»The Crown« und die Krise der Royals Gefechte im Spiegelsaal der Bilder

Die königliche Familie in der Serie »The Crown«: Eine schrecklich nette Familie
Foto:Des Willie / Netflix / dpa
Ein entlaufener Prinz, eine Herzogin mit Selbstmordgedanken, eine greise Queen, ein Interview, das den Royals den Boden unter den Füßen wegzieht – das übertrifft alles, was bisher in »The Crown« zu sehen war. Es wäre das perfekte Serienfinale.
Doch Macher Peter Morgan hält an seinem Plan fest, die Serie mit Staffel sechs und dem Tod von Prinzessin Diana enden zu lassen. Zumindest war das im vergangenen Dezember noch so, als er dem »Hollywood Reporter« sagte : »Meghan und Harry sind auf einer Reise, und ich kenne ihr Ziel noch nicht. Ich schreibe viel lieber über Dinge, die mindestens 20 Jahre her sind.« Andererseits: Morgan hat seine Meinung dazu, wie »The Crown« enden soll, schon mehrfach geändert. Und sein erster Spielfilm über das Königshaus, »Die Queen«, in dem er auch Dianas Tod verarbeitete, entstand bereits zehn Jahre nach dem tödlichen Unfall in Paris.

Wann wird der »The Crown«-Erfinder Peter Morgan die Meghan-Affäre in ein Drehbuch gießen?
Foto:Jim Clarke / AFP
Vielleicht ist es auch gar nicht so wichtig, ob und wann Morgan die Meghan-und-Harry-Affäre in ein Drehbuch gießt. Denn die Bilder dazu dürften ohnehin schon durch die Köpfe der meisten Menschen geistern, die die Serie kennen. Meghan Markle, mutterseelenallein auf den weiten Fluren eines kalten, zugigen Schlosses, so wie die verlorene Diana in der aktuellen vierten Staffel von »The Crown«. William und Harry, die sich giftig attackieren, zerfressen von Neid und Geltungssucht, so wie Charles, Anne und Edward in der Serie.
Und überhaupt Charles, der von der Mutter immer wieder zurückgewiesene weinerliche Tränensack, der in Staffel vier zum großen Bösewicht aufstieg. Sollte er etwa dafür gesorgt haben, dass dem kleinen Archie wegen seiner Hautfarbe der Prinzentitel vorenthalten wird? Ha, raunen Kenner der Serie: Zuzutrauen wäre es ihm!
Die fiktive Welt aus »The Crown« geht auf Tuchfühlung mit der atemlosen Skandalentfaltung in der Realität, die Bilder überlagern sich, und tatsächlich kommt mittlerweile kaum ein Bericht zum Meghan-und-Harry-Interview ohne Verweis auf die Serie aus.
So als sei eine Netflix-Produktion ein geeigneter Gradmesser für das, was in der Wirklichkeit geschieht. Hatte der konservative britische Kulturminister Oliver Dowden recht, als er jüngst forderte, Netflix möge kenntlich machen, dass es sich bei »The Crown« um Fiktion handle?
Zumindest Prinz Harry sieht das entspannter. Er sagte in einem Interview, die Serie gebe die Atmosphäre und den Druck, unter dem man als Royal stehe, ganz gut wieder.
Interessant ist der Zeitpunkt, an dem Dowden seine Forderung erhob. Zum Start der vierten Staffel nämlich, in der die unselige Diana-Geschichte beginnt und Peter Morgan endgültig keinen Zweifel mehr daran lässt, was er von der Monarchie hält: nichts. Die zehn Episoden wirken wie eine Abwrackprämie deluxe für eine mehr als tausend Jahre alte Institution, die sich immer schwerer tut, sich ihrer eigenen Unantastbarkeit und Relevanz zu versichern.
Die Queen eine gefühlskalte Machtbrokerin, ihre Schwester eine trunksüchtige Intrigantin, der Thronfolger ein zwischen Wollen und Müssen zerriebener Träumer, dazu eisiges Schweigen, das Beharren auf Traditionen und Regeln, denen der Sinn zunehmend abhandenkommt – in »The Crown« ringt die britische Monarchie damit, längst von der Moderne abgehängt worden zu sein. Während das Land, das sie repräsentiert, von der Welt- zur Regionalmacht zusammenschrumpft. Diesen Kampf überführt Peter Morgan in eine monumentale Bildsprache, die die Risse im Fundament umso deutlicher macht.

Olivia Colman in »The Crown«: Was soll nur werden, wenn die Queen einmal nicht mehr da ist?
Foto: Sophie Mutevelian/ NetflixDoch in der Realität führt die königliche Familie einen ähnlichen Kampf. Denn natürlich ist die gesamte Institution der Monarchie nichts weiter als eine Fiktion. Glaubt heute wirklich noch jemand an das Narrativ der Krönungsliturgie, nach dem die Königin von Gott gesalbt und ins Amt gesetzt sei? Und was soll erst werden, wenn die hochbetagte Queen, die den Laden bisher noch zusammenhält, einmal nicht mehr da ist?
Das britische Königshaus agiert schon seit Hunderten von Jahren in einem Spiegelsaal aus Bildern, von Shakespeares Königsdramen bis zur Serienwelt von »The Crown«. Aber das Narrativ ihres Herrschaftsanspruchs muss sich in der wirklichen Welt behaupten. Es wäre nicht das erste Mal, wenn Menschen sich einer von ihnen geschaffenen Fiktion entledigen, weil sie nicht mehr in ihre Welt passt.