
"Tatort" mit Jörg Hartmann: Koks auf dem Kinderspielplatz
Drogen-"Tatort" aus Dortmund Darauf ein paar Antidepressiva!
Zurück in der Nordstadt. Schon in der zweiten Folge des Dortmunder "Tatort" 2012 trank und randalierte sich Kommissar Faber durch das Brennpunktviertel. Er traf sich mit Streifenpolizisten zum Wettsaufen, er sprang gelackten Mafiosi an den Hals und schlug mit dem Baseballschläger auf Autos ein. Alles rein beruflich, versteht sich. Damals ging es um den Verteilungskampf zwischen alteingesessenen Türken und jungen Bulgaren.
Der wird jetzt in "Kollaps" als Subplot wieder aufgegriffen. Die verschiedenen Gangs kämpfen um die Hotspots, wo mit Drogen gedealt wird: Bahnhofsvorplätze, Parks, Kinderspielplätze. Als neue Mitbewerber im Drogengeschäft sind zumeist aus Afrika stammende Asylbewerber dabei, die für wenig Geld den Straßenverkauf organisieren. Zwischen Schaukeln und Klettergerüsten wurden Kokain-Kapseln vergraben, die von einem Mädchen ausgebuddelt und geschluckt werden. Das Kind stirbt, die junge Mutter droht am Unglück zu zerbrechen, und in der Nachbarschaft formiert sich eine Art Bürgerwehr, die Jagd auf die afrikanischen Dealer macht.
Wie schon zuvor bei Dortmunder "Tatorten" ist man hin- und hergerissen. Einerseits ist man voll Bewunderung, wie hier nach amerikanischem Vorbild in der Horizontalen erzählt wird, also bereits aus anderen Folgen bekannte Figuren und Story-Elemente weiterentwickelt werden. Andererseits wirkt die Haupthandlung im Vergleich dazu gefährlich unterkomplex: Die aufgebrachten Nordstadt-Nachbarn wirken genauso holzkameradig wie das Geschwisterpaar aus dem Senegal, auf das Jagd gemacht wird. Da reichte das Interesse der Filmemacher offensichtlich nicht ganz aus.
Bönischs Anbahnungsbesäufnisse
Ein bisschen kann man das ja sogar verstehen. Die Ermittlerfiguren sind so reich an Details, so tiefenscharf in der Charakterzeichnung, dass sie alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Es ist ähnlich wie beim ebenfalls hübsch horizontal erzählten Rostocker "Polizeiruf", wo man ja auch über den größten Plotmurks hinwegschaut, weil einen Bukow und Co. in ihre eigene Welt ziehen.
So geben wir uns, um ein bisschen Spaß zu haben, in der mittelguten Dortmunder Folge "Kollaps" (Regie: Dror Zahavi, Buch: Jürgen Werner) ganz und gar Faber (Jörg Hartmann) und Kollegin Bönisch (Anna Schudt) hin. Diesmal spannend: Während er immer mehr Kontrolle über sich zu gewinnen scheint, gerät jetzt ihr Leben immer mehr aus den Fugen.
Wie umsichtig sich doch auf einmal Faber zeigt! Als er die Kollegin in der Hotelbar trifft, wo sie auf der Tanzfläche mal wieder einen Handelsvertreter abzuschleppen versucht, lächelt er nur versonnen und zieht wieder ab. Ein paar Folgen zuvor hat Wüterich Faber noch mutwillig solche verzweifelten Anbahnungsbesäufnisse zerstört, indem er sich dem Angebaggerten als Bönischs Mann vorstellte.
Diesmal kommt nichts und niemand dem Frustfick der Bönisch in die Quere. Richtig erbaulich wird die Nacht trotzdem nicht: Einer von Bönischs One-Night-Stands wirft ein paar Fünfziger aufs Bett. Sie schmeißt den Herren auf den Hotelflur; wo kommen wir denn da hin, wenn sich eine erwachsene Frau nicht mal ein bisschen vergnügen darf, ohne gleich zur Nutte degradiert zu werden?
Die Polizistin ist sowieso auf Krawall gebürstet, denn der Ex beantragt das Sorgerecht für die Kinder und kommt damit auch durch. Bönisch erlebt also wie die junge Mutter des Mädchens auf dem Spielplatz auch eine Art Kindesverlust. Doch in diesem Nebenstrang zur Haupthandlung reichen eben ein paar ganz wenige wuchtige Szenen, um das Unglück auf den Punkt zu bringen. Ein klassisches Beispiel, wie der Subplot den Hauptplot überstrahlt.
Gibt's denn gar nichts Lebensbejahendes über diesen Krimi zu berichten? Doch: Am Ende bekommt Bönisch von Faber ein paar Antidepressiva gereicht. Mehr Empathie geht bei einem wie ihm wirklich nicht.
Bewertung: 6 von 10
"Tatort: Kollaps", Sonntag, 20.15 Uhr, ARD