

Hanns Martin Schleyer, der in Geiselhaft vor dem RAF-Logo sitzt. Die Landshut-Entführerin Souhaila Sayeh, die nach ihrer Gefangennahme ein Victory-Zeichen macht. Rudi Dutschke, der am Grab von Holger Meins ruft: "Der Kampf geht weiter!" Das sind Bilddokumente, bewegt und eingefroren, tausendmal aufgerufen und nie zu den Akten gelegt, die vom Deutschen Herbst vor 40 Jahren ins kollektive Gedächtnis eingegangen sind.
Dieser "Tatort" zum 40 Jahrestag der sogenannten Todesnacht von Stammheim am 18. Oktober 1977 fügt ein paar neue Bilder hinzu: authentisch wirkende Super-8-Aufnahmen von Andreas Baader und Jan-Carl Raspe, die von einem Spezialkommando in ihren Zellen in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim erschossen werden, wackelnde Bilder von vermummten Beamten, die Gudrun Ensslin erdrosseln und Irmgard Möller abzustechen versuchen.
Ein monströser Akt der Zerstörung ist es, den der Regisseur Dominik Graf da vornimmt. Eine Zerstörung des behördlich beurkundeten Verlaufs der Todesnacht, eine Zerstörung auch des urdeutschen Fernseh-Genres Dokudrama, in dem dramaturgisch aufgepimpte Zeitgeschichte durch dokumentarische Aufnahmen den So-und-nicht-anders-war-es-Stempel aufgedrückt bekommt.
Graf zeigt nun in seinem "Tatort" gleichberechtigt nebeneinander in real wirkenden Pseudodoku-Aufnahmen sowohl den offiziellen Hergang der Todesnacht als auch die Variante von der Ermordung der RAF-Anführer durch die Polizei. Außerdem liefern sie in ihrem bild- und dialoggewaltigen Krimi noch weitere Varianten über die Stammheim-Ereignisse im Oktober 1977. War es Suizid, behördlich assistierter Suizid oder eine regelrechte staatliche Hinrichtung? Deutsche Geschichte in der Möglichkeitsform.
"Tatort" im bedrohlichen Schwebezustand
Im Zentrum dieses bedrohlich in der Schwebe gehaltenen RAF-"Tatorts" steht der abgehalfterte Ex-Sponti Wilhelm Jordan (Hannes Jaenicke), der verdächtigt wird, seine Frau in der Badewanne ertränkt zu haben. Die Ermittlungen gestalten sich für Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) schwierig, der Verfassungsschutz schaltet sich ein. Wie sich herausstellt, arbeitete der Verdächtige vor 40 Jahren als V-Mann und spionierte die RAF aus.
Jordan beherrscht die Kunst des Verrats ebenso wie das Wechseln von Identitäten. Jetzt haust er in der Laube seiner sterbenskranken Mutter. Vorstellbar, dass er einst die Waffen einschmuggelte, durch die Baader, Ensslin und Raspe in Stammheim umkamen.
Vieles ist möglich in diesem "Tatort" (bei dem Graf-Stammautor Ralf Basedow das Drehbuch am Anfang mitentwickelt hat). Die Unbestimmtheiten rund um die Todesnacht von Stammheim spielen Filmemacher Graf, der zurzeit auch an einem Fernsehprojekt über Michael Buback, den Sohn des Generalbundesanwalts und RAF-Mordopfers Siegfried Buback arbeitet, bei seinem Verschwörungsszenario zu: Welche Rolle spielte damals der Verfassungsschutz? Wie gelangten die Waffen in die Zellen? Weshalb sind viele Stunden der Tatnacht in dem Gefängnis undokumentiert?
Bettina Müller / HR
Doch den Filmemachern geht es in ihrem - mit fakedokumentarischen Bildern aufgeladenen - Verschwörungsthriller nicht darum, als Ersatzhistoriker für ein immer noch nicht befriedigend ausgeleuchtetes Stück deutscher Geschichte zu fungieren. Vielmehr lassen sie die RAF-Phantome und V-Mann-Gespenster aus dem Deutschen Herbst in den Fernsehherbst der Gegenwart spuken, um die Brüchigkeit des bundesrepublikanischen Friedens zu zeigen. Wie soll man auf einen Staat bauen, der seine eigenen verbrecherischen Verstrickungen nie aufgeklärt hat?
Die Kräfte von einst wirken weiter, auch im Untergrund: Wie der reale sogenannte RAF-Rentner Ernst-Volker Staub hält sich hier die fiktive ältere RAF-Frau Astrid Frühwein (Heike Trinker) mit zwei Gefolgsleuten mit Überfällen über Wasser. V-Mann Jordan hat eine Affäre mit ihr, der Verfassungsschutz ist quasi im Bett dabei, die Terroristin seufzt: "Du warst immer mein schönster Verräter."
Alle wissen hier alles, jeder profitiert von jedem, außer Lannert und Bootz, die immer wieder in ihren Untersuchungen blockiert werden. Ihre bittere, verdutzt ausgestoßene Vermutung: "Der Staat vertuscht einen Mord, um drei RAF-Mitglieder im Rentenalter zu schützen!"
Der Kampf geht also weiter, irgendwie. In "Rote Schatten" sogar durch Hilfe des Verfassungsschutzes; das ist die grausame Ironie dieses furios überreizten, aber eben aufgrund der lückenhaften Faktenlage nicht unplausiblen Thrillers. Deutschland, unversöhnt. Fortsetzung folgt.
Bewertung: 8 von 10 Punkten
"Tatort: Rote Schatten", Sonntag, 20.15 Uhr, ARD
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Der Verfassungsschutz ist im Bett immer mit dabei: Wilhelm Jordan (Hannes Jaenicke) trifft sich mit RAF-Frau Astrid Frühwein (Heide Trainker) in seiner Laube.
Alle wissen alles, nur sie wissen nichts: Die Kommissare Lannert (Richy Müller, M.) und Bootz (Felix Klare) erreichen den Tatort und informieren sich bei einer Polizistin (Julischka Eichel).
Der Kampf geht weiter: Astrid Frühwein (Heike Trinker) bei dem Überfall auf einen Geldtransporter
Deckung! Bootz gerät unter Beschuss.
Verhör am Tresen: Lannert und der linke Säufer Heinz (Sascha Maaz)
Szene aus frühen politbewegten Tagen: Wilhelm Jordan (Elias Popp) und Astrid Frühwein (Emma Jane).
So sexy war die Revolte: Wilhelm und Jordan vor dem Verrat.
Auf der Flucht: Christoph Heider (Oliver Reinhard, r.), der Ex-Mann der Toten, glaubt an eine Verschwörung und will ins Ausland.
Bekommt Anweisungen von ganz oben: Staatsanwältin Emilia Álvarez (Carolina Vera) hat diesmal Schwierigkeiten, ihre beiden Kommissare zu schützen.
Undurchsichtig: Jordan hat sowohl Verbindungen zum Untergrund als auch zum Verfassungsschutz.
Auch 40 Jahre später sind noch viele Dinge ungeklärt: Thorsten Lannert (Richy Müller) sammelt bei einem Journalisten Informationen über die Aktivitäten des Verfassungsschutzes im Herbst 1977.
Unschuldig im Knast: Heider (Oliver Reinhard) wird entlassen.
Sympathisierte einst mit dem linken Widerstand: Lannert auf der Suche nach Hinweisen.
Beim Dreh: Regisseur Dominik Graf mit Darstellerin Heike Trinker
Murot in Hessen
Keine Angst vor dem Pianisten! Ob am Klavier, an der Kettensäge oder am Maschinengewehr – Ulrich Tukur als Kommissar Murot ist fast immer eine Sensation. Fast immer: Die Nummer mit den Gauklern in der Zirkus-Folge »Schwindelfrei« von 2013 war wirklich übel, dafür war die Tarantino-meets-Truffault-Folge »Im Schmerz geboren« 2014 ein absolutes Meisterwerk, und auch die Doppelgänger-Folge Und Jacques-Tati-Hommage vom November war ein echter Lichtblick in düsteren Tagen.
Bettina Müller / HR
Lannert und Bootz in Stuttgart
Richy Müller als Thorsten Lannert und Felix Klare als Sebastian Bootz sind prima Kerle. Der eine mit tragischer Undercover-Ermittler-Vergangenheit, der andere als ehrenhaft gescheiterter Ehemann. Seit 2008 sind sie im Einsatz, am Anfang wurden die Fälle noch arg routiniert runtergespült. Doch die jüngsten Stuttgart-Episoden behandelten auf ästhetisch höchstem Niveau Aufregerthemen wie Stuttgart 21, unaufgearbeitete RAF-Geschichte sowie Pflegenotstand. Und der Sniper-Krimi (siehe Bild) bot zuletzt großes Thriller-Kino.
Benoît Linder/ SWR
Die ewigen Junggesellen: Seit weit mehr als einem Vierteljahrhundert sind die beiden älteren Jungs jetzt schon im Einsatz – und immer noch gut für einen Skandal. Unvergessen eine der jüngeren Episoden, in der Kommissar Ivo Batic (Miroslav Nemec, M.) und Kollege Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) im Münchner Porno-Milieu ermittelten. Aber auch der melancholische Surfer-Krimi mit Portugal-Impressionen und das brutal genaue Sittengemälde aus der Münchner Vorstadt vor der Sommerpause waren Vorzeigewerke für den ARD-Sonntagskrimi.
Gorniak, Winkler und Schnabel in Dresden
Lustig ging es los, unentschieden ging es weiter, düster ist es geworden. Alwara Höfels, Karin Hanczewski und Martin Brambach hatten in den ersten Folgen sehr zu kämpfen mit dem unausgegorenen Konzept des MDR. Höfels zog inzwischen die Konsequenzen und verabschiedete sich. Nun hat Cornelia Göschel als Kommissarin Winkler übernommen. Der Dresden-»Tatort« will nun ein harter, zeitgemäßer Cop-Krimi sein.
Berg und Tobler im Schwarzwald
Eva Löbau als Franziska Tobler und Hans-Jochen Wagner als Friedemann Berg benötigen keine Dialogfanfaren oder exotische Rollenbiografien. Sie verwerten, was dieser witterungsintensive Krimi-Schwarzwald hergibt. Ein Heimatkrimi, in dem alles lokal produziert wird: Obst, Schnaps, der Tod. Mit den letzten, exzeptionellen Folgen bewies das Revier in Deutschlands äußerstem Südwesten aber auch eine extreme Risikobereitschaft und zeigte jeweils einen Fall aus der Perspektive eines Schizophrenen, eines Sexualstraftäters und einer Prostituierten.
Boerne und Thiel in Münster
Der Prof und der Proll: Seit 2002 ermitteln Jan Josef Liefers als Gerichtsmediziner Karl-Friedrich Boerne und Axel Prahl als Frank Thiel zwischen Keksdynastien, Kartoffelkönigen und Spargelkaisern. Der eine Snob und eng verbandelt mit der Münsteraner Honoratiorenschaft, der andere St.-Pauli-Fan und Outsider. Eine Kombination, mit der anfangs gekonnt grotesker Humor in den »Tatort« geschmuggelt wurde, der erschöpfte sich in den letzten Jahren aber in Gag-Kanonaden. Trotzdem jede einzelne Boerne/Thiel-Folge ein Quotenhit.
Schürk und Hölzer in Saarbrücken
Die neue Düsternis: Nachdem Devid Striesow als Kommissar Stellbrink eher glücklos versucht hatte, gute Laune im Saarland zu verbreiten, ist der Relaunch zum April 2020 im guten Sinne spaßbefreit geraten: Daniel Sträßer (l.) als Adam Schürk und Vladimir Burlakov als Leo Hölzer sind so geheimnisvolle wie grimmige Ermittler. Ihr erster Auftritt war stark und stimmig, der zweite ist noch in Arbeit. Nur an den im Saar-»Tatort« stets fragwürdigen Frauenbildern sollte unbedingt noch geschraubt werden.
Borowski und Sahin in Kiel
Der Weltenwandler: Als Klaus Borowski ist Axel Milberg am besten, wenn er in Parallelkosmen von Psychopathen hinabsteigt – vielleicht weil Borowski selbst nah am Wahnsinn gebaut ist. Seit 2003 dabei, stand er bis 2009 sinnigerweise unter der Beobachtung einer Polizeipsychologin. Doch die Frauen kommen und gehen im Borowski-»Tatort«. Nach Maren Eggert und Sibel Kekilli hat nun die hoch gehandelte türkeistämmige Schauspielerin Almila Bagriacik (»4 Blocks«) die Rolle des weiblichen Sidekicks übernommen.
Tschiller in Hamburg
The Last Action Hero: Der zu Extra-Konditionen engagierte Megastar Til Schweiger brachte der Krimireihe keine Megaquoten als Kommissar Tschiller. Auch nicht durch Panzerfaust- und Helene-Fischer-Einsatz. Nach an der Publikumsfront gescheiterten Action-Blockbuster-Versuchen zeigte die sechste Folge den Haudrauf dann als gebrochene Figur. Mal sehen, wie es weitergeht. Nach der begonnenen Therapie des letzten deutschen Action-Cops darf er jetzt gern wieder zur Schusswaffe greifen.
Dorn und Lessing in Weimar
Ist das noch ein Krimi? Nora Tschirner als Kommissarin Dorn und Christian Ulmen als Kollege Lessing lassen mit lässiger Eleganz die üblichen »Tatort«-Ermittlerstanzen ins Leere laufen – und das ausgerechnet im Einflussgebiet des MDR, wo man sich früher schwertat mit Humor und Subversion. Nach der anfänglich schleppenden Programmierung als Event-»Tatort« ermitteln Dorn und Lessing nun zweimal im Jahr.
Falke in Norddeutschland
Für immer Punk: Wotan Wilke Möhring als Kommissar Falke hört Punk und trägt zum Schlafen wie zum Ermitteln ein fadenscheiniges Ramones-Shirt. Erst war er in Hamburg unterwegs, dann musste er Til Schweiger die Stadt überlassen und zog ins norddeutsche Umland ab, jetzt darf er wieder in Hamburg ermitteln. In der Rolle der Co-Ermittlerin agiert Franziska Weisz als Julia Grosz. Zwei Folgen im Jahr.
Faber und Bönisch in Dortmund
Die Kranken: Jörg Hartmann schluckt als Peter Faber reichlich Pillen und schlägt Toiletten kaputt. Anna Schudt als Kollegin Martina Bönisch steigt mehr zum Frustabbau als zum Lustgewinn mit Callboys und Staubsaugervertretern ins Bett. Eines der wenigen TV-Reviere mit stringenter Figurenentwicklung. Die Elite des deutschen Fernsehkrimis. Bei den jungen Sidekicks herrscht allerdings ein gewisses Kommen und Gehen. Noch dieses Jahr wir Aylin Tezel den Krimi verlassen, als Nachfolgerin wird im nächsten Jahr Stefanie Reinsperger zu sehen sein.
Brix und Janneke in Frankfurt
Wie sind die denn drauf? So ausgeglichen wie Paul Brix (Wolfram Koch, l.) und Anna Janneke (Margarita Broich, r.) geht sonst niemand in Fernsehkrimideutschland zur Arbeit. Gute Laune als Alleinstellungsmerkmal, ein interessanter Dreh. Statt Reibung die geballte Aufmerksamkeit für den jeweiligen Fall. Brix war früher bei der Sitte, Janneke hat zuvor als Psychologin gearbeitet: Eine gute Ergänzung, um in die harten, kranken und doch oft auch heiter verdrehten Fälle des hessischen »Tatorts« hinabzusteigen. Hier wird gern experimentiert, unvergessen der Geisterhaus-Horror, der für heftige Debatten innerhalb der ARD sorgte. Zwei Folgen im Jahr.
Rubin und Karow in Berlin
Er ein Schwein, sie eine Schlampe: Im Gegensatz zu den einstigen sonnigen Hauptstadt-Cops Ritter und Stark sind »Tatort«-Nachfolger Mark Waschke als Robert Karow und Meret Becker als Nina Rubin mit extrem schwarzem Strich gezeichnet. Während Karow in der ersten Episode krumme Geschäfte mit der Drogenmafia laufen hat, vergnügt sich Rubin bei SM-Spielchen in den Hinterhöfen von Kreuzberger Hipster-Bars. Neben krassen Charakterzeichnungen gibt es im radikal modernisierten Berliner »Tatort« vor allem stimmige Hauptstadtimpressionen. Zwei Folgen pro Jahr. Meret Becker wird die Reihe bald verlassen, ihre Nachfolgerin wird Corinna Harfouch.
Lindholm in Hannover und Göttingen
Die Frau von heute: Seit 2002 ist Maria Furtwängler in der Rolle der Charlotte Lindholm in Niedersachsen unterwegs und wurde in den letzten Jahren zum Inbegriff der modernen weiblichen Ermittlerin. WG-erfahren, hochschwanger während brisanter Ermittlungen, später brachte sie Kind und Karriere gut zusammen. Lindholm ist die personifizierte Selbstoptimierung, im Herzen konservativ, aber offen für Experimente. Inzwischen steht Lindholm die von Florence Kasumba gespielte Kommissarin Anaïs Schmitz zu Seite.
Voss und Ringelhahn in Franken
Die Fremden: Felix Voss ist ein verirrtes und verschlossenes Nordlicht mit Vorliebe für Techno-Exzesse, Paula Ringelhahn machte noch zu Mauerzeiten aus dem Osten rüber, weil sie an Freiheit und Demokratie glaubte. Jetzt ermitteln die beiden Kommissare, die überhaupt nicht zueinanderpassen, in einer Gegend, in der sie zudem noch deplatziert wirken. Eine reizvolle Grundsituation. Einmal jährlich gehen Fabian Hinrichs und Dagmar Manzel als ungleiches Paar im Hinterland von Unter-, Mittel- und Oberfranken auftreten. Hinrichs hatte zuvor schon in einer BR-Episode als Ermittler-Kauz Gisbert für Furore und verliebtes Publikum gesorgt.
Eisner und Fellner in Wien
Der doppelte Espresso: Seit 1999 ermittelt Harald Krassnitzer als Major Moritz Eisner mürrisch, praktisch, gut. An die 5000 Tassen Mokka und andere starke koffeinhaltige Getränke hat er seitdem in sich hineingeschüttet. Seit 2011 wird er von Adele Neuhauser als Bibi Fellner unterstützt, einer (meistens) trockenen Alkoholikerin mit Hang zur Halbwelt am Prater. Wien, düster und kalt wie ein kleiner abgestandener Schwarzer. 2014 gab es den Grimme-Preis.
Ballauf und Schenk in Köln
Das Ehepaar: Klaus J. Behrendt als Max Ballauf und Dietmar Bär als Freddy Schenk standen lange für den guten alten Soziokrimi – kein Thema, das von den beiden nicht warmherzig wegermittelt und wegerklärt wurde. Schenk hat zu Hause eine Frau, die man noch nie gesehen hat. Aber mal ehrlich: Was kann die schon gegen seine große Liebe Ballauf ausrichten? Seit 1997 dabei, drei bis vier Fälle im Jahr. Nachdem Anfang 2014 Assistentin Franziska grausam aus dem TV-Revier gemordet wurde, geht es bei den Kölnern düsterer und unversöhnlicher zu. Steht den beiden »Tatort«-Oldies eigentlich ganz gut.
Odenthal in Ludwigshafen
Die Experimentiermaschine: Hier gab es die schönsten amourösen Eskapaden und die verwegensten Storys – samt Ausflug ins All. Ulrike Folkerts als Lena Odenthal ist seit 1989 im Einsatz, Andreas Hoppe als Mario Kopper stieß 1996 dazu, hat aber den »Tatort« 2017 wieder verlassen. Zurzeit stellt der SWR mit dem TV-Revier allerhand Versuche an, die beiden Impro-Folgen blieben aber weit hinter den Erwartungen zurück. Trotzdem: Bitte weiter experimentieren!
Murot in Hessen
Keine Angst vor dem Pianisten! Ob am Klavier, an der Kettensäge oder am Maschinengewehr – Ulrich Tukur als Kommissar Murot ist fast immer eine Sensation. Fast immer: Die Nummer mit den Gauklern in der Zirkus-Folge »Schwindelfrei« von 2013 war wirklich übel, dafür war die Tarantino-meets-Truffault-Folge »Im Schmerz geboren« 2014 ein absolutes Meisterwerk, und auch die Doppelgänger-Folge Und Jacques-Tati-Hommage vom November war ein echter Lichtblick in düsteren Tagen.
Foto:Bettina Müller / HR
Lannert und Bootz in Stuttgart
Richy Müller als Thorsten Lannert und Felix Klare als Sebastian Bootz sind prima Kerle. Der eine mit tragischer Undercover-Ermittler-Vergangenheit, der andere als ehrenhaft gescheiterter Ehemann. Seit 2008 sind sie im Einsatz, am Anfang wurden die Fälle noch arg routiniert runtergespült. Doch die jüngsten Stuttgart-Episoden behandelten auf ästhetisch höchstem Niveau Aufregerthemen wie Stuttgart 21, unaufgearbeitete RAF-Geschichte sowie Pflegenotstand. Und der Sniper-Krimi (siehe Bild) bot zuletzt großes Thriller-Kino.
Foto:Benoît Linder/ SWR
Die ewigen Junggesellen: Seit weit mehr als einem Vierteljahrhundert sind die beiden älteren Jungs jetzt schon im Einsatz – und immer noch gut für einen Skandal. Unvergessen eine der jüngeren Episoden, in der Kommissar Ivo Batic (Miroslav Nemec, M.) und Kollege Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) im Münchner Porno-Milieu ermittelten. Aber auch der melancholische Surfer-Krimi mit Portugal-Impressionen und das brutal genaue Sittengemälde aus der Münchner Vorstadt vor der Sommerpause waren Vorzeigewerke für den ARD-Sonntagskrimi.
Foto: Hendrik Heiden/ Hendrik Heiden/ BRSchürk und Hölzer in Saarbrücken
Die neue Düsternis: Nachdem Devid Striesow als Kommissar Stellbrink eher glücklos versucht hatte, gute Laune im Saarland zu verbreiten, ist der Relaunch zum April 2020 im guten Sinne spaßbefreit geraten: Daniel Sträßer (l.) als Adam Schürk und Vladimir Burlakov als Leo Hölzer sind so geheimnisvolle wie grimmige Ermittler. Ihr erster Auftritt war stark und stimmig, der zweite ist noch in Arbeit. Nur an den im Saar-»Tatort« stets fragwürdigen Frauenbildern sollte unbedingt noch geschraubt werden.
Foto: Manuela Meyer/ SRMelden Sie sich an und diskutieren Sie mit
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