

"Tatort"-Streit Horror, hausgemacht


Szene aus der "Tatort"-Folge "Fürchte dich"
Foto: HR/ Benjamin DernbecherEs sind aufregende und aufwühlende Zeiten für das "Tatort"-Publikum. Vor drei Wochen tauchte es in einer Münchner Episode in die unappetitliche Welt semiprofessioneller Porno-Produktionen ab, vor zwei Wochen konfrontierte man es in einer Stuttgarter Folge mit Verschwörungstheorien über die RAF-Suizide in Stammheim, und an diesem Sonntag wurde es mit einem Geisterhaus-Gruselstück aus Frankfurt ordentlich durchgeschüttelt.
Boulevardmedien erregten sich, "Tatort"-Fans liefen bei den zuständigen ARD-Anstalten Sturm, die Zuschauerzahlen schwankten drastisch - von über neun Millionen beim Porno-"Tatort" auf nun unter sieben Millionen beim Horror-"Tatort". Wenn man das Genre des Sonntags-Primetime-Krimis sowohl inhaltlich als ästhetisch so radikal weitet, kann so was, muss so was passieren.
Nach Ansicht einflussreicher ARD-Manager darf es aber nicht passieren.
Ein bisschen wohlfeil platzierte man aus der Planungsebene des Ersten heraus an diesem Wochenende schon vor Ausstrahlung des Gespenster-Thrillers die Meldung, dass man zukünftig solche Experimente nur noch ganz selten zulassen werde. WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn, in der ARD zuständig für die Fernsehspielkoordination, ließ verlauten, dass man nur noch zwei Folgen dieser Art im Jahr in Auftrag geben werde, "damit die Filme entsprechend geplant und später dann sinnvoll platziert werden können".

Eine Scheindebatte, ein Ablenkungsmanöver. Denn das Problem bei Tatort"-Experimenten mit ungewissem Ausgang ist ja eben nicht ihre Häufigkeit, sondern - wie das Schönenborn in seinem Statement ja auch andeutet - ihre Platzierung im Programm. Und da hapert es eben vor allem auf der Planungsebene des Senderverbunds; der Horror ist hausgemacht.
Die fatale Kleinstaaterei der ARD
Beim "Tatort" zeigt sich auf fatale Weise die Kleinstaaterei der föderal organisierten ARD-Anstalten: Hier agiert - allen Gremien-Ritualen zum Trotz - jeder gegen jeden, inhaltlich stimmt man sich oft bewusst nachlässig ab, am Ende müssen die fertigen Produktionen irgendwie sinnvoll zu einem Jahresprogramm gebündelt werden. In so einem Chaos kann es dann auch schon mal passieren, dass es innerhalb weniger Monate gleich vier Filme zum Thema Virtual Reality zu sehen gibt, wie es in der letzten "Tatort"-Saison der Fall war.
Das wäre hinnehmbar, wenn die Verantwortlichen dieses bislang von allen Beteiligten zum eigenen Nutzen akzeptierte Chaos jetzt nicht zum Vorwand nehmen würden, einen harten Schnitt bei inhaltlich schwierigen und ästhetisch herausfordernden "Tatort"-Produktionen anzusetzen. Man muss die oben aufgezählten Krimi-Experimente über Pornos und Spukhäuser nicht für gelungen erachten, um festzustellen, dass sie wichtig sind, um dem deutschen Fernsehen dringend notwendige Innovationsschübe zu verpassen.
Dass diese erzähltechnischen Erneuerungsversuche ausgerechnet geballt am gemütlichen Sonntagabend beim "Tatort" stattfinden, kommt nicht von ungefähr. Andere Programmflächen und Produktionsformate werden in der ARD momentan extrem nachlässig bewirtschaftet. Der Mittwochabend zum Beispiel, eigentlich der wichtige Sendeplatz für engagierte Stoffe, ist inzwischen fast eine Fernsehspielwüste geworden. Die letzten dort gesendeten Produktionen erinnern, von Ausnahmen wie "Das Leben danach" abgesehen, in ihrer Biederkeit an öffentlich-rechtliches Betroffenheitstheater des letzten Jahrtausends, etwa die tränentriefende Teen-Prostitutionsschmonzette "Ich gehöre ihm".
Zugleich schafft es das Erste nicht, starke Produktions- und Sendekonzepte für das zeitgemäße Format der Serie zu finden. Zwar ist gerade die furiose und hochmoderne von der ARD mitproduzierte Serie "Babylon Berlin" gestartet - aber eben erst einmal nur beim Pay-TV-Sender Sky. Schwierig, wenn ein Großteil der Produktionskosten aus Rundfunkabgaben stammen.
Sagen wir mal so: Die ARD hat reichlich Probleme, wenn es um fiktionale Fernsehstoffe geht. Der "Tatort" gehört nicht zu diesen Problemen.