»Tatort« über Ehehölle So funktioniert die toxische Beziehung

Eine Blutpfütze auf dem Ehebett: Der Dresden-»Tatort« nähert sich den komplexen Machtstrukturen einer vergifteten Partnerschaft. Krass, klug und überraschend.
Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel): Rote Lachen in weißen Laken

Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel): Rote Lachen in weißen Laken

Foto: Hardy Spitz / MDR

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Er wimmert und wütet, er dichtet und zetert. Der Ehemann, der in diesem »Tatort« über häusliche Gewalt im Blickpunkt steht, ist ein ganz Sensibler. Leider fehlt ihm die Impulskontrolle. Wenn er seiner Frau beglückt eine Ode singt, klingt das so: »Du bist das Licht, mein Engel, ohne dich ist da nur Nacht in mir, nur Hoffnungslosigkeit, nur das Dunkel eines tiefen traurigen Sees.« Wenn er schlechter Stimmung ist, bleiben schon mal blaue Flecken zurück.

Nun ist da eine große Blutpfütze auf dem Ehebett; von der Besungenen, der Lichtgestalt, dem Engel fehlt jede Spur. Also werden mitten in der Nacht die Ermittlerinnen in die Villa des Mannes gerufen. Der behauptet hartnäckig, seine Frau sei von einer Minute auf die andere verschwunden. Die roten Lachen in den weißen Laken kann er nicht erklären, die Suche nach der Ehefrau oder deren Leiche bleibt erfolglos.

Christian Bayer als Simon Fischer: Lyrischer Tyrann vor blutigem Ehebett

Christian Bayer als Simon Fischer: Lyrischer Tyrann vor blutigem Ehebett

Foto: Hardy Spitz / MDR

Auf dem Anwesen des Mannes (Christian Bayer) herrscht bald ein quirliger Beamten- und Juristenauflauf: Er ist Unternehmer, eine große Nummer in Dresden und soll die vielen Stollen unter der Stadt vor dem Einsturz schützen. Der Bürgermeister lässt zu äußerster Diskretion mahnen; es klingt so, als würde die Stadt ohne den Einsatz des Stollenspezialisten sogleich im Boden versinken.

Gorniak, das Gewaltopfer

Morddezernatschef Schnabel (Martin Brambach) ist hochnervös und kann es gar nicht gebrauchen, dass Kommissarin Gorniak (Karin Hanczewski) den derart wichtigen Unternehmer als potenziellen Aggressor ins Zentrum der Ermittlungen rückt. »Das ist nicht die Plattenbauwohnung Ihrer Kindheit«, schnauzt er die Kollegin an – und spielt damit auf Gorniaks Gewalterfahrung mit ihrem Vater an. Der hat wieder und wieder die Mutter verprügelt, Gorniak machte mit ihr einst eine Odyssee durch Frauenhäuser. Auch der Vater war so ein Sanfter, der von einem Moment auf den anderen zum Schläger mutierte.

Das Verbrechen an einer Frau als Spiegel der Gewalterfahrungen, die die Ermittlerin in der Kindheit gemacht hat? Diese Erzählanordnung muss Ihnen bekannt vorkommen: Auch der Bremer »Tatort« am vergangenen Sonntag war so aufgebaut – Regisseurin beider Krimis ist Anne Zohra Berrached, auf der seit ihrem radikalen Schwangerschaftsdrama »24 Wochen« die Hoffnungen öffentlich-rechtlicher Fernsehredaktionen liegen.

Erstaunlich jedoch, wie unterschiedlich Berracheds beiden »Tatorte« trotz gleichen Sujets geworden sind: Bei dem horrormäßig zugespitzten Bremer Fall verirrte sich Jasna Fritzi Bauer als Kommissarin zwischen Wahn und Wirklichkeit, sodass das Täterrätsel trotz starker Bilder unplausibel blieb. Beim analytischeren Dresdner Fall werden die Gewissheiten von Kommissarin Gorniak immer wieder auf den Prüfstand gestellt, was einen viel genaueren, letztendlich auch grausameren Blick auf das Gewaltthema erzwingt.

Wer hat die Macht?

Durch Videoaufnahmen wird auch immer wieder die Vermisste (Amelie Kiefer) in den Plot geholt. In einer dieser Aufnahmen sieht man das Paar bei einem SM-Spiel: Er kniet vor ihr und wimmert immer wieder »Mama!« Sie streckt ihm den Fuß hin, den er sich in den Mund stecken darf. Die Frage, wer über wen Macht ausübt, ist in diesem Fall also ein wenig komplexer.

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Kommissar-Karussell: Alle »Tatort«-Teams im Überblick

Foto: Christine Schroeder / NDR

Toxische Beziehung, das sagt sich neuerdings ja so leicht. Aber was meint das eigentlich genau, wenn beide Parteien einer solchen Beziehung zwar den gleichen Anteil an deren unheilvoller Dynamik haben, aber mitnichten die gleiche Schuld an der durch sie entfesselten Gewalt tragen? Der »Tatort« (Co-Autor: Christoph Busche) ist in dieser Hinsicht klug erzählt und geht trotz Abwesenheit des mutmaßlichen Opfers nah an die unübersichtlichen Machtstrukturen und verborgenen Neurosen heran, die das Mit- und Gegeneinander des Paares bestimmen.

Der lyrische Tyrann

Harter Stoff – der doch im Gegensatz zum Bremer »Tatort« der vergangenen Woche zum Teil mit erstaunlicher Leichtigkeit erzählt wird. Allein der Musikeinsatz im Film: Er wird hier überwiegend über einen Sprachassistenten in der Smart-Villa des Unternehmers geregelt, über dessen Bedienung dann das Heer der Forensikerinnen streitet. Oft setzen die Songs starke Kontrapunkte, etwa wenn zu Beginn die Pointer Sisters knalllaut »I'm so Excited« über Hausanlage singen, während die Kommissarinnen durch die gespenstische Villa streifen. »Tonight's the night, we're gonna make it happen«, jubeln die Sisters – während die Detectives Gorniak und Winkler angststarr vor dem verwaisten Blutlachenbett stehen.

Das Physische und das Allegorische gehen in diesem »Tatort« exzellent zusammen: Bald führt die Spur die Ermittlerinnen tief hinab in die Höhlen und Tunnel unter der Stadt, die unter der Kontrolle des Unternehmers stehen. Einer dieser Stollen wird von einem mehr als 60 Meter tiefen Gewässer durchzogen.

Bemerkenswert, wie perfide lustvoll dieser Beziehungskrimi mit dem Unterbewussten spielt: Ob das schwarze Kanalysystem unter Dresden wohl »das Dunkel eines tiefen, traurigen Sees« ist, das der Mann am Anfang des Krimis besungen hat? Und ob der lyrische Tyrann darin seinen Engel versenkt hat?

Bewertung: 8 von 10 Punkten

»Tatort: Das kalte Haus«, Pfingstmontag (!), 20.15 Uhr, Das Erste

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