Gender-»Tatort« mit Boerne und Thiel Woke Würstchen

Darsteller Jan Josef Liefers, Axel Prahl: Angst vor der Sensibiltätsbeauftragten
Foto: WDRWokeness-Themenwoche in der ARD? Am Mittwoch lief mit »Nichts, was uns passiert« ein starkes, aufwühlendes #MeToo-Drama aus dem Milieu angehender Akademikerinnen und Akademiker, wo auf höchstem Niveau und mit höchster Sensibilität Aspekte des Genderdiskurses verhandelt wurden. Zum Wochenausklang folgt nun mit dem Münster-»Tatort« über eine ermordete Momfluencerin der klamaukig und krawallig zugespitzte Debatten-Kehraus.
Eine bezeichnende Szene: Kommissar Thiel (Axel Prahl) geht mit dem jungen IT-Nerd Schrader (Björn Meyer) die Beschimpfungen in der Kommentarspalte der Momfluencerin-Homepage durch, während er an einer dicken, kalten Bockwurst kaut. Schrader liest vor: »Schlampe«, »Bitch«, »du bist eine richtige TV-Shopping-Nutte«, »du bitchiges Stück Dreck«. Thiel kaut weiter seine Wurst. Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann) kommt dazu, beugt sich über den Bildschirm und sagt: »Und ich dachte immer, meine Generation hätte Probleme mit dem Frauenbild.«

»Tatort«-Szene mit Agnes Decker: Verbirgt sie sich hinter dem Pseudonym BusyBine?
Foto: WDREin besonders fieser Hasskommentar zur Momfluencerin stammt von einer Userin mit dem Pseudonym BusyBine. Die Staatsanwältin weist IT-Nerd Schrader an: »Na dann schauen wir mal, wer sich hinter BusyBine verbirgt.« Der witzelt: »Wahrscheinlich 'ne echt abgefuckte busy bitch.« Als Klemm ihm einen Giftpfeilblick zuwirft, stammelt er: »Oh, das tut mir leid. Ich entschuldige mich bei Ihnen. Und bei allen Frauen. Für alles.« Thiel steht still daneben und kichert verlegen in seine Wurst.
Auch Professor Boerne (Jan Josef Liefers) sieht sich dem Druck der neuen gesellschaftlichen Entwicklungen ausgesetzt. Seine Kollegin in der Gerichtsmedizin, Silke Haller (ChrisTine Urspruch), die als Kleinwüchsige und Frau gleich in zweierlei Hinsicht Boernes Ironie-Ambitionen ausgesetzt ist, droht dem Schnösel, sich auf die Stelle der »Sensibilitätsbeauftragten« zu bewerben. Was immer das genau ist – der Titel klingt in seiner Amtlichkeit bedrohlich.
Da ist Reibung drin
Das letzte Chauvi-Scharmützel, so könnte man diese Folge des Münster-»Tatorts« bezeichnen, der ja im ARD-Verbund als Rückzugsort betont unkorrekter, bockiger Kerligkeit gilt. Geschrieben und inszeniert wurde er von zwei Frauen (Buch: Regine Bielefeldt, Regie: Michaela Kezele). Nun ist da hübsch Reibung drin. Es ist schon ein kleines Vergnügen, dabei zuzusehen, wie sich Boerne auf verlorenem Posten in Mansplaining-Monologe schraubt, während sich Proll Thiel an sprachlicher Sensibilität versucht. Wie ein Schlachter, der japanische Papierblumen faltet.
Noch so eine bezeichnende Szene: Bei ihren Recherchen im World Wide Web stoßen Boerne und Thiel nicht nur auf Momfluencerinnen, die vor der Kamera mit Babys und Babyattrappen hantieren, sondern auch auf Manfluencer, die alles ins Bild halten, was ballert und bumst. Thiel sinniert: »Wenn das die neue Männlichkeit ist, können wir unser Geschlecht wirklich einpacken.« Boerne störrisch: »Ich brauche keine neue Männlichkeit. Ich bin mit meiner alten Männlichkeit mehr als zufrieden.« Und als der Kollege ihn fragt, welche Frauen er zur Außenwirkung seiner Männlichkeit befragen könnte, fallen ihm nur Staatsanwältin Klemm und Gerichtsmedizinerin Haller ein. Man möchte ihn dann doch in den Arm nehmen.
Vor genau einem Jahr waren Boerne und Thiel noch in einer großen scheußlichen Weltverschwörungsblödelei zu sehen – erwarten Sie aus Münster deshalb bitte keine Wunder. Aber wie im Laufe des neuen »Tatorts« in der wurschtigen Kalauerei immer wieder Momente filigraner Selbstsüffisanz aufblitzen, das trägt schon einigermaßen über 90 Minuten.
Eine letzte bezeichnende Szene: Boerne und Thiel klingeln bei der Nachbarin der ermordeten Momfluencerin. Die probiert sich ebenfalls als Influencerin, Yoga, Fitness, ein bisschen Krafttraining. Boerne, der affektierte Ästhet, starrt auf die wuchtigen Oberarme seines Gegenübers und fragt forsch: »Was stemmen Sie denn so? Sie pumpen doch!« Thiel, das woke Würstchen, versucht indes mit neu erlernter Sprachsensibilität beim anderen Geschlecht für Vertrauen zu werben und schwärmt von »Bürger:innen«.
Zeuginnenbefragung mit Glottisschlag: Das ist ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer für Münster.
Bewertung: 6 von 10 Punkten
»Tatort: MagicMom«, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste

Kommissar-Karussell: Alle »Tatort«-Teams im Überblick