Mafia-»Tatort« aus Köln Steckt nicht in uns allen ein kleiner, böser, beleidigter Pate?

»Tatort« -Szene mit Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Manfred Zapatka: Diesen Mann sollte man besser nicht enttäuschen
Foto: Martin Valentin Menke / WDRJedem Paten sein Pläsierchen: Marlon Brando streichelte als Don Corleone in »Godfather« sanft sein Kätzchen , während er seinem Gegenüber zum Ausdruck brachte, dass er enttäuscht über dessen fehlende Loyalität sei. Manfred Zapatka knackt nun im neuen »Tatort« als mafiös verstrickter Feinkosthändler Viktor Raschke in aller Seelenruhe seine geliebten Walnüsse, wenn er mit Schuldnern, Schutzbefohlenen und armen Schluckern bespricht, was er von ihnen als Gegenleistung für seine verschwenderische Güte erwartet.
Das mit dem Knacken hat natürlich einen schönen suggestiven Nebeneffekt: Man möchte diesen Mann nicht dazu bringen, noch etwas anderes knacken zu lassen. Also tut man alles, um ihn nicht zu enttäuschen.

Szene mit Natalie Spirellig, Timur Isik, Dietmar Bär: Es bleibt in der Familie
Foto: Martin Valentin Menke / WDRDoch gerade ist Raschke gram. Einer seiner Söhne ist bei einem Anschlag auf ein persisches Restaurant ums Leben gekommen. Die Leiche lag erschlagen und verbrannt vor dem Tresen. Nun hat Raschke den Besitzer des Restaurants in sein Lager einbestellt, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Er hatte den Gastronomen einst mit Kapital zur Eröffnung seines Ladens versorgt, dafür bat er diesen, seinen unnützen, gewalttätigen, vorbestraften Sohn einzustellen. So funktioniert das mit den kleinen Gefälligkeiten unter Freunden. Und nun diese Enttäuschung, dieser Schmerz, dieser Rachedurst!
Alexandra, Adamo und Ebstein inklusive
Steckt nicht in uns allen ein kleiner, böser, beleidigter Pate? Es ist ein hübscher Dreh, wie die Filmschaffenden die Gefühlsgrammatik und Gewaltökonomie des klassischen Mafiadramas im deutschen Mittelstand aufgehen lassen. Der Pate, Patriarch und Peiniger ist hier der deutsche Lebensmittelhändler, der sein zum Teil migrantisch geprägtes Umfeld mit Minikrediten und Schutzgelderpressung im Zaum hält. Soziologisch betrachtet mag das eine steile Prämisse sein, aber am Ende steht ein solider und sentimentaler Milieukrimi; Schlagerklassiker von Alexandra, Salvatore Adamo und Katja Ebstein inklusive.
Letztere singt »Abschied ist ein bisschen wie sterben«, während der Feinkost-Mobster in einer alten Nachbarschaftskneipe einen in Ungnade gefallenen Bewohner des Viertels ins Koma prügeln lässt. Dynamik und Bildsprache dieses »Tatorts« sind beachtlich, manchmal schießen die Verantwortlichen (Buch: Paul Salisbury, Regie: Nina Vukovic) aber übers Ziel hinaus; etwa wenn Kommissar Ballauf (Klaus J. Behrendt) einen Verdächtigen auf dem Basketballfeld verhören muss, während der feindselig Körbe wirft.
Trotz des manchmal etwas übertriebenen Bemühens um besonders dynamische Szenen entwickelt dieser »Tatort« einen guten emotionalen Sog. Das liegt zum einen daran, dass Kommissar Schenk (Dietmar Bär) persönlich in den Fall involviert ist, da der bedrohte persische Gastronom der Lebensgefährte seiner Tochter ist – bitte nicht nörgeln, weil der Befangenheitsaspekt sehr leger aufgelöst wird. Und zum anderen daran, dass hier unter dem Gangster-Mackergebaren ein Drama um sexuelle Identität steckt – wer den Berliner »Tatort« vor zwei Wochen gesehen hat, wird schnell ahnen, worum es geht.
Trotz Geknüppels und Drohgebärden legt auch dieser Krimi nahe, dass die Zeiten der Kätzchen streichelnden und Nüsse knackenden Oldschool-Patriarchen bald vorbei sein könnten.
Bewertung: 7 von 10 Punkten
»Tatort: Schutzmaßnahmen«, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste

Kommissar-Karussell: Alle »Tatort«-Teams im Überblick