Wien-"Tatort" über Alternativmedizin Die Anti-Globuli-Guerilla

Von wegen sanfte Medizin: Eisner (Harald Krassnitzer) in den Händen eines Homöopathie-Handlangers
Foto: Anjeza Cikopano / ORF / ARDGut und Böse sind in diesem Wiener "Tatort" sofort identifiziert: In versiffter grüner Tarnkleidung schleicht eine junge Frau durch Hinterhöfe und Eigenheimgärten vom Stadtteil Hietzing, in kragenlosen weißen Leinenhemden stolzieren grau melierte Männer dozierend durch lichtgeflutete Räume. Die Frau, das ist einem schnell klar, wird von Wut und Schmerz getrieben, die Männer von Geltungssucht und Geldgier. Logisch, für wen da unser Zuschauerherz schlägt.
Kontraste und Konflikte sind in diesem "Tatort" auf die Spitze getrieben: Bei der geheimnisvollen Frau in Grün handelt es sich um eine Kämpferin der ELN, einer real existierenden kolumbianischen Kampftruppe marxistisch-leninistischer Prägung. Bei den Männern in Weiß um Starheiler der Homöopathie, die von humanenergetischer Behandlung säuseln, aber ihr Unternehmen knallhart wie einen kapitalistischen Pharmakonzern führen.

Der Globuli-Effekt
Nachdem es ein paar Todesfälle im Umfeld der Globuli-Geschäftemacher gegeben hat, gerät das Wiener Team um Eisner (Harald Krassnitzer), Fellner (Adele Neuhauser) und Schimpf (Thomas Stipsits) auf die Spur der Südamerikanerin und berät sich. Schimpf: "Was machte eine Guerillera aus Kolumbien im erzkonservativen Hietzing?" Fellner: "Sich verstecken?" Eisner: "Genau. Und wo versteckt man sich am besten? Beim Klassenfeind."
Fatales Homöopathie-Fiasko
Auch die Dialoge und die Handlung sind in diesem "Tatort" auf die Spitze getrieben. Die Südamerikanerin war einst mit einem Österreicher liiert, der nur der Alternativmedizin vertraute und sein Kind an einer Erkrankung sterben ließ, die mit der Schulmedizin leicht auszukurieren gewesen wäre. Nach dem Tod der Tochter ging die Frau zurück in den kolumbianischen Untergrund - aus dem sie nun offenbar zurückgekehrt ist, um Rache an jenen zu nehmen, die sie für das Homöopathie-Fiasko verantwortlich macht.

Kommissar-Karussell: Alle »Tatort«-Teams im Überblick
Im Guerillakampf gegen die Globuli-Bonzen? Das Homöopathie-Milieu als Haifischbecken? Der österreichische Autor und Regisseur Rupert Henning steht für verwegene Storys und hochtourige Dialoge. In seiner Wiener "Tatort"-Folge "Schock" drohte ein verbitterter Student, live vor YouTube-Publikum seine Eltern umzubringen, in seiner Münchner "Tatort"-Folge "One Way Ticket" besserten Senioren ihre karge Rente als Drogenkuriere auf. Henning versteht es zuzuspitzen. Manchmal sieht man bei ihm aber vor lauter Pointen den Plot nicht mehr.
Das ist jetzt auch beim neuen Wiener "Tatort" über Strecken so. Die Radikalschauspielerin Sabine Timoteo ("Der freie Wille"), die man in den letzten Jahren leider viel zu selten im Kino oder Fernsehen gesehen hat, ist als schleichende und zuschlagende Rächerin aus dem Dschungel wieder die Wucht. Und bei den Dialogen jagt ein Gag den anderen, man muss tatsächlich oft lachen. Aber reicht das, um dem brisanten Stoff gerecht zu werden?
Das Publikum kann sich am Ende einbilden, etwas gelernt zu haben, aber letztendlich bleibt das Thema Alternativmedizin doch ein wenig unterbelichtet. Nennen wir es Globuli-Effekt.
Bewertung: 6 von 10 Punkten
"Tatort: Krank", Sonntag, 20.15 Uhr, ARD