

Dieser "Tatort" fängt die Stimmen jener Menschen ein, die sich vom Staat verraten fühlen. Gleich am Anfang bündelt er sie zu einem lautstarken kakofonischen Chor. "Scheiß-Fernsehsteuer", "Scheiß-Propaganda", "Volksverbrecher" hallt es hier durch ein uriges Gehöft im Niederbayerischen. Dazu klingeln unentwegt die Telefone, eine Gruppe rechter Aussteiger hat eine Art Sorgenhotline für Wutbürger eingerichtet. Die Telefonseelsorger lauschen den Tiraden und geben Tipps, wie man sich den Behörden der "sogenannten Bundesrepublik" entziehen kann.
Ein Callcenter für Staats- und Rundfunkverächter, mitten im schönsten und tiefsten Niederbayern. Tritt man vor die Tür des Hofes, eröffnet sich ein Idyll der Selbstversorgung. "Freiland" haben die Bewohner ihren Hof genannt. Die Kinder werden im Gras unterrichtet, weil man den Schulen schon lange misstraut, die älteren Buben versuchen mit einem Bier in der Hand eine Hütte zu zimmern, einen Badesee gibt es auch. Zwölf grüne Hektar, auf denen nur die "eigenen Werte" zählen. So relaxt der Reichsbürger.
Nachdem in München der Buchhalter der Rechtsaussteiger tot in der Badewanne aufgefunden wurde, rücken die Kommissare Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) an. Die erste Kontaktaufnahme scheitert, man verweigert den Ermittlern den Zugang aufs als autonom erklärte und abgeriegelte Stück Land.
In der Wirtschaft im Nachbardorf treffen Batic und Leitmayr dann auf Ludwig Schneider (Andreas Döhler), den Guru der Gruppe, der gerade dabei ist, ein paar ältere Damen und Herren der Gegend für die Staatsflucht zu gewinnen: "Ich lade sie ein, wieder frei zu sein. In ihrem eigenen Staat zu leben, den sie selbst regieren. Nicht irgendwelche Marionetten von Washington oder Tel Aviv."
"Richtig, die BRD ist eine GmbH"
"König Ludwig", wie sie ihn im Dorf ironisch, aber freundlich nennen, referiert alte und neue rechte Verschwörungstheorien, etwa als er über Personalausweise spricht, Urkunden eines Staates, der aus seiner Sicht nie legitimiert wurde: "Personalausweis, richtig? Personal, das sind sie, nichts anderes. Und sehen sie: Ihre Unterschrift, damit haben sie den allgemeinen Geschäftsbedingungen der BRD GmbH zugestimmt. Richtig, die BRD ist eine GmbH." Wieder was gelernt.
Was auf den erst Blick als Rückzugsort für harmlos verschrobene Gestalten wirkt, entpuppt sich auf den zweiten als gefährlicher Parallelkosmos für jene, die mit der Komplexität der modernen Gesellschaft hadern. Ein Parallelkosmos, der hier am Ende, so viel dürfen wir verraten, in einem westernartigen Showdown verteidigt wird.
"Freies Land" ist nach einem "Polizeiruf" aus Brandenburg und einem "Tatort" aus dem Schwarzwald schon der dritte ARD-Sonntagskrimi innerhalb weniger Monate, der sich mit der als Stadtflucht daherkommenden Demokratieflucht beschäftigt. Zum Abschluss der Krimisaison wird es nächsten Sonntag noch einen extrem starken Rostock-"Polizeiruf" zum Thema geben. Es spricht für die Verantwortlichen der ARD, dass sie zur Auseinandersetzung nah an jene Menschen rangehen, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen am liebsten abschaffen würden.
Bettina Müller / HR
Regisseur Andreas Kleinert, der den neuen "Tatort" inszeniert hat, ist ein Fachmann für die psychologischen Subtexte unter den großen gesellschaftlichen Umbrüchen Anfang der Nullerjahre hatte er einige starke Schweriner "Polizeirufe" mit Henry Hübchen inszeniert. So wie er dort in großformatig bebilderten Seenlandschaften Ostdeutsche zeigte, die nicht so recht in der Bundesrepublik angekommen waren, zeigt er nun vor ebenso idyllischer Kulisse Menschen, die sich längst von der Bundesrepublik verabschiedet haben. Das Drehbuch stammt von Holger Joos, der zuvor mit "Der Tod ist unser ganzes Leben" den München-"Tatort" als nihilistisches Cop-Drama ausformulierte.
Die Reichsbürger-Folge ist nun - dem schwierigen Thema zum Trotz - über weite Strecken von einer lässigen Heiterkeit geprägt. Weit weg von München werden Batic und Leitmayr mit einer sonnig sengenden Parallelwelt konfrontiert, die nichts mit den üblichen Dunkeldeutschland-Klischees zu tun hat. Das schärft den Blick aufs Reichsbürgerbiotop und seine Gefährlichkeit. Hier kann der Hitzestau und der Staatshass jederzeit in militante Gewalt umschlagen.
Und offenbar kann diese Gewalt keiner aufhalten. Batic' und Leitmayrs Kollegen von der örtlichen Polizei sind von einer imposanten Dösigkeit. Man sieht sie beim Schweinsbratenessen, beim Tischtennisspielen und wie sie auf einem rekordverdächtig langsamen Dienstmoped durch die Landschaft tuckern. Auch das zeigt dieser "Tatort": einen müden Staat und eine Demokratie, die in eine Dauersiesta zu versinken droht.
Bewertung: 8 von 10 Punkten
"Tatort: Freies Land", Sonntag, 20.15 Uhr, ARD
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Gemeinschaft der Anti-Demokraten: "König Ludwig" (Andreas Döhler) und seine Freunde vom "Freiland"-Hof
Verdächtig: Kriminalhauptkommissar Ivo Batic (Miroslav Nemec, l.) findet im Beisein seines Traitacher Kollegen Mooser (Sigi Zimmerschied) ein Farberkennungsgerät.
Polizei unerwünscht: Lene (Anja Schneider) und Klaus (Simon Zagermann) sperren Batic und Leitmayr aus.
Verschlafener Kollege: Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, l.) und Ivo Batic (Miroslav Nemec, M.) im Gespräch mit dem Provinzpolizisten Mooser (Sigi Zimmerscheid)
Hier kommt ihr nicht rein: Batic und Leitmayr müssen erst mal unverrichteter Dinge wieder abziehen.
Schaut dem Treiben der "Freiländer" neugierig zu: Der alte Alois (Peter Mitterrutzner) arbeitet im Gemüsebeet hinter dem Wirtshaus.
Rechtes Idyll? "König Ludwig" debattiert mit den anderen "Freiländern".
Eskalation: Batic und Leitmayr werden bedroht.
Wollte er aussteigen? Der "Freiländer" Florian Berg (Niels Osthorst) liegt tot in der Badewanne.
Niederbayern von seiner schönsten Seite: Leitmayr entspannt mit Alois am Badesee.
Am Tatort: Batic und Leitmayr mit dem jungen Kollegen Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer)
Am rechten Rand von Deutschland: Leitmayr und Batic im Gepräch mit zwei "Freiländerinnen"
Autarke Lebenswelt: In "Freiland" wird so viel wie möglich selbst gemacht - um nicht auf den Rest der Gesellschaft angewiesen zu sein.
"Tatort" über völkische Siedler: Hans-Jochen Wagner als Kommissar Friedemann Berg in der Schwarzwald-Episode "Sonnenwende"
Murot in Hessen
Keine Angst vor dem Pianisten! Ob am Klavier, an der Kettensäge oder am Maschinengewehr – Ulrich Tukur als Kommissar Murot ist fast immer eine Sensation. Fast immer: Die Nummer mit den Gauklern in der Zirkus-Folge »Schwindelfrei« von 2013 war wirklich übel, dafür war die Tarantino-meets-Truffault-Folge »Im Schmerz geboren« 2014 ein absolutes Meisterwerk, und auch die Doppelgänger-Folge Und Jacques-Tati-Hommage vom November war ein echter Lichtblick in düsteren Tagen.
Bettina Müller / HR
Lannert und Bootz in Stuttgart
Richy Müller als Thorsten Lannert und Felix Klare als Sebastian Bootz sind prima Kerle. Der eine mit tragischer Undercover-Ermittler-Vergangenheit, der andere als ehrenhaft gescheiterter Ehemann. Seit 2008 sind sie im Einsatz, am Anfang wurden die Fälle noch arg routiniert runtergespült. Doch die jüngsten Stuttgart-Episoden behandelten auf ästhetisch höchstem Niveau Aufregerthemen wie Stuttgart 21, unaufgearbeitete RAF-Geschichte sowie Pflegenotstand. Und der Sniper-Krimi (siehe Bild) bot zuletzt großes Thriller-Kino.
Benoît Linder/ SWR
Die ewigen Junggesellen: Seit weit mehr als einem Vierteljahrhundert sind die beiden älteren Jungs jetzt schon im Einsatz – und immer noch gut für einen Skandal. Unvergessen eine der jüngeren Episoden, in der Kommissar Ivo Batic (Miroslav Nemec, M.) und Kollege Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) im Münchner Porno-Milieu ermittelten. Aber auch der melancholische Surfer-Krimi mit Portugal-Impressionen und das brutal genaue Sittengemälde aus der Münchner Vorstadt vor der Sommerpause waren Vorzeigewerke für den ARD-Sonntagskrimi.
Gorniak, Winkler und Schnabel in Dresden
Lustig ging es los, unentschieden ging es weiter, düster ist es geworden. Alwara Höfels, Karin Hanczewski und Martin Brambach hatten in den ersten Folgen sehr zu kämpfen mit dem unausgegorenen Konzept des MDR. Höfels zog inzwischen die Konsequenzen und verabschiedete sich. Nun hat Cornelia Göschel als Kommissarin Winkler übernommen. Der Dresden-»Tatort« will nun ein harter, zeitgemäßer Cop-Krimi sein.
Berg und Tobler im Schwarzwald
Eva Löbau als Franziska Tobler und Hans-Jochen Wagner als Friedemann Berg benötigen keine Dialogfanfaren oder exotische Rollenbiografien. Sie verwerten, was dieser witterungsintensive Krimi-Schwarzwald hergibt. Ein Heimatkrimi, in dem alles lokal produziert wird: Obst, Schnaps, der Tod. Mit den letzten, exzeptionellen Folgen bewies das Revier in Deutschlands äußerstem Südwesten aber auch eine extreme Risikobereitschaft und zeigte jeweils einen Fall aus der Perspektive eines Schizophrenen, eines Sexualstraftäters und einer Prostituierten.
Boerne und Thiel in Münster
Der Prof und der Proll: Seit 2002 ermitteln Jan Josef Liefers als Gerichtsmediziner Karl-Friedrich Boerne und Axel Prahl als Frank Thiel zwischen Keksdynastien, Kartoffelkönigen und Spargelkaisern. Der eine Snob und eng verbandelt mit der Münsteraner Honoratiorenschaft, der andere St.-Pauli-Fan und Outsider. Eine Kombination, mit der anfangs gekonnt grotesker Humor in den »Tatort« geschmuggelt wurde, der erschöpfte sich in den letzten Jahren aber in Gag-Kanonaden. Trotzdem jede einzelne Boerne/Thiel-Folge ein Quotenhit.
Schürk und Hölzer in Saarbrücken
Die neue Düsternis: Nachdem Devid Striesow als Kommissar Stellbrink eher glücklos versucht hatte, gute Laune im Saarland zu verbreiten, ist der Relaunch zum April 2020 im guten Sinne spaßbefreit geraten: Daniel Sträßer (l.) als Adam Schürk und Vladimir Burlakov als Leo Hölzer sind so geheimnisvolle wie grimmige Ermittler. Ihr erster Auftritt war stark und stimmig, der zweite ist noch in Arbeit. Nur an den im Saar-»Tatort« stets fragwürdigen Frauenbildern sollte unbedingt noch geschraubt werden.
Borowski und Sahin in Kiel
Der Weltenwandler: Als Klaus Borowski ist Axel Milberg am besten, wenn er in Parallelkosmen von Psychopathen hinabsteigt – vielleicht weil Borowski selbst nah am Wahnsinn gebaut ist. Seit 2003 dabei, stand er bis 2009 sinnigerweise unter der Beobachtung einer Polizeipsychologin. Doch die Frauen kommen und gehen im Borowski-»Tatort«. Nach Maren Eggert und Sibel Kekilli hat nun die hoch gehandelte türkeistämmige Schauspielerin Almila Bagriacik (»4 Blocks«) die Rolle des weiblichen Sidekicks übernommen.
Tschiller in Hamburg
The Last Action Hero: Der zu Extra-Konditionen engagierte Megastar Til Schweiger brachte der Krimireihe keine Megaquoten als Kommissar Tschiller. Auch nicht durch Panzerfaust- und Helene-Fischer-Einsatz. Nach an der Publikumsfront gescheiterten Action-Blockbuster-Versuchen zeigte die sechste Folge den Haudrauf dann als gebrochene Figur. Mal sehen, wie es weitergeht. Nach der begonnenen Therapie des letzten deutschen Action-Cops darf er jetzt gern wieder zur Schusswaffe greifen.
Dorn und Lessing in Weimar
Ist das noch ein Krimi? Nora Tschirner als Kommissarin Dorn und Christian Ulmen als Kollege Lessing lassen mit lässiger Eleganz die üblichen »Tatort«-Ermittlerstanzen ins Leere laufen – und das ausgerechnet im Einflussgebiet des MDR, wo man sich früher schwertat mit Humor und Subversion. Nach der anfänglich schleppenden Programmierung als Event-»Tatort« ermitteln Dorn und Lessing nun zweimal im Jahr.
Falke in Norddeutschland
Für immer Punk: Wotan Wilke Möhring als Kommissar Falke hört Punk und trägt zum Schlafen wie zum Ermitteln ein fadenscheiniges Ramones-Shirt. Erst war er in Hamburg unterwegs, dann musste er Til Schweiger die Stadt überlassen und zog ins norddeutsche Umland ab, jetzt darf er wieder in Hamburg ermitteln. In der Rolle der Co-Ermittlerin agiert Franziska Weisz als Julia Grosz. Zwei Folgen im Jahr.
Faber und Bönisch in Dortmund
Die Kranken: Jörg Hartmann schluckt als Peter Faber reichlich Pillen und schlägt Toiletten kaputt. Anna Schudt als Kollegin Martina Bönisch steigt mehr zum Frustabbau als zum Lustgewinn mit Callboys und Staubsaugervertretern ins Bett. Eines der wenigen TV-Reviere mit stringenter Figurenentwicklung. Die Elite des deutschen Fernsehkrimis. Bei den jungen Sidekicks herrscht allerdings ein gewisses Kommen und Gehen. Noch dieses Jahr wir Aylin Tezel den Krimi verlassen, als Nachfolgerin wird im nächsten Jahr Stefanie Reinsperger zu sehen sein.
Brix und Janneke in Frankfurt
Wie sind die denn drauf? So ausgeglichen wie Paul Brix (Wolfram Koch, l.) und Anna Janneke (Margarita Broich, r.) geht sonst niemand in Fernsehkrimideutschland zur Arbeit. Gute Laune als Alleinstellungsmerkmal, ein interessanter Dreh. Statt Reibung die geballte Aufmerksamkeit für den jeweiligen Fall. Brix war früher bei der Sitte, Janneke hat zuvor als Psychologin gearbeitet: Eine gute Ergänzung, um in die harten, kranken und doch oft auch heiter verdrehten Fälle des hessischen »Tatorts« hinabzusteigen. Hier wird gern experimentiert, unvergessen der Geisterhaus-Horror, der für heftige Debatten innerhalb der ARD sorgte. Zwei Folgen im Jahr.
Rubin und Karow in Berlin
Er ein Schwein, sie eine Schlampe: Im Gegensatz zu den einstigen sonnigen Hauptstadt-Cops Ritter und Stark sind »Tatort«-Nachfolger Mark Waschke als Robert Karow und Meret Becker als Nina Rubin mit extrem schwarzem Strich gezeichnet. Während Karow in der ersten Episode krumme Geschäfte mit der Drogenmafia laufen hat, vergnügt sich Rubin bei SM-Spielchen in den Hinterhöfen von Kreuzberger Hipster-Bars. Neben krassen Charakterzeichnungen gibt es im radikal modernisierten Berliner »Tatort« vor allem stimmige Hauptstadtimpressionen. Zwei Folgen pro Jahr. Meret Becker wird die Reihe bald verlassen, ihre Nachfolgerin wird Corinna Harfouch.
Lindholm in Hannover und Göttingen
Die Frau von heute: Seit 2002 ist Maria Furtwängler in der Rolle der Charlotte Lindholm in Niedersachsen unterwegs und wurde in den letzten Jahren zum Inbegriff der modernen weiblichen Ermittlerin. WG-erfahren, hochschwanger während brisanter Ermittlungen, später brachte sie Kind und Karriere gut zusammen. Lindholm ist die personifizierte Selbstoptimierung, im Herzen konservativ, aber offen für Experimente. Inzwischen steht Lindholm die von Florence Kasumba gespielte Kommissarin Anaïs Schmitz zu Seite.
Voss und Ringelhahn in Franken
Die Fremden: Felix Voss ist ein verirrtes und verschlossenes Nordlicht mit Vorliebe für Techno-Exzesse, Paula Ringelhahn machte noch zu Mauerzeiten aus dem Osten rüber, weil sie an Freiheit und Demokratie glaubte. Jetzt ermitteln die beiden Kommissare, die überhaupt nicht zueinanderpassen, in einer Gegend, in der sie zudem noch deplatziert wirken. Eine reizvolle Grundsituation. Einmal jährlich gehen Fabian Hinrichs und Dagmar Manzel als ungleiches Paar im Hinterland von Unter-, Mittel- und Oberfranken auftreten. Hinrichs hatte zuvor schon in einer BR-Episode als Ermittler-Kauz Gisbert für Furore und verliebtes Publikum gesorgt.
Eisner und Fellner in Wien
Der doppelte Espresso: Seit 1999 ermittelt Harald Krassnitzer als Major Moritz Eisner mürrisch, praktisch, gut. An die 5000 Tassen Mokka und andere starke koffeinhaltige Getränke hat er seitdem in sich hineingeschüttet. Seit 2011 wird er von Adele Neuhauser als Bibi Fellner unterstützt, einer (meistens) trockenen Alkoholikerin mit Hang zur Halbwelt am Prater. Wien, düster und kalt wie ein kleiner abgestandener Schwarzer. 2014 gab es den Grimme-Preis.
Ballauf und Schenk in Köln
Das Ehepaar: Klaus J. Behrendt als Max Ballauf und Dietmar Bär als Freddy Schenk standen lange für den guten alten Soziokrimi – kein Thema, das von den beiden nicht warmherzig wegermittelt und wegerklärt wurde. Schenk hat zu Hause eine Frau, die man noch nie gesehen hat. Aber mal ehrlich: Was kann die schon gegen seine große Liebe Ballauf ausrichten? Seit 1997 dabei, drei bis vier Fälle im Jahr. Nachdem Anfang 2014 Assistentin Franziska grausam aus dem TV-Revier gemordet wurde, geht es bei den Kölnern düsterer und unversöhnlicher zu. Steht den beiden »Tatort«-Oldies eigentlich ganz gut.
Odenthal in Ludwigshafen
Die Experimentiermaschine: Hier gab es die schönsten amourösen Eskapaden und die verwegensten Storys – samt Ausflug ins All. Ulrike Folkerts als Lena Odenthal ist seit 1989 im Einsatz, Andreas Hoppe als Mario Kopper stieß 1996 dazu, hat aber den »Tatort« 2017 wieder verlassen. Zurzeit stellt der SWR mit dem TV-Revier allerhand Versuche an, die beiden Impro-Folgen blieben aber weit hinter den Erwartungen zurück. Trotzdem: Bitte weiter experimentieren!
Murot in Hessen
Keine Angst vor dem Pianisten! Ob am Klavier, an der Kettensäge oder am Maschinengewehr – Ulrich Tukur als Kommissar Murot ist fast immer eine Sensation. Fast immer: Die Nummer mit den Gauklern in der Zirkus-Folge »Schwindelfrei« von 2013 war wirklich übel, dafür war die Tarantino-meets-Truffault-Folge »Im Schmerz geboren« 2014 ein absolutes Meisterwerk, und auch die Doppelgänger-Folge Und Jacques-Tati-Hommage vom November war ein echter Lichtblick in düsteren Tagen.
Foto:Bettina Müller / HR
Lannert und Bootz in Stuttgart
Richy Müller als Thorsten Lannert und Felix Klare als Sebastian Bootz sind prima Kerle. Der eine mit tragischer Undercover-Ermittler-Vergangenheit, der andere als ehrenhaft gescheiterter Ehemann. Seit 2008 sind sie im Einsatz, am Anfang wurden die Fälle noch arg routiniert runtergespült. Doch die jüngsten Stuttgart-Episoden behandelten auf ästhetisch höchstem Niveau Aufregerthemen wie Stuttgart 21, unaufgearbeitete RAF-Geschichte sowie Pflegenotstand. Und der Sniper-Krimi (siehe Bild) bot zuletzt großes Thriller-Kino.
Foto:Benoît Linder/ SWR
Die ewigen Junggesellen: Seit weit mehr als einem Vierteljahrhundert sind die beiden älteren Jungs jetzt schon im Einsatz – und immer noch gut für einen Skandal. Unvergessen eine der jüngeren Episoden, in der Kommissar Ivo Batic (Miroslav Nemec, M.) und Kollege Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) im Münchner Porno-Milieu ermittelten. Aber auch der melancholische Surfer-Krimi mit Portugal-Impressionen und das brutal genaue Sittengemälde aus der Münchner Vorstadt vor der Sommerpause waren Vorzeigewerke für den ARD-Sonntagskrimi.
Foto: Hendrik Heiden/ Hendrik Heiden/ BRSchürk und Hölzer in Saarbrücken
Die neue Düsternis: Nachdem Devid Striesow als Kommissar Stellbrink eher glücklos versucht hatte, gute Laune im Saarland zu verbreiten, ist der Relaunch zum April 2020 im guten Sinne spaßbefreit geraten: Daniel Sträßer (l.) als Adam Schürk und Vladimir Burlakov als Leo Hölzer sind so geheimnisvolle wie grimmige Ermittler. Ihr erster Auftritt war stark und stimmig, der zweite ist noch in Arbeit. Nur an den im Saar-»Tatort« stets fragwürdigen Frauenbildern sollte unbedingt noch geschraubt werden.
Foto: Manuela Meyer/ SRMelden Sie sich an und diskutieren Sie mit
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