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Hannover-"Tatort": Ewig röhren die Harleys

Foto: NDR /Gordon Muehle

"Tatort" über Hannover-Filz Wulffs Revier

Rocker, Rechtsanwälte, Mädchenhändler - mit einem Doppel-"Tatort" leuchtet der NDR den Hannoveraner Filz aus. Auch wenn sie nicht genannt werden: Hells-Angels-Chef Hanebuth und Finanzguru Maschmeyer lassen grüßen. Ach, wäre der Krimi nicht nur brisant, sondern auch brillant.

Das mit den Bändchen und den Prostituierten ist bekannt. Bei der berühmten Sexparty der Hamburg-Mannheimer in Budapest sollen die Frauen rote und weiße ums Handgelenk getragen haben, je nach Art ihrer Dienste. Im Niedersachsen-"Tatort" sind es jetzt rote und goldene, hier beziehen sich die Farben auf das unterschiedliche Alter. Gold steht für sehr jung und jungfräulich. Entsorgt werden die Frauen nach der Party unter Hannovers Honoratioren aber allesamt. Entweder in Billigbordelle oder direkt auf den Müll.

"Wegwerfmädchen" heißt die erste Folge dieses Doppel-"Tatorts", der an zwei aufeinander folgenden Sonntagen läuft. Die Sache mit den Bändchen ist dabei noch die unverfänglichste Spur, die der Krimi in die bundesrepublikanische Wirklichkeit legt. Andere Hinweise auf wahre Begebenheiten sind wesentlich brisanter. Denn nachdem die Leiche eines russischen Mädchens auf einer Mülldeponie gefunden wurde, stößt Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) auf eine Reihe von Herren, die stark an das reale Honoratiorenpersonal von Hannover erinnert.

Da ist zum Beispiel der Immobilienhändler Hajo Kaiser (Bernhard Schir), der seine markigen öffentlichen Auftritte inszeniert wie der Finanzmakler und Selfmade-Multimillionär Carsten Maschmeyer. Und da ist der Anwalt Gregor Claussen (Michael Mendl), der eine ähnlich breit gestreute Klientel hat wie der reale Hannoveraner Rechtsbeistand und Gerhard-Schröder-Freund Götz von Fromberg - fiktionale als auch reale Figur sind gleichermaßen mit Politik wie mit den Hells Angels verbandelt. Und da ist der Rockerchef und Bordellbetreiber Uwe Koschnik (Robert Gallinowski), der nicht nur wegen seiner Glatze und seines Stiernackens frappierende Ähnlichkeit mit dem echten Hells-Angels-Anführer Frank Hanebuth aufweist.

Zwischen Glitzer- und Halbwelt

Als der Doppel-"Tatort" 2011 entwickelt wurde, war der Druck auf den NDR enorm. Damals war Christian Wulff noch Bundespräsident, man hatte die Filmhandlung in seinen einstigen Wirkungskreis gelegt. Ein "Tatort" in Wulffs Revier? Das erschien den Oberen der ARD ein bisschen zu heiß, zumal damals gerade die - wie wir heute wissen: falschen - Gerüchte über die Rotlicht-Vergangenheit von Wulffs Ehefrau Bettina gestreut worden waren. Ein Plot über die Verquickung von Politik und Prostitution war da nicht erwünscht. Der NDR aber beharrte auf dem Thema.

Ein wirklich brisanter "Tatort" ist der Zweiteiler trotzdem nicht geworden. Wer einen Thriller über von Deutschland aus gesteuerte Kindesprostitution sucht, der sollte sich Dominik Grafs Franken-Thriller "Das unsichtbare Mädchen" anschauen. Und über die Sitten und Gebräuche der deutschen Rocker-Szene hat der NDR selbst mit der Rostocker "Polizeiruf"-Folge "Stillschweigen" ein stimmiges Krimi-Drama vorgelegt.

Den "Tatort"-Machern gelingt es einfach nicht, die vielen Anspielungen auf den realen Hannoveraner Filz in ein Gesellschaftsdrama mit Dynamik und Tiefenschärfe zu übersetzen; das halb- und schwerkriminelle Klüngelnetzwerk wirkt konstruiert. Zudem fehlt der Mut zur Ambivalenz: Die Figuren bleiben Abziehbilder von vermeintlichen oder mutmaßlichen Bösewichten. Die realen Vorbilder sind aber nicht so einfach zu fassen. Wer zwischen Glitzer- und Halbwelt, zwischen Landespolitik und Rotlichtkiez agiert, muss nun mal auf jedem gesellschaftlichen Parkett reüssieren können.

Gleich der starke Einstieg zeigt die Schwäche dieses Ausnahme-"Tatorts": Frauen, die nach Benutzung auf den Müll geworfen werden - das mag eine stimmige dramaturgische Überhöhung zum Thema Zwangsprostitution sein. Den mehr oder minder diskreten Charme der Hannoveraner Kumpelwirtschaft fängt man damit nicht ein. Ein subtilerer Einstieg wäre besser gewesen.

Regisseurin Franziska Meletzky glänzte zuletzt in der ARD mit ihrem Stasi-Psychothriller "Es ist nicht vorbei", in dem sie mit kleinen klugen Erzählkniffen die Bedrohungen des Unrechtsstaates DDR bis in die Gegenwart wirken ließ. In "Wegwerfmädchen" und "Das goldene Band" (Buch: Stefan Dähnert) kündigt die Filmemacherin die Gefahr nun mit sehr viel gröberen Mitteln an: Ewig röhren hier die Harleys der Rocker, ewig bauen sich die Lederglatzen vor der unerschrockenen Kommissarin auf.

Aber wie funktioniert er denn nun, der Hannoveraner Klüngel zwischen Rotlichtviertel und High Society, zwischen Steintor und Herrenhausen? Diese Frage wird nicht beantwortet. Unseren Respekt verdienen die Verantwortlichen für diesen der Wirklichkeit abgerungenen "Tatort"-Brocken trotzdem: Gut möglich, dass die NDR-Justiziare beim Absegnen des Gesellschaftsschockers den einen oder anderen dramaturgischen Höhenflug verhindert haben.


"Tatort: Wegwerfmädchen", Sonntag, 9. Dezember, 20.15 Uhr, ARD
"Tatort: Das goldene Band", Sonntag, 16. Dezember, 20.15 Uhr, ARD

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