"The Voice of Germany" Noch macht es Spaß

"The Voice of Germany" ist die Castingshow für Menschen, die Castingshows verachten. Jetzt startet sie mit allerhand Talenten in die fünfte Runde. Das wird erneut gut funktionieren - es besteht nur eine kleine dramaturgische Gefahr.

Irre, wie sehr einem die jahrelange "Deutschland sucht den Superstar"-Verschrundung noch in den Knochen steckt. Diese gelernte Gafflust, die einen bei jeder Castingshow noch auf die schlecht beratenen Flitzpiepen, Krummmusikanten, Schief-Fieper warten lässt, die nur vor der Jury jodeln dürfen, um von ihr bloßgestellt zu werden. Und auf die semibegabten Durchrutscher, die nur weiterkommen, damit man ihre Schluchzgeschichten über den entfremdeten Vater oder den dreibeinigen Welpen erzählen kann.

"The Voice of Germany", die Castingshow für Zuschauer, die Castingshows aus den eben genannten Schauerlichkeitsgründen verachten, ist auch zum Start der fünften Staffel die vorführfreie, freundliche Alternative. Es sind wieder freundliche Freaks, die hier ihr Talent präsentieren: Die röhrende Rock-Krawummse, das Japan-Mädchen im Niedlichkeits-Aufzug, der fränkische Tattoo-Karpfenangler, der latzbehoste Prince-of-Bel-Air-Knabe; alle können sie singen, keiner wird als Schrulligheimer vorgeführt, sondern ernst genommen, auch durch die Blindverkostung durch die Jury, die ihnen auf weggedrehten Sesseln lauscht.

Das handwerklich gut gezimmerte, schlau dramatisierte Format wird auch in der fünften Auflage funktionieren, weil es selten gewordene Zuschauerbindung herstellt, dazu verleitet, sich selbst in die Sendung hineinzudenken. Man hört die Klassiktrillerei, die unvermeidliche Powerballade, das Akustik-Cover des The-Cure-Klassikers "Friday I'm in Love" und fragt sich: Würde ich buzzern? Würde ich, wäre ich Coach, meinen Anerkennungs-Apparillo drücken, um den Kandidaten oder die Kandidatin in die nächste Runde zu schicken? Um sich dann, Perspektivenwechsel, in den Kandidaten zu denken: Welchen Coach würde ich wählen? "TVOG"-Faktotum Rea Garvey, Silbermond-Stefanie Kloß, die so schön erstaunt blicken kann, die unverwüstlichen Turnschuhbuben Michi Beck und Smudo oder Jury-Neuling und Volks-Schmalzier Andreas Bourani?

Ein Arsenal der Castingshow-Rhetorik

Eine kleine dramaturgische Gefahr (neben der Überstrapazierung des eingespielten Bourani-Hits "Auf uns") liegt in der Konkurrenz zwischen den Jury-Mitgliedern: weil die jetzt noch amüsante Kabbelei der Coaches, ihre Buhl-Strategien, um die besten Kandidaten in ihr Team zu locken, die gespielten Fehden und Grabenkämpfe nicht wichtiger werden dürfen als der Gesang. Leichtes Nervpotenzial hat auch die "Waaahnsinn"- beziehungsweise "Wahnsiiinn"-Aufsagerin Lena Gercke, die nun zusammen mit Thore Schölermann moderiert, aber irgendwas ist ja immer.

Noch macht es jedenfalls Spaß, dabei zuzusehen, wie die Jury ganz nebenbei auch ein Archiv der Überzeugungsfloskeln baut, ein Arsenal der Castingshow-Rhetorik, wenn es darum geht, jemanden in sein Team zu locken. Neben den gängigen Klassikern ("Ich hab mich als Erstes umgedreht", "Ich glaube an dich", "Genau auf jemanden wie dich haben wir gewartet", "Ich habe damals genau so angefangen wie ihr") hat jeder Juror dabei seine eigene Strategie: Bourani geht auch schon einmal anfassen oder versucht es mit unverhohlener Bestechung ("Ich nehm euch im Januar mit auf Tour"), Kloß macht die Metaphernkiste auf und lädt wahlweise in ihr "Flugzeug, das steil nach oben geht", oder in ihr "Boot, dass sicher auch mal tüchtig schaukeln wird", die Fanta-2 turnen auch schon mal Pantomime vor, und Garvey serviert filetiertes Pathos mit Cocktailkirsche.

Können sie zusammen die tiefe DSDS-Wunde dauerhaft vertackern? Wir bleiben dran!

Zur Autorin

Anja Rützel, Jahrgang 1973, taucht für den SPIEGEL unter anderem im Trash-TV-Sumpf nach kulturellem Katzengold. In ihrer Magisterarbeit erklärte sie, warum »Buffy the Vampire Slayer« eine sehr ausführliche Verfilmung der aristotelischen Argumentationstheorie ist. Sie glaubt: »Everything bad is good for you« – und dass auch »Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!« tieferen Erkenntnisgewinn liefern kann. Ihr Buch über ihre Liebe zu Take That erschien als Teil der Musikbibliothek bei Kiepenheuer und Witsch.

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