiste, in der die Leiche der jungen Frau liegt.
Fiktion? Realität? Wer kennt sich da noch aus? Ermittlerin Rubin vor der Leinwand, auf der "Meta" läuft - der Film, der ihren aktuellen Mordfall vorwegnimmt.
Ermittlungen auf der Berlinale: Der "Tatort" wurde zum Teil während der letzten Internationalen Filmfestspiele gedreht.
Quatsch mich nicht dumm an, Kollegin! Karow reagiert oft mit "You-talkin'-me?"-Blicken auf Rubin.
Auf dem Rachefeldzug: Robert de Niro als "Taxi Driver", dem Vorbild für diesen "Tatort".
Nur der Iro fehlt - Kommissar Karow gibt den "Taxi Driver".
Auf der Leinwand passiert ein Mord, vor der Leinwand wird der Regisseur zum Verhör abgeführt: Karow und Rubin reißen Regisseur Michael Schwarz (Isaak Dentler) aus der Uraufführung seines Films "Meta".
"Der Film hat recht!" - Wie die Filmkommissare in "Meta" finden auch die Kommissare eine in Formaldehyd eingelegte Leiche.
Ich und mein Spiegel: Travis Bickle übt in Scorseses Meisterwerk aus dem Jahr 1976 seine Racheaktion.
Zuschauer bei den eigenen Ermittlungen: Karow schaut "Meta", wo haargenau das Gleiche passiert wie bei seinen aktuellen Untersuchungen.
Schutzlos: Die minderjährige Jodie (Nele Schepe) schafft in einem illegalen Bordell an.
Gegen das Realitätsdiktat: Rubin und Karow irren durchs nächtliche Berlin.
Unterwegs mit der Brechstange: Karow und Rubin ermitteln auch mal unkonventionell.
Murot in Hessen
Keine Angst vor dem Pianisten! Ob am Klavier, an der Kettensäge oder am Maschinengewehr – Ulrich Tukur als Kommissar Murot ist fast immer eine Sensation. Fast immer: Die Nummer mit den Gauklern in der Zirkus-Folge »Schwindelfrei« von 2013 war wirklich übel, dafür war die Tarantino-meets-Truffault-Folge »Im Schmerz geboren« 2014 ein absolutes Meisterwerk, und auch die Doppelgänger-Folge Und Jacques-Tati-Hommage vom November war ein echter Lichtblick in düsteren Tagen.
Bettina Müller / HR
Lannert und Bootz in Stuttgart
Richy Müller als Thorsten Lannert und Felix Klare als Sebastian Bootz sind prima Kerle. Der eine mit tragischer Undercover-Ermittler-Vergangenheit, der andere als ehrenhaft gescheiterter Ehemann. Seit 2008 sind sie im Einsatz, am Anfang wurden die Fälle noch arg routiniert runtergespült. Doch die jüngsten Stuttgart-Episoden behandelten auf ästhetisch höchstem Niveau Aufregerthemen wie Stuttgart 21, unaufgearbeitete RAF-Geschichte sowie Pflegenotstand. Und der Sniper-Krimi (siehe Bild) bot zuletzt großes Thriller-Kino.
Benoît Linder/ SWR
Die ewigen Junggesellen: Seit weit mehr als einem Vierteljahrhundert sind die beiden älteren Jungs jetzt schon im Einsatz – und immer noch gut für einen Skandal. Unvergessen eine der jüngeren Episoden, in der Kommissar Ivo Batic (Miroslav Nemec, M.) und Kollege Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) im Münchner Porno-Milieu ermittelten. Aber auch der melancholische Surfer-Krimi mit Portugal-Impressionen und das brutal genaue Sittengemälde aus der Münchner Vorstadt vor der Sommerpause waren Vorzeigewerke für den ARD-Sonntagskrimi.
Gorniak, Winkler und Schnabel in Dresden
Lustig ging es los, unentschieden ging es weiter, düster ist es geworden. Alwara Höfels, Karin Hanczewski und Martin Brambach hatten in den ersten Folgen sehr zu kämpfen mit dem unausgegorenen Konzept des MDR. Höfels zog inzwischen die Konsequenzen und verabschiedete sich. Nun hat Cornelia Göschel als Kommissarin Winkler übernommen. Der Dresden-»Tatort« will nun ein harter, zeitgemäßer Cop-Krimi sein.
Berg und Tobler im Schwarzwald
Eva Löbau als Franziska Tobler und Hans-Jochen Wagner als Friedemann Berg benötigen keine Dialogfanfaren oder exotische Rollenbiografien. Sie verwerten, was dieser witterungsintensive Krimi-Schwarzwald hergibt. Ein Heimatkrimi, in dem alles lokal produziert wird: Obst, Schnaps, der Tod. Mit den letzten, exzeptionellen Folgen bewies das Revier in Deutschlands äußerstem Südwesten aber auch eine extreme Risikobereitschaft und zeigte jeweils einen Fall aus der Perspektive eines Schizophrenen, eines Sexualstraftäters und einer Prostituierten.
Boerne und Thiel in Münster
Der Prof und der Proll: Seit 2002 ermitteln Jan Josef Liefers als Gerichtsmediziner Karl-Friedrich Boerne und Axel Prahl als Frank Thiel zwischen Keksdynastien, Kartoffelkönigen und Spargelkaisern. Der eine Snob und eng verbandelt mit der Münsteraner Honoratiorenschaft, der andere St.-Pauli-Fan und Outsider. Eine Kombination, mit der anfangs gekonnt grotesker Humor in den »Tatort« geschmuggelt wurde, der erschöpfte sich in den letzten Jahren aber in Gag-Kanonaden. Trotzdem jede einzelne Boerne/Thiel-Folge ein Quotenhit.
Schürk und Hölzer in Saarbrücken
Die neue Düsternis: Nachdem Devid Striesow als Kommissar Stellbrink eher glücklos versucht hatte, gute Laune im Saarland zu verbreiten, ist der Relaunch zum April 2020 im guten Sinne spaßbefreit geraten: Daniel Sträßer (l.) als Adam Schürk und Vladimir Burlakov als Leo Hölzer sind so geheimnisvolle wie grimmige Ermittler. Ihr erster Auftritt war stark und stimmig, der zweite ist noch in Arbeit. Nur an den im Saar-»Tatort« stets fragwürdigen Frauenbildern sollte unbedingt noch geschraubt werden.
Borowski und Sahin in Kiel
Der Weltenwandler: Als Klaus Borowski ist Axel Milberg am besten, wenn er in Parallelkosmen von Psychopathen hinabsteigt – vielleicht weil Borowski selbst nah am Wahnsinn gebaut ist. Seit 2003 dabei, stand er bis 2009 sinnigerweise unter der Beobachtung einer Polizeipsychologin. Doch die Frauen kommen und gehen im Borowski-»Tatort«. Nach Maren Eggert und Sibel Kekilli hat nun die hoch gehandelte türkeistämmige Schauspielerin Almila Bagriacik (»4 Blocks«) die Rolle des weiblichen Sidekicks übernommen.
Tschiller in Hamburg
The Last Action Hero: Der zu Extra-Konditionen engagierte Megastar Til Schweiger brachte der Krimireihe keine Megaquoten als Kommissar Tschiller. Auch nicht durch Panzerfaust- und Helene-Fischer-Einsatz. Nach an der Publikumsfront gescheiterten Action-Blockbuster-Versuchen zeigte die sechste Folge den Haudrauf dann als gebrochene Figur. Mal sehen, wie es weitergeht. Nach der begonnenen Therapie des letzten deutschen Action-Cops darf er jetzt gern wieder zur Schusswaffe greifen.
Dorn und Lessing in Weimar
Ist das noch ein Krimi? Nora Tschirner als Kommissarin Dorn und Christian Ulmen als Kollege Lessing lassen mit lässiger Eleganz die üblichen »Tatort«-Ermittlerstanzen ins Leere laufen – und das ausgerechnet im Einflussgebiet des MDR, wo man sich früher schwertat mit Humor und Subversion. Nach der anfänglich schleppenden Programmierung als Event-»Tatort« ermitteln Dorn und Lessing nun zweimal im Jahr.
Falke in Norddeutschland
Für immer Punk: Wotan Wilke Möhring als Kommissar Falke hört Punk und trägt zum Schlafen wie zum Ermitteln ein fadenscheiniges Ramones-Shirt. Erst war er in Hamburg unterwegs, dann musste er Til Schweiger die Stadt überlassen und zog ins norddeutsche Umland ab, jetzt darf er wieder in Hamburg ermitteln. In der Rolle der Co-Ermittlerin agiert Franziska Weisz als Julia Grosz. Zwei Folgen im Jahr.
Faber und Bönisch in Dortmund
Die Kranken: Jörg Hartmann schluckt als Peter Faber reichlich Pillen und schlägt Toiletten kaputt. Anna Schudt als Kollegin Martina Bönisch steigt mehr zum Frustabbau als zum Lustgewinn mit Callboys und Staubsaugervertretern ins Bett. Eines der wenigen TV-Reviere mit stringenter Figurenentwicklung. Die Elite des deutschen Fernsehkrimis. Bei den jungen Sidekicks herrscht allerdings ein gewisses Kommen und Gehen. Noch dieses Jahr wir Aylin Tezel den Krimi verlassen, als Nachfolgerin wird im nächsten Jahr Stefanie Reinsperger zu sehen sein.
Brix und Janneke in Frankfurt
Wie sind die denn drauf? So ausgeglichen wie Paul Brix (Wolfram Koch, l.) und Anna Janneke (Margarita Broich, r.) geht sonst niemand in Fernsehkrimideutschland zur Arbeit. Gute Laune als Alleinstellungsmerkmal, ein interessanter Dreh. Statt Reibung die geballte Aufmerksamkeit für den jeweiligen Fall. Brix war früher bei der Sitte, Janneke hat zuvor als Psychologin gearbeitet: Eine gute Ergänzung, um in die harten, kranken und doch oft auch heiter verdrehten Fälle des hessischen »Tatorts« hinabzusteigen. Hier wird gern experimentiert, unvergessen der Geisterhaus-Horror, der für heftige Debatten innerhalb der ARD sorgte. Zwei Folgen im Jahr.
Rubin und Karow in Berlin
Er ein Schwein, sie eine Schlampe: Im Gegensatz zu den einstigen sonnigen Hauptstadt-Cops Ritter und Stark sind »Tatort«-Nachfolger Mark Waschke als Robert Karow und Meret Becker als Nina Rubin mit extrem schwarzem Strich gezeichnet. Während Karow in der ersten Episode krumme Geschäfte mit der Drogenmafia laufen hat, vergnügt sich Rubin bei SM-Spielchen in den Hinterhöfen von Kreuzberger Hipster-Bars. Neben krassen Charakterzeichnungen gibt es im radikal modernisierten Berliner »Tatort« vor allem stimmige Hauptstadtimpressionen. Zwei Folgen pro Jahr. Meret Becker wird die Reihe bald verlassen, ihre Nachfolgerin wird Corinna Harfouch.
Lindholm in Hannover und Göttingen
Die Frau von heute: Seit 2002 ist Maria Furtwängler in der Rolle der Charlotte Lindholm in Niedersachsen unterwegs und wurde in den letzten Jahren zum Inbegriff der modernen weiblichen Ermittlerin. WG-erfahren, hochschwanger während brisanter Ermittlungen, später brachte sie Kind und Karriere gut zusammen. Lindholm ist die personifizierte Selbstoptimierung, im Herzen konservativ, aber offen für Experimente. Inzwischen steht Lindholm die von Florence Kasumba gespielte Kommissarin Anaïs Schmitz zu Seite.
Voss und Ringelhahn in Franken
Die Fremden: Felix Voss ist ein verirrtes und verschlossenes Nordlicht mit Vorliebe für Techno-Exzesse, Paula Ringelhahn machte noch zu Mauerzeiten aus dem Osten rüber, weil sie an Freiheit und Demokratie glaubte. Jetzt ermitteln die beiden Kommissare, die überhaupt nicht zueinanderpassen, in einer Gegend, in der sie zudem noch deplatziert wirken. Eine reizvolle Grundsituation. Einmal jährlich gehen Fabian Hinrichs und Dagmar Manzel als ungleiches Paar im Hinterland von Unter-, Mittel- und Oberfranken auftreten. Hinrichs hatte zuvor schon in einer BR-Episode als Ermittler-Kauz Gisbert für Furore und verliebtes Publikum gesorgt.
Eisner und Fellner in Wien
Der doppelte Espresso: Seit 1999 ermittelt Harald Krassnitzer als Major Moritz Eisner mürrisch, praktisch, gut. An die 5000 Tassen Mokka und andere starke koffeinhaltige Getränke hat er seitdem in sich hineingeschüttet. Seit 2011 wird er von Adele Neuhauser als Bibi Fellner unterstützt, einer (meistens) trockenen Alkoholikerin mit Hang zur Halbwelt am Prater. Wien, düster und kalt wie ein kleiner abgestandener Schwarzer. 2014 gab es den Grimme-Preis.
Ballauf und Schenk in Köln
Das Ehepaar: Klaus J. Behrendt als Max Ballauf und Dietmar Bär als Freddy Schenk standen lange für den guten alten Soziokrimi – kein Thema, das von den beiden nicht warmherzig wegermittelt und wegerklärt wurde. Schenk hat zu Hause eine Frau, die man noch nie gesehen hat. Aber mal ehrlich: Was kann die schon gegen seine große Liebe Ballauf ausrichten? Seit 1997 dabei, drei bis vier Fälle im Jahr. Nachdem Anfang 2014 Assistentin Franziska grausam aus dem TV-Revier gemordet wurde, geht es bei den Kölnern düsterer und unversöhnlicher zu. Steht den beiden »Tatort«-Oldies eigentlich ganz gut.
Odenthal in Ludwigshafen
Die Experimentiermaschine: Hier gab es die schönsten amourösen Eskapaden und die verwegensten Storys – samt Ausflug ins All. Ulrike Folkerts als Lena Odenthal ist seit 1989 im Einsatz, Andreas Hoppe als Mario Kopper stieß 1996 dazu, hat aber den »Tatort« 2017 wieder verlassen. Zurzeit stellt der SWR mit dem TV-Revier allerhand Versuche an, die beiden Impro-Folgen blieben aber weit hinter den Erwartungen zurück. Trotzdem: Bitte weiter experimentieren!
Murot in Hessen
Keine Angst vor dem Pianisten! Ob am Klavier, an der Kettensäge oder am Maschinengewehr – Ulrich Tukur als Kommissar Murot ist fast immer eine Sensation. Fast immer: Die Nummer mit den Gauklern in der Zirkus-Folge »Schwindelfrei« von 2013 war wirklich übel, dafür war die Tarantino-meets-Truffault-Folge »Im Schmerz geboren« 2014 ein absolutes Meisterwerk, und auch die Doppelgänger-Folge Und Jacques-Tati-Hommage vom November war ein echter Lichtblick in düsteren Tagen.
Foto:Bettina Müller / HR
Lannert und Bootz in Stuttgart
Richy Müller als Thorsten Lannert und Felix Klare als Sebastian Bootz sind prima Kerle. Der eine mit tragischer Undercover-Ermittler-Vergangenheit, der andere als ehrenhaft gescheiterter Ehemann. Seit 2008 sind sie im Einsatz, am Anfang wurden die Fälle noch arg routiniert runtergespült. Doch die jüngsten Stuttgart-Episoden behandelten auf ästhetisch höchstem Niveau Aufregerthemen wie Stuttgart 21, unaufgearbeitete RAF-Geschichte sowie Pflegenotstand. Und der Sniper-Krimi (siehe Bild) bot zuletzt großes Thriller-Kino.
Foto:Benoît Linder/ SWR
Die ewigen Junggesellen: Seit weit mehr als einem Vierteljahrhundert sind die beiden älteren Jungs jetzt schon im Einsatz – und immer noch gut für einen Skandal. Unvergessen eine der jüngeren Episoden, in der Kommissar Ivo Batic (Miroslav Nemec, M.) und Kollege Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) im Münchner Porno-Milieu ermittelten. Aber auch der melancholische Surfer-Krimi mit Portugal-Impressionen und das brutal genaue Sittengemälde aus der Münchner Vorstadt vor der Sommerpause waren Vorzeigewerke für den ARD-Sonntagskrimi.
Foto: Hendrik Heiden/ Hendrik Heiden/ BRSchürk und Hölzer in Saarbrücken
Die neue Düsternis: Nachdem Devid Striesow als Kommissar Stellbrink eher glücklos versucht hatte, gute Laune im Saarland zu verbreiten, ist der Relaunch zum April 2020 im guten Sinne spaßbefreit geraten: Daniel Sträßer (l.) als Adam Schürk und Vladimir Burlakov als Leo Hölzer sind so geheimnisvolle wie grimmige Ermittler. Ihr erster Auftritt war stark und stimmig, der zweite ist noch in Arbeit. Nur an den im Saar-»Tatort« stets fragwürdigen Frauenbildern sollte unbedingt noch geschraubt werden.
Foto: Manuela Meyer/ SRMelden Sie sich an und diskutieren Sie mit
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