
"The Big Bang Theory"-Finale: Als die Nerds zu Helden wurden
Zum Ende von "The Big Bang Theory" Spott, um den Schmerz zu ertragen
"Neulich bei den Nerds...", so beginnen "Big Bang Theory"-Rückblenden. Obwohl die Situationsangabe nicht ganz präzise ist: Wir sind eben nicht bei klassischen Computer-Nerds, bei überwiegend männlichen, genialen Sonderlingen, die statt anderen Menschen ihren Screens näherkommen. Sondern bei Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen.
Der Trick, den die "Big Bang Theory"-Schöpfer Chuck Lorre und Bill Prady vor 279 Folgen (inklusive der am Montagabend auf ProSieben ausgestrahlten letzten) aus dem Hut zogen, war, das Nerdtum vom Computerbereich abzurücken und in der Forschung zu platzieren. "Weniger Bill Gates, mehr Richard Feynman", erklärte Lorre 2012 in einem Interview. Denn Physiker wie Feynman oder Stephen Hawking hätten keine wirtschaftlichen Anreize für ihre Arbeit, stattdessen wollten sie einfach die Welt verstehen.
Und das geht nur mit jenem typischen, gewiss zuweilen diskussionswürdigen Humor, den Lorre und Prady in die seit zwölf Jahren laufende Serie, die für Lorre nie eine "Sitcom" war, hineinstopften: Einen zunächst auf Sprache, Tempo und popkulturelle oder allgemeine Bezüge basierenden Witz - etwa, wenn Dr. Sheldon Cooper (Jim Parsons) und sein Mitbewohner Dr. Leonard Hofstadter (Johnny Galecki) im Auto auf dem Weg zu einem Vortrag nach Berkeley sitzen. Sheldon erlaubt Leonard, die gemeinsame Reise mit Musik zu feiern - er dürfe das Radio anmachen. "Play that funky music white boy", fordert er Leonard auf, und der gibt zurück: "Es wundert mich, dass du die Anspielung kennst!" - "Welche Anspielung?", fragt Sheldon. Die gesamte Folge wimmelt danach von popkulturellen, unwissentlich durch Sheldon gemachten Referenzen.

"The Big Bang Theory"-Finale: Als die Nerds zu Helden wurden
Doch der tiefere, grimmigere Witz der Serie liegt in der tragischen Analyse der kommunikativen Störungen ihrer Helden und Heldinnen und damit der gesamten US-amerikanischen Gesellschaft. Schon 2006 bezeichnete das Branchenmagazin "Entertainment Weekly" den 67 Jahre alten Megaproduzenten und ehemaligen Rockmusiker Lorre als "angriest man in television". Sein Lebenslauf ist trotz permanenten TV-Erfolgs von Drogenkonsum und Depressionen, Richtungswechseln und Rückschlägen geprägt. Dennoch bleibt er oberflächlich gesehen auf der seichten Seite: Die "Big Bang Theory"-Gags kreisen um den Protagonisten und Protagonistinnen fest zugeschriebene Charaktereigenschaften - Sheldons Arroganz und Weltfremdheit, Leonards Minderwertigkeitskomplexe, Pennys (Kaley Cuoco) Bauernschläue und emotionale Intelligenz.
Doch hinter den Klischees stecken scharfe, manchmal bittere Beobachtungen: Wie Sheldon analysiert, dass ein echtes, tiefes Gespräch zwischen zwei Menschen eigentlich nur daraus besteht, dass der eine erzählt, was er erlebt hat, und dann der andere ohne jeglichen Bezug dazu von seinen eigenen Erfahrungen spricht - darin steckt viel Erkenntnis über die Modalitäten moderner Kommunikation.
Auch Leonards in der Folge "The Speckerman Recurrence" immer wieder zur Sprache gebrachte, sich in absurde Bilder hochschaukelnde Mobbing-und Bullying-Erlebnisse ("War das der, der dir in die Fruchtbowle gepinkelt hat? - Nein, das war ein anderer... - War das der, der dir die Unterhose so hoch gezogen hat, dass ein Hoden oben blieb und du die ganzen Weihnachtsferien darauf gewartet hast, dass er sich wieder absenkt? - Nein, das war noch ein anderer...") porträtieren, wenn auch grotesk getarnt, klassische Hierarchien und die damit verbundenen (Sack-)Schmerzen: Wer auf der sozialen Leiter unten steht, der wird auch noch getreten.
Klassische US-Spottobjekte
Leonard, Sheldon, Howard (Simon Helberg), Raj (Kunal Nayyar), Sheldons spätere Frau und Neurowissenschaftlerin Amy (Mayim Bialik) und Bernadette (Melissa Rauch) versinnbildlichen dabei zwar einerseits Stereotype klassischer US-Spottobjekte (sozialgestörter Nerd, white trash beautiful, verklemmter indischer Wissenschaftler aus hoher Kaste, sexfixiertes jüdisches Muttersöhnchen). Sie loten jedoch auch tief in jeder Gesellschaft steckende Diskriminierungen gegenüber Frauen, gegenüber Nerds, gegenüber People of Color durch ständiges Thematisieren (und Ridikülisieren) aus.
Genau das wurde von "TBBT"-Kritikern immer wieder als Rassismus- oder Sexismusmanifestation interpretiert: Die Figur Raj vereine, so die Vorwürfe, als Angehörige einer ethnischen Minderheit negative Attribute wie Schüchternheit, Naivität und einen starken Akzent. Doch in der sich zweifelsohne aus Vorurteilen bedienenden und diese damit immer wieder brechenden Show bekommen jeder und jede (und auch jede Religion) ihr Fett weg - ob Sheldons stramm christliche oder Howards unsichtbar brüllende jüdische Mutter, ob Pennys Alkoholismus, Bernadettes Strebertum oder Amys eigene, nicht ausgelebte Sexfixierung: In allem steckt neben den mit enervierenden Studiolachern garnierten, meist gelungenen Gags eine Bitterkeit. Sich lustig zu machen, ist für Lorre und Prady die einzige gangbare Möglichkeit, das Elend zu ertragen.
Dass man es bei der heutigen, zumindest von den IMDB-Benutzern als beste Episode überhaupt gewählten finalen Folge mit einer tränendrüsigen Harmonieschleuder (Stichwort Dankesrede...) zu tun hat (wobei die letzten Staffeln eh immer kitschiger wurden), sollte einen dennoch nicht wundern: Die Wurzeln des Sarkasmus sind schließlich Angst und Verletzlichkeit.
"The Big Bang Theory", Montag 25.11. , 20.45 Uhr, Staffel 12, Episode 24, auf ProSieben