»Tatort« aus Köln Je lieblicher das Lied, desto monströser der Mord

Romantische Gefühle für Gewalttäter? Im Köln-»Tatort« suchen Schenk und Ballauf einen Frauenmörder - und lernen junge Mütter kennen, die auf gefährliche Nähe zu Schlägern und Vergewaltigern gehen.
Ines (Picco von Groote) und Basso (Torben Liebrecht): Angezogen von einem Gewalttäter

Ines (Picco von Groote) und Basso (Torben Liebrecht): Angezogen von einem Gewalttäter

Foto: Martin Valentin Menke / WDR

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Fast so lange schon wie es den Tonfilm gibt, kommt die kranke Lust des Triebtäters mit einer sanften Melodie daher. Schon 1931 in »M – Eine Stadt sucht einen Mörder«, der Mutter aller Serienkillerthriller, pfiff Peter Lorre als Kindermörder die Melodie aus Edvard Griegs Peer-Gynt-Suite Nr. 1, bevor er sich an seine Opfer pirschte. Seitdem gilt: Je lieblicher das Lied, desto monströser der Mord.

Im neuen Köln-»Tatort« bekommt der offenbar psychisch gestörte Täter als Signature-Song »Nothing’s Gonna Hurt You Baby«  zugewiesen, einen Indie-Hit der texanischen Band Cigarettes After Sex aus dem Jahr 2012. Die gewisperte Beschwichtigung der Titelzeile, dass der adressierten Person kein Schmerz zugefügt werde, ist natürlich eine Lüge. Während der Täter am Anfang des Krimis die Ballade über Kopfhörer laufen lässt, sticht er wie besessen auf sein weibliches Opfer ein.

Max Ballauf (Klaus J. Behrendt, l.) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) mit einem Verdächtigen: zwölf Stiche

Max Ballauf (Klaus J. Behrendt, l.) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) mit einem Verdächtigen: zwölf Stiche

Foto: Martin Valentin Menke / WDR

Zwölf Stiche soll die Person am Ende vollführt haben, so erfahren Schenk (Dietmar Bär) und Ballauf (Klaus J. Behrendt) noch am Tatort vom Gerichtsmediziner. Das Opfer war eine Krankenschwester, die erst vor Kurzem einen aus der Haft entlassenen Schläger geheiratet hatte. Bei ihren Untersuchungen werden die beiden Ermittler mit dem Phänomen der Hybristophilie konfrontiert, das sich auf Personen bezieht, die romantische Gefühle für Gewalttäter und Sexualverbrecher entwickeln.

Manson lässt grüßen

Das ist kein neues Phänomen und trotzdem noch nicht weit erforscht. Im Laufe des Krimis heißt es einmal: »Charles Manson hatte Wäschekörbe voller Liebesbriefe in seiner Zelle.« Fun Fact: Auch der wegen siebenfachen Mordes verurteilte Manson war ein Freund des romantischen Folkpop, zu hören etwa in seiner Darbietung »Invisible Tears« . Der Mörder im »Tatort« und Manson liegen musikalisch offensichtlich auf Wellenlänge.

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Foto: Christine Schroeder / NDR

Während Schenk und Ballauf dem Kopfhörerkiller hinterherjagen wird ein zweiter Erzählstrang aufgemacht: Eine ebenfalls der Hybristophilie verfallene alleinerziehende Mutter holt sich einen aus der Haft entlassenen Kriminellen in ihre Wohnung. Der turtelt mit der Mutter und tyrannisiert den kleinen Sohn. In einer Szene schlägt der Ex-Häftling dem Kind gezielt in die Magengrube, holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank und sagt dem sich auf dem Boden krümmenden Jungen ruhig: »Wehe, du weinst!«

Das ist natürlich ein Hammersatz für einen Krimi, in der die grausamsten Taten zur tränenseligsten Musik begangen werden. Autor Arne Nolting und Regisseur Jan Martin Scharf erzählen ihren Psychothriller über weite Strecken pointiert, manchmal plakativ und gelegentlich auch ein wenig effektheischend.

Das große Plus dieses »Tatort« ist zugleich auch sein kleines Manko: Nolting und Scharf arbeiten mit einer cleveren Zeitstruktur, die allerdings eben gerade durch den auf 2012 datierten Signature-Song, der sich als Handlungselement durch den Plot zieht, dann doch nicht ganz plausibel ist. Das mag als Pedanterie des Pop-Aficionados erscheinen – aber wer dermaßen stark auf ein einziges Musikstück setzt, muss es nun mal auch mit aller Konsequenz für die Geschichte ausspielen.

Bewertung: 7 von 10 Punkten

»Tatort: Der Reiz des Bösen«, Sonntag, 19. September, 20.15 Uhr, Das Erste

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