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"Tatort" mit Ulrich Tukur: Zombies, Disco und John Wayne

Foto: Bettina Müller/ HR

Western-"Tatort" mit Tukur Whisky schlürfen, Wunden lecken

"Rio Bravo" in Hessen: Ulrich Tukur gerät als Felix Murot auf einer alten Polizeiwache in den Hinterhalt. Ein neuer, aberwitziger Zitate-"Tatort" mit Western-Ikonografie, RAF-Verweisen und Motown-Hits.

Irgendwann landet alles im Museum: Western-Kinohits, die allenfalls noch vor wenigen Nerds in Kinematheken laufen. Disco-Hymnen, die nicht mal mehr auf Hochzeiten gespielt werden. Terroristische Vereinigungen, die sich aufgelöst haben. Dieser "Tatort" vom Hessischen Rundfunk ist auch der rührende Versuch, dem Geist und Ungeist der von der Geschichte Abgewickelten hinterherzuspüren.

Das Setting könnte nicht musealer sein: eine alte Polizeistation irgendwo zwischen Frankfurt und Offenbach, die vor der Schließung steht und bis dahin als eine Art Museum des Deutschen Herbstes fungiert. Kommissar Murot (Ulrich Tukur) ist hier mit einer guten Flasche Scotch hergekommen, um seinen alten Kollegen Brenner (Peter Kurth) zu besuchen, mit dem er einst in den Achtzigerjahren die Mitglieder der zweiten und dritten RAF-Generation verfolgte.

Heute erzählt Opa Brenner vom Krieg und lotst spärlich zur Führung auflaufende Schulklassen durch die Ausstellungsstücke des bewaffneten Widerstands und der Rasterfahndung. An der Wand der maroden Wache hängen die Fahndungsplakate mit den RAF-Mitgliedern von einst, an den Schreibtischen sitzen Schaufensterpuppen in alten Polizeiuniformen vor grauen Scheibentelefonen.

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"Tatort" mit Ulrich Tukur: Zombies, Disco und John Wayne

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Gerade hat Murot den Scotch ausgepackt, da startet aus dem Nichts eine Attacke auf die Station. Scheiben zersplittern, die Angegriffenen funktionieren Fenster zu Schießscharten um und Insektensprayflaschen zu Flammenwerfen - ein martialisches Mobilmachungsprogramm, wie man es aus etlichen Genrefilmen kennt und das hier zwei legendären Kinovorlagen folgt.

Denn diese "Tatort"-Folge mit dem Titel "Angriff auf Wache 8" ist eine Hommage an John Carpenters Thriller "Assault on Precinct 13" (deutsch: "Das Ende") aus dem Jahr 1976 - der wiederum eine Hommage an Howard Hawks Western "Rio Bravo" aus dem Jahr 1959 war. Motive, Monologe und Gewaltakte aus den beiden großen Vorbildern überlagern die Handlung dieses Fernsehkrimis.

Hyper-Hommage ans Kino

Wobei die beiden Hauptdarsteller Tukur und Kurth - letzter war ja auch schon in einem Weimarer Western-"Tatort" als Sheriff zu sehen - im Laufe der Handlung immer stärker an die "Rio Bravo"-Hauptdarsteller John Wayne und Dean Martin erinnern. Denn natürlich bleibt trotz Belagerungszustand genug Zeit, hinter den schief geschossenen Jalousien Whisky zu schlürfen und die alten Wunden zu lecken. Das klingt dann zum Beispiel so:

Brenner: "Vor einer Weile habe ich gehört, du wärst tot."

Murot: "Bin noch da. War ein Tumor. Ist weg, sagen sie. Ob du es glaubst oder nicht, manchmal hat man eben Glück. Und bei dir?"

Brenner: "Na ja, weißt ja. Mein Tumor ist aus Blei. Immer noch drin, die Kugel. Neun Millimeter. Die Kugel wandert. Kriegen sie nicht raus, sagen sie, zu dicht am Rückenmark."

Da reden und trinken zwei miteinander, die schon vor 30, 40 Jahren nicht genau gewusst haben, welchen Feind sie eigentlich genau bekämpfen und ob sich das überhaupt gelohnt hat, und die nun angesichts der neuen Bedrohung komplett die Übersicht verlieren. Die Angreifer in diesem "Tatort" bleiben nämlich weitgehend diffus, wie Zombies nähern sie sich der Wache. Ein anderer, cineastisch beschlagener Polizist kommentiert die Szene mit den Worten: "Wir sind im Arsch. Wie in 'Living Dead'!" Ja, auch der Proto-Zombie-Horror von George Romero aus dem Jahr 1969 und seine Nachfolger werden zitiert - wie etliche weitere Genreklassiker.

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Foto: Christine Schroeder / NDR

Nach "Se7en"-Variation, nach "Ulli Unchained" sowie der "Murmeltier"-Neuauflage vom Anfang des Jahres ist dieser "Tatort" also eine weitere Hyper-Hommage ans Kino. In Szene gesetzt wurde sie von Thomas Stuber, der mit Kurth schon das Boxerdrama "Herbert" gedreht hat; Co-Autor war der Leipziger Schriftsteller und Trashfilm-Experte Clemens Meyer, der sich in diesen "Tatort" einen Gastauftritt als krakeeliger Radiomoderator reingeschrieben hat, der während des Belagerungszustands seine Nachtschicht mit Motown-Hits und Westcoast-Klassikern bestreitet.

Den Disco-Evergreen "Upside Down"  von Diana Ross legen die Belagerten allerdings selbst auf. Ein Mädchen, das ebenfalls in der Wache gefangen ist und das jetzt kämpfen muss wie eine Erwachsene, erklärt den psychologischen Musikeinsatz so: "Damit die da draußen denken, uns geht es gut."

So aberwitzig dieser "Tatort" mit Songs und Zitaten aufgeladen ist - er funktioniert doch weitgehend als klassische Western-Erzählung über verlorene Illusionen und verlorene Lieben, über unverheilte Narben und frisch zugefügte Wunden. Bleib im Sattel, Murot.

Bewertung: 8 von 10 Punkten


"Tatort: Angriff auf Wache 08", Sonntag, 20.15 Uhr, ARD

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