

"Schauen Sie sich Stuttgart an: ein Drecksloch, ein städtebaulicher Irrtum, ein zubetonierter Talkessel, der von den Abgasen einer ewig im Stau stehenden Blechlawine aufgeheizt wird."
Manchmal gibt es auch im "Tatort" Monologe, die so schön sind, dass man sie in ihrer ganzen Pracht zitieren muss. Hier wird das urbane Fiasko in der Schwabenmetropole von einem Architekten (Thomas Thieme) auf den Punkt gebracht, der durch die krummen Geschäfte rund um Stuttgart 21 die Möglichkeit gesehen hat, Stuttgart Würde und Eleganz zurückzugeben. Nach seinen Vorstellungen und zu seinem Vorteil, das versteht sich. Jetzt sitzt er im Gefängnis und schaut traurig, aber in seinem Urteil bestärkt durchs Gitterfenster auf die nächtliche Stadt.
Soviel Stuttgart war noch nie in einem "Tatort" aus Stuttgart. Als Drehbuchautor und Regisseur fungierte Niki Stein, ein Filmemacher, der weiß, wie man Städte in Krimis als eigene Charaktere in Szene setzt. Vor 15 Jahren hatte er dem Frankfurter "Tatort" mit Andrea Sawatzki und Jörg Schüttauf einen radikalen ästhetischen Neuanstrich verpasst und vermaß die Bankenmetropole ihrer Architektur gemäß in der Vertikalen, von den damals noch dreckigen Gassen des Bahnhofsviertels rauf zu den Vorstandsetagen der Finanzwirtschaft.
Mord unterm Mercedes-Stern
Die Autobauerstadt Stuttgart, das ist nur folgerichtig, wird von Stein in diesem "Tatort" um Landesbürgschaften, Gleisdreiecke und Verkehrschaos nun in der Horizontalen abgefilmt: Die Ermittlungswege führen durch abgasgeschwängerte Untertunnelungen und verstopfte Ausfallstraßen; nur einmal geht es ein kleines bisschen in die Höhe, nämlich auf den Stuttgarter Bahnhofsturm, auf dem ein Mercedes-Stern mit fünf Meter Durchmesser prangt. Ohne zu viel zu verraten: Dem Türmchen kommt am Ende dramaturgisch eine eher unrühmliche Funktion zu.
Die beiden Kommissare Lannert (Richy Müllyer) und Bootz (Felix Klare), von denen wir in früheren Folgen ein bisschen viel Privates erfahren haben, stehen hier oft perplex in den Ermittlungen herum. Das ist angemessen angesichts der schwierigen Lage. Wer spielt hier gegen wen? Wer verdient an all dem Schlamassel? Oder sind am Ende alle Verlierer?
Nach dem Mord an einem Staatssekretär, der in einen Bauskandal rund um die Planungen zu Stuttgart 21 verwickelt war, treffen Lannert und Bootz auf eine Reihe von Politikern, die alle das beste für ihre Stadt und ihr Bundesland wollen, aber eine Politik betreiben, die nicht ganz ihren Versprechungen gehorcht. Da ist ein abgewählter Landesvater, der in seinem Anwesen frustriert über den Politikbetrieb herzieht; da sind neue Politiker an der Regierung, die jetzt ein Verkehrsprojekt umsetzen, das sie vor ihrem Machtantritt bekämpft haben.
Wie viel Stefan Mappus, wie viel Winfried Kretschmann in diesem durchaus brisanten "Tatort" stecken, erfahren Sie am Montag in unserem Faktencheck. Die Detailanalyse lohnt diesmal besonders, denn in der labyrinthischen Erzählung verliert man leicht den Überblick. Vor- und Rückblenden, moralische Grauzonen, schwer zu entwirrende Interessenknäuel, Regisseur Stein stellt den Zuschauer auf eine harte Probe.
Aber das ist man von ihm ja gewohnt. Für die Frankfurter "Tatort"-Folge "Das Böse" mit Ulrich Tukur aus dem Jahr 2003 trieb er das diskontinuierliche und entmoralisierende Erzählen derart auf die Spitze, dass danach etliche erzürnte Anrufe bei der ARD eingingen. Bei der Ausstrahlung dieses wunderbaren Schwaben-Bashings könnten die Telefone wieder heißlaufen.
"Tatort: Der Inder", Sonntag, 20.15 Uhr, ARD
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