
Schweiger-"Tatort": Reif für die Insel
Schweigers "Tatort"-Comeback Lost Action Hero
Er war der erste und der letzte Action-Hero des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Er randalierte bereits in der Elbphilharmonie, da war die noch gar nicht ganz fertig gebaut. Er knüppelte sich als suspendierter deutscher Beamter durch türkische Knäste, ohne an die diplomatischen Folgen zu denken. Er legte sich mit einer Panzerfaust einen Fluchtweg durch die Schuppen am Hamburger Hafen und zeigte wenig Interesse an den Kollateralschäden.
Til Schweiger zog als Nick Tschiller eine schöne, stattliche Spur der Verwüstung durchs deutsche Fernsehen. Die Materialkosten waren hoch, der menschliche Verschleiß enorm, die Verwerfungen in NDR und ARD massiv. Nach fünf mal mehr, mal weniger kunstvoll entfesselten "Tatort"-Folgen war erst mal Schluss. Tschiller war ausgebrannt, Schweiger wollte seine Ruhe.
Neuwerk soll nun den Neubeginn bringen. Nach eineinhalb Jahren Sendepause - zuletzt feierte im Juli 2018 seine im Kino gefloppte Episode "Off Duty" im Ersten Fernsehpremiere - begegnen wir Schweigers Tschiller auf der kleinen, zu Hamburg gehörenden Insel in der Helgoländer Bucht wieder, wo er schwer erziehbare Kinder betreut. Wenn er den Blick dort in den trüben Nordseehimmel reckt, dann sieht Tschiller Vögel auf Wanderschaft und sagt: "Das sind Nonnengänse. Die machen sich bald auf den Weg in die Arktis. Aber vorher kacken die hier noch alles zu."

Schweiger-"Tatort": Reif für die Insel
Tschiller muss sich das gefallen lassen, er hat ja keine Pistole mehr, um die Gänse damit vom Himmel zu holen. Der Ex-Cop spricht ein wenig so, als würde er sich für einen langen Winterschlaf bereit machen. Er ist jetzt der Lost Action Hero, müde, weltverloren, im Herbst seines Wirkens. Schweiger wollte es so, der NDR und die ARD werden sich gefreut haben - endlich mal keine teuren Karambolagen. Beide Parteien hatten noch Verträge zu erfüllen. Und sie haben etwas recht Interessantes aus der Zwangslage gemacht.
Moralische Milimeterarbeit
Til Schweiger, 56, agiert jetzt ein wenig so wie der Actionveteran Liam Neeson, 67, in seinen vielen späten Selbstbehauptungsthrillern ("72 Stunden", "96 Hours" und so weiter). Man hatte ja sowieso stets das Gefühl, dass Schweiger genau in eine solche Art Rolle reinfinden wollte: der angegriffene Familienmensch, der aus letzter Hoffnung und gerechter Wut bis zum Äußersten geht. Das Problem war, dass Tschillers und Schweigers Wut oft nicht gerecht, sondern selbstgerecht war. Rachethriller sind in Sachen Moral aber nun mal Millimeterarbeit.
Diese Millimeterarbeit gelingt im neuen "Tatort" über Strecken ganz gut. Der Krimi beginnt vage mit einer Grundsituation wie jener aus dem dritten Teil von "96 Hours", wo die Ex-Frau des von Liam Neeson verkörperten Helden ermordet wird. Auch Tschiller kämpft am Anfang von "Tschill out" mit dem Verlust seiner Ex-Frau, die schon zuvor von Gangstern getötet wurde.

Fotostrecke: Alle "Tatort"-Teams im Überblick
Der irische Schauspieler Neeson spielte so was in seinen Filmen mit emotionalem Understatement. Und der irische Regisseur und Drehbuchautor Eoin Moore setzt nun mit solchem emotionalen Understatement auch den versehrten, gebrochenen Helden Tschiller in Szene. Moore ist einer der besten Regisseure, die in Deutschland arbeiten. Mit dem verstorbenen Ausnahmeschauspieler Andreas Schmidt lieferte er ambivalente Psychogramme von Gewalttätern; mit dem Rostocker "Polizeiruf" entwickelte er ein TV-Revier, wo körperliche Entfesselung und psychologische Akkuratesse zusammengehen.
Tschiller hat "Gefühle und so"
Und so wirft Moore nun im "Tatort" (Co-Autorin: Anika Wangard) den trauernden, an sich selbst verzweifelnden Tschiller auf sich selbst zurück, ohne dass sich dieser mit Waffengewalt aus der Situation freischießen darf.
Als eine Art Schusswaffenmethadon gönnt Moore ihm immerhin ein wenig Paintball-Action. Während sich die verhaltensauffälligen Kids aus der Neuwerker Jugendeinrichtung Farbe an den Kopf ballern, erklärt der neuerdings pädagogisch interessierte Tschiller: "Es geht um Risikoerlebnisse. Lernen, sich zu schützen. Das wichtigste ist, lernen, seinem Partner zu vertrauen. In einem Wort: Teambuilding."
Nun ja, nicht jeder Dialog sitzt. Und wenn er sitzt, ist er oft nicht glaubwürdig gesprochen. Das kann man aber aushalten. Auch weil es ein Wiedersehen gibt mit dem von Fahri Yardim gespielten Ermittlerkollegen Yalcin Gümer. Der bringt den Sänger einer linksradikalen Deutschpunk-Band auf die Insel, der sich mit Gangstern angelegt hat und nun ermordet werden soll.
Dass die Handlung später von Politpunk und Drogensumpf in Richtung Pädo-Kriminalität gedreht wird, strapaziert die Plausibilität zwar erheblich, dafür sitzt bei Yardims Gümer jeder Monolog. Und es wird ein jeder von ihm auch gut gesprochen. Etwa wenn der eine Freund dem anderen noch mal sein Helfersyndrom unter die Nase reibt: "Das ist ne Sucht, Nick! Deine Sucht sagt dir die ganze Zeit: Wo kann ich den Helden spielen?"
Entwaffnet ehrlich agiert dann auch Tschiller irgendwann, am Ende stammelt er gar: "In mir drin steckt noch ganz viel Zeug fest, Gefühle und so." Da ist also noch viel zu tun bei Tschiller. Aber er bemüht sich doch auch redlich. Gebt dem Mann jetzt bitte seine Pistole zurück.
Bewertung: 6 von 10 Punkten
"Tatort: Tschill out", Sonntag, 20.15 Uhr, ARD