Thomas Gottschalks neue Show "Die komfortablen Zeiten sind vorbei"
Vorsichtshalber hat RTL am späten Sonntagabend schon mal 20 Minuten Extrazeit einkalkuliert, falls die ohnehin schon großzügig anberaumten 225 Minuten dem notorischen Sendezeit-Überzieher Thomas Gottschalk nicht ausreichen. Mit "Mensch Gottschalk" (20.15 Uhr, RTL) kehrt der 66-jährige TV-Veteran zurück auf die große Fernsehshow-Bühne.
Das Format, eine gemeinsame Entwicklung von SPIEGEL TV und dctp für RTL, die im Sendefenster der Plattform für unabhängige Anbieter läuft, verquickt journalistische und Infotainment-Beiträge mit Show-Elementen und Gottschalks nonchalanter Plauder-Moderation.
Unter dem Motto "Was bewegt Deutschland" empfängt Gottschalk in einem neu gestalteten Studio in Berlin-Adlershof Gäste wie den EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz (SPD), den 2010 in der Show verunglückten, heute querschnittgelähmten "Wetten, dass..?"-Kandidaten Samuel Koch oder den Daimler-Vorsitzenden Dieter Zetsche.
In Einspielfilmen und Live-Talks geht es um die Terrorangst vor der EM und die dringlichsten Fragen zur Flüchtlings- und Europa-Krise ebenso wie um die Volkskrankheit Krebs und die Zukunft des autonomen Fahrens. Musikalische Gäste sind Nena und Mark Forster, aber auch die Sieger der RTL-Show "Let's Dance" sowie der "Wer wird Millionär?"-Abräumer Leon Windscheid werden auftreten.
Thomas Gottschalk war nach dem Ende seiner langen Karriere als "Wetten, dass..?"-Moderator im Herbst 2011 nicht mehr so erfolgsverwöhnt wie früher. Sein täglicher ARD-Vorabend-Talk "Gottschalk live" scheiterte an mageren Quoten, die große Klassentreffen-Show "Back to School" ging bei RTL ab Februar 2014 nur ein einziges Mal über die Bühne, in loser Folge ist er zusammen mit Günther Jauch und Moderatorin Barbara Schöneberger in der Spielshow "Die 2" zu sehen.
"Mensch Gottschalk" könnte nun sein Comeback als großer Abend-Unterhalter sein. Wir trafen ihn am Freitag bei den Proben in Adlershof.
SPIEGEL ONLINE: Herr Gottschalk, die anderen Sender wollen Ihnen den Sonntagabend nicht kampflos überlassen. Sie treten gegen Quotenbringer wie "Tatort" und "Grill den Henssler" an, zusätzlich gibt es um 20.15 Uhr auch einige hochkarätige Spielfilme. Nehmen Sie das sportlich?
Gottschalk: Die komfortablen TV-Zeiten, an die ich mich gewöhnt hatte und die ich lange genug genossen habe, sind vorbei. Heute ist die Konkurrenz immer groß, und ich neige inzwischen dazu, aus der Defensive zu kommen, um mindestens einen Achtungserfolg zu erringen.
SPIEGEL ONLINE: Gar kein Quotendruck?
Gottschalk: Es ist klar, dass ich mich nach den 15 Millionen, die ich am Samstagabend früher eingespielt habe, nur noch verschlechtern kann. Das ist eine reine Rechenaufgabe. Dass wir die Show am Sonntag machen, ist ja der Tatsache geschuldet, dass SPIEGEL TV an diesem Abend seine gewohnte Auftrittsfläche hat. Aber in dieser Kombination aus SPIEGEL, dctp, RTL und Gottschalk sehe ich auch die Chance, dass sich hinterher jeder ein bisschen mit jedem rausreden kann: Die Pet Shop Boys sind meine Welt, das Thema Leukämie und Autonomes Fahren ist eher SPIEGEL TV, "Let's Dance" und "Sing meinen Song" ist RTL - und ich kann mit all diesen Themen etwas anfangen.
SPIEGEL ONLINE: Also einfach eine große Wundertüte aufmachen?
Gottschalk: Ich will hier den Verdacht, dass es sich um einen Jahresrückblick im Sommer handelt, nicht erhärten, andererseits habe ich mit den Jahresrückblicken, die ich für das ZDF gemacht habe, bewiesen, dass mir sowas liegt: Ich werde die harten Themen so weich wie möglich präsentieren, und ich werde die leichten Themen hart aber herzlich angehen. Wenn's nur eine Wundertüte wäre, dann müsste sie anspruchsloser sein. Ich glaube nicht, dass man einen EU-Politiker wie Martin Schulz in einer Wundertüte vermutet. Aber diese gewisse pädagogische Verpflichtung, die eigentlich eine öffentlich-rechtliche wäre, gehört zu meinem Verständnis von Unterhaltung. Ich bin der Meinung, dass man den Leuten so was durchaus zumuten kann. Wir werden ja sehen.
SPIEGEL ONLINE: Das Spektrum in Ihrer Show reicht von der Europakrise über Flüchtlinge bis zu Krebserkrankungen und der Mobilität der Zukunft. Inwieweit waren Sie an der Themensetzung beteiligt?
Gottschalk: Ich bin nicht auf alle Themen selbst gekommen, aber das Schlimmste konnte ich verhindern. Im Endergebnis bin ich mit allem, was wir verhandeln, sehr einverstanden. Es ist immerhin eine statistische Feststellung, dass jeder zweite Deutsche in seinem Leben mit einer Krebsdiagnose umgehen muss. Also werde ich in der Anmoderation sagen: Freunde, das ist nicht das Thema, das wir uns an einem Sonntagabend wünschen, aber: Wenn Sie Glück haben, bin ich's, und wenn ich Glück habe, sind Sie's! Einer von uns beiden wird sich mit dem Thema auseinandersetzen müssen, also reden wir mal drüber!
SPIEGEL ONLINE: Gottschalk, der Sorgenonkel der Nation?
Gottschalk: Ich habe inzwischen den Ansatz: Bei Kindern bin ich der Opa. Bei den Eltern sage ich: "Das kenn' ich auch" - und wenn die Großeltern kommen, wissen wir: Freunde, wir haben's hinter uns. Das ist nicht die Überheblichkeit des Großentertainers, das ist die Demut dessen, der sagt: Mensch, manchmal bin ich auch am Ende meiner Weisheit.
SPIEGEL ONLINE: Dabei waren Sie doch eigentlich stets jemand, der den Menschen an einem langen Fernsehabend das Gefühl geben konnte, dass schon alles irgendwie gut wird.
Gottschalk: Ich merke, dass die Unbekümmertheit, die ich früher vor der Kamera hatte, heute riskanter ist. Ich weiß zum Beispiel nicht, wie ich mich salopp zur Flüchtlingsfrage äußern könnte, ohne einen Aufschrei zu provozieren. Die Unsicherheit wird größer.
SPIEGEL ONLINE: Das würden wahrscheinlich auch viele AfD-Wähler unterschreiben. Können Sie deren Frustration nachvollziehen?

Thomas Gottschalk
Foto: Daniel Reinhardt/ dpaGottschalk: Ich war mein Leben lang immer auf der Seite der Progressiven, für mich war das Wort "konservativ" schon fast eine Beleidigung. Ich wollte immer vorne dran sein, ich wollte es immer anders machen als die Alten. Meine Generation ist zur Toleranz erzogen worden, ich fühle mich zudem auch, das weiß man vielleicht, der christlichen Nächstenliebe verpflichtet und sehe es als ganz normal an, dass der Nächste eben der Nächste ist - egal welche Hautfarbe er hat oder welche Sprache er spricht. Mein Kompass muss da nicht neu justiert werden. Aber ich sehe eben auch das Dilemma.
SPIEGEL ONLINE: Wo sehen Sie das?
Gottschalk: Wir wollen ja, dass die, die zu uns kommen, ein Teil von uns werden und die Chance dazu haben, das auch zu sein. Eben damit die, die das nicht wollen, keine Argumente haben zu sagen: Seht ihr, wir schaffen das nicht! Gleichzeitig merken wir, dass es dabei enorme logistische Probleme gibt. Ich habe Flüchtlinge kennengelernt. Die sagen: Wir würden hier gerne arbeiten. Aber wir heften die erst mal bürokratisch ab und zwingen sie zum Nichtstun. Darüber regen sich wieder die auf, die jeden Tag zur Arbeit gehen. Selbst der Wohlmeinende kommt da ins Grübeln.
SPIEGEL ONLINE: "Was bewegt Deutschland" lautet der Untertitel Ihrer Show. Wie es aussieht, ist das so einiges. "Das Staatsschiff ist nicht im Orkan, aber es gibt Wellen", sagte Bundespräsident Joachim Gauck vergangene Woche. Beunruhigt Sie das?
Gottschalk: Ich habe die letzten 50 Jahre in der vermuteten Sicherheit zugebracht, dass Politiker wissen, was sie tun, dass jeder weiß, wer die Guten und wer die Bösen sind, und dass es immer ein bisschen besser wird. Das muss man heute ein wenig revidieren. Ich möchte mit der Generation meiner Kinder nicht tauschen. Und die wiederum können nicht wissen, wie gut wir es gehabt haben.
SPIEGEL ONLINE: Was liegt Ihrer Meinung nach besonders im Argen?
Gottschalk: Viele Dinge, auf die wir uns gefreut haben, haben schwer an Strahlkraft verloren. Die deutsche Einheit, die Idee von Europa, der Euro. Da ist einiges verrutscht. Schade.
SPIEGEL ONLINE: Was glauben Sie, woran das liegt?
Gottschalk: Ich weiß es nicht! Ich kann den Leuten ja nichts erklären, was ich selber nicht begreife. Ich sehe Talkshows, in denen sich Menschen um alle möglichen Themen streiten, und merke: Keiner hat wirklich eine Lösung, aber alle tun so. Das will ich vermeiden. Ich bin schon froh wenn ich am Sonntagabend meine Zuschauer halbwegs auf einen gemeinsamen Nenner kriege.