

Wenn reifere Herren mit 100 Kilo Kampfgewicht auf der Tanzfläche in den Rhythmus finden, kann das spitzenmäßig aussehen. So wie in diesem "Tatort", in dem sich Kommissar Freddy Schenk (Dietmar Bär) erst in eine attraktive Kunstdozentin verliebt, um sich am Ende schwermütig im blauen Licht einer Hotelbar zu wiegen. Aus den Boxen pumpt "I Love You" von Woodkid, Freddy schließt die Augen, legt den Kopf zurück, hebt ab. Der Bär tanzt.
Inszeniert wurde der moody "Tatort" von Andreas Kleinert. Schon den kompakten Henry Hübchen brachte der Regisseur einst dazu, für eine spektakuläre Schweriner "Polizeiruf"-Folge seinen Körper einsam zum Techno-Geballer in einer Ost-Disse hin und her zu schmeißen. Götz George ließ er in dem Stricher-Thriller "Nacht ohne Morgen" zu Bronski Beat durch die Berliner Schwulenszene cruisen.
Und Lavinia Wilson schwebte unter seiner Regie für den Kieler "Tatort" im geblümten Sommerkleid durch den vielleicht sonnigsten Borderline-Schocker aller Zeiten. Krimis kommen bei Kleinert als kleine, oft federleichte Poeme daher.
Der Kölner "Tatort" mit dem malad-melancholischen Freddy Schenk scheint sich da auf den ersten Blick einzureihen. Doch ach, leider verhakt sich die Story. Die Idee stammt von Andreas Knaup, aufgeschrieben hat sie dann WDR-Hausautor Jürgen Werner, eine solche Konstellation klingt nach Komplikationen bei der Buchentwicklung. Und so werden wir mit vielen Figuren einfach nicht warm, der kriminalistische Plot bekommt keine Dynamik.
Der Penner-Pianist
Was nicht heißt, dass dieser "Tatort" verschenkte Zeit ist. Die Verzahnung von Disco und ein bisschen Punkrock, von viel Klassik und einem Quäntchen Kunst hält starke Momente parat. Nur sind sie meist schwach verknüpft.
Vor einem Wohnhaus wird ein Obdachloser totgeschlagen; der Spross einer Musikerfamilie, der immer davon geträumt hat, Rachmaninows 3. Klavierkonzert in einer großen Konzerthalle zu spielen. Leider hat er es nur bis zur Hotelbar geschafft, und da wurde er von besoffenen Boni-Bankern für seine als Geklimper empfundenen Fingerübungen gedemütigt und nach einer halben Stunde vor die Tür gesetzt.
In dem Wohnhaus reagierte niemand auf das verzweifelte Geklingel des Penner-Pianisten. Schenk und Kollege Ballauf (Klaus J. Behrendt) begegnen einer Hausgemeinschaft, deren Bewohner alle ein Geheimnis verbergen: die Übersetzerin, die von ihrem Ex-Mann gestalkt wird. Der Eishockeytrainer, der sein Team als "Schwuchteln" beschimpft, wenn es nicht die eingeforderte Leistung erbringt - sich aber in seinen vier Wänden als feinsinniger Kunstfreund gibt. Und eben die Kunstdozentin (grandios wie immer: Ursina Lardi), die sich für Einladungen mit Mäzenen aufbrezelt, um Geld für ihre Studenten zu akquirieren. Wenn es sein muss, legt sie eine hoch erotische Bossa-Darbietung obendrauf.
Selbstverleugnung, Existenzangst und Prostitution im prekären Akademikermilieu - Kleinert bringt das in einzelnen Szenen mit Spiegelungen über Gemälde und Musik auf den Punkt. An den Wänden der Protagonisten hängen Kopien alter Meister, das WDR Funkhausorchester ist bei Proben zu sehen, Dekor und Score erzählen beinahe schon eine eigene Geschichte.
In seinen besseren Momenten ist diese Episode ein schönes Stück zum Thema Rettung und Versklavung durch Kunst. In seinen schlechteren Momenten ein prätentiöses Panorama über die, nun ja, Kälte zwischen den Menschen. Aber wenn Freddy auf der Tanzfläche elegant seine 100 Kilo pures Begehren in Bewegung setzt, sind alle Schwachpunkte sofort vergessen.
"Tatort: Freddy tanzt", Sonntag, 20.15 Uhr, ARD
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Blaulicht mal anders: Freddy Schenk (Dietmar Bär) auf der Tanzfläche einer Hotelbar
Der Kaffee wird selbst mitgebracht: Freddy mit den Kollegen Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Roth (Joe Bausch)
Mysteriöse Nachbarn: Kunstdozentin Claudia Denk (Ursina Lardi) und Übersetzerin Katja Petersen (Anna Stieblich)
Polizei vor der Tür: Ballauf nimmt die undurchsichtige Petersen ins Visier.
Cop in love: Freddy führt sich in Gegenwart von Claudia Denk wie ein verliebter Teenager auf.
Bad Banker: Ballauf und Schenk knöpfen sich Tobias Krenz (Volkram Zschiesche) vor.
Der Schock sitzt tief: Ballauf teilt der Cellistin Julia Koch (Laura Sundermann) mit, dass ihr Freund ermordet wurde.
Banker im Krieg: Tobias und sein Kollege Oliver (Julian Weigend) geraten unter Mordverdacht.
Tragischer Verlust: Ballauf teilt Marita Gerber (Lina Wendel) mit, dass ihr Sohn tot ist.
Melden Sie sich an und diskutieren Sie mit
Anmelden