
"The Crown": Die Krone schreitet voran
Serie "The Crown" über Königin Elizabeth II. Das Gewicht der Krone
1954, auf einer schier endlosen Tour durch Australien, passiert es: Königin Elisabeth II. erleidet einen Krampf in der Wangenmuskulatur. Weil sie den ganzen Tag lächeln muss. Sie solle doch mal ernst schauen, rät der zur Konsultation herbeigezogene Arzt. Das steht aber außer Frage. Ihre Hoheit hat abends bei einer Gala zu erscheinen. Also spritzt der Doktor ihr ein Mittel zur Muskelentspannung in die Wange. Nicht ohne den Hinweis, sie möge vorsichtig beim Diner sein - ihre Kontrolle über die Kaumuskulatur sei nun eingeschränkt.
Selten gibt sich die Serie "The Crown", zu sehen ab dem 4. November auf Netflix, so süffisant wie in dieser Szene. Aber sie ist ein Beispiel dafür, wie die Erzählung den Widerspruch zuspitzt, der der jungen Elizabeth zusetzt: Eine 25-jährige Frau zu sein - und gleichzeitig fleischgewordenes Symbol für Großbritannien und den Commonwealth.
"The Crown" erzählt, wie es dazu kam, dass Elizabeth 1952 den Thron bestieg, und wie es ihr in den ersten Jahren ihrer Regentschaft erging. Die zehnteilige Serie ist der Blockbuster unter den aktuellen TV-Shows. Über 100 Millionen Pfund ließ sich der Streaming-Dienst die zehn Folgen angeblich kosten, ein Großteil des Budgets soll für Kostüme und Perücken draufgegangen sein. Eine extrem teure Seifenoper ist "The Crown" aber nicht geworden. Eher kommt die Serie staatsmännisch ernst und geradezu düster daher. Und sie ist tatsächlich das vielfach angekündigte Ereignis. Ein Höhepunkt im an Höhepunkten nicht eben armen Genre des britischen Kostümdramas.
Der filmische Raum, den "The Crown" betritt, ist ja schon überreich bestückt. Mit Klassikern wie "Der Löwe im Winter" und diversen Shakespeare-Verfilmungen, mit Merchant-Ivory-Produktionen wie "Howard's End" und den beiden "Elizabeth"-Filmen mit Cate Blanchett. Auch die Geschicke des Hauses Windsor konnte das Kinopublikum in den letzten Jahren verfolgen, ohne ein Klatschblatt in die Hand nehmen zu müssen. In "The King's Speech" spielt Colin Firth Elizabeths Vater, den stotternden König George VI., der den Thron besteigen musste, weil sein Bruder Eduard VIII. aus Liebe zu einer Bürgerlichen abdankte. Helen Mirren war 2006 in "Die Queen" als zum Zeitpunkt von Prinzessin Dianas Tod innerlich erstarrte Monarchin zu sehen.
Wozu braucht Großbritannien die Monarchie überhaupt noch?
Das Drehbuch dazu schrieb Peter Morgan, der nun auch das Skript zu "The Crown" verantwortete. Und tatsächlich kann man die Serie als Prequel des Kinofilms lesen, denn es geht um die Frage: Wie konnte die junge Frau, die 1952 vom britischen Volk begeistert bejubelt wurde, zu der als eiskalt und distanziert wahrgenommenen Regentin werden, die 1997 mit ihrem Verhalten nach Dianas Tod ihre Untertanen gegen die Krone aufbrachte?
Und weiter: Wozu braucht Großbritannien die Monarchie im 20. und 21. Jahrhundert überhaupt noch? Wie steht es mit ihrem Verhältnis zur Demokratie?
Gewichtige Fragen, die aber, und das ist das Grandiose an "The Crown", nicht graue Staatstheorie bleiben, sondern anhand vieler kraftvoller Geschichten in ein großes, wuchtiges Drama überführt werden. Noch vor all den durchaus vorhandenen Schauwerten, von Nachbauten des Buckingham Palace und diversen anderen Schlössern über die königlichen Roben und Klunker bis zur mit größter Akribie gedeckten Prunktafel, beeindruckt die Serie immer wieder mit packenden Dialogszenen, die ihren dramatischen Kern bilden: In zahllosen Audienzen, Vier-Augen-Gesprächen und Rededuellen vermessen die Mitglieder der Königsfamilie und der Politik ihre Handlungsspielräume - und damit ihre persönlichen Schicksale.
"The Crown always precedes", die Krone geht immer voran - das muss sich etwa Elizabeths schneidiger Mann Philip sagen lassen, nachdem ihr Vater gestorben ist und sie seine Nachfolge auf dem Thron übernimmt. Fortan schreitet der stolze Aristokrat linkisch einige Schritte hinter seiner Frau drein, sichtlich verunsichert von seiner neuen Rolle. Bei der Krönungszeremonie soll er sogar vor ihr niederknien. Und das ist erst der Beginn der ehelichen Schwierigkeiten.
Vielschichtiges Sittenbild der Fünfzigerjahre
Noch stärker legt sich das Gewicht der Krone auf das Verhältnis zwischen Elizabeth und ihrer jüngeren Schwester Margaret. Die hat sich in den Kriegshelden und Hofstallmeister Peter Townsend verliebt und will ihn heiraten. Untragbar für Politik und Kirche, denn Townsend ist ein geschiedener Mann und Vater zweier Kinder. Als Schwester will Elizabeth der Hochzeit ihren Segen geben, als Oberhaupt der anglikanischen Kirche ist es ihr unmöglich.

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Diese privaten Probleme verwebt Peter Morgan zu einem vielschichtigen Sittenbild der Fünfzigerjahre, in dem das Königshaus zum Spiegel der bevorstehenden gesellschaftlichen Umwälzungen wird. Wie in Morgans früheren Arbeiten, zu denen auch das Drama "Frost/Nixon" zählt, dient dabei die Wirklichkeit als Folie für eine dramatisch überhöhte Fiktion. Auch wenn für "The Crown" ein Team über zwei Jahre lang in Akten und Dokumenten recherchierte - ein Doku-Drama ist die Serie nicht geworden. Eher ringt sie der Realität durch künstlerische Verdichtung faszinierende Einblicke ab.
Auf der Handlungsebene ist "The Crown" also zum Bersten gefüllt mit großem Politdrama, zu dem auch Elizabeths schwieriges Verhältnis zu dem alternden Premierminister Winston Churchill gehört. Inszeniert ist die Serie dazu wie ganz großes Kino: Keine Folge ohne eine lange Kamerafahrt, ohne Panorama-Einstellungen und beeindruckende Montagesequenz. Einen genuin eigenen filmischen Ausdruck findet "The Crown" zwar nicht, aber die Inszenierung vermittelt Wucht und Wertigkeit. Gleichzeitig setzt sie durch die vielen Dialogszenen einen intimen Rahmen, in dem die Schauspieler mit der ganzen Autorität britischer Bühnendarsteller strahlen können, allen voran Claire Foy in der Hauptrolle.
Eine weitere Staffel hat Netflix schon fest geplant. Im Gespräch ist, dass die Serie auch danach fortgesetzt wird - womöglich decken weitere Staffeln den Zeitraum bis zum 90. Geburtstag der Queen ab. Genug Stoff für noch mehr großes Drama dürfte es geben.